AA

Salzburg: Vor "Liebe" rasende "Phädra"

Die Tragödienraserei der alten Grie­chen und das hohe Versgeklingel der französi­schen Klassik. Oh Götter, welch' gefahrvolle Konstellation! Doch "Phädra" von Jean Racine, die in Koproduktion mit dem Burgtheater zustande gekommene letzte große Schauspielpremiere der Salzburger Festspiele 2010, sorgte am Mittwochabend im Salzburger Landestheater für lauter positive Überraschungen.
Premiere von "Phädra"

Regisseur Matthias Hartmann entschied sich für eine hochkonzentrierte Spielweise vor extrem reduziertem Bühnenbild, bekam Sprache und Pathos gut in den Griff und entwickelte mit einem starken Ensemble einen Krimi rund um verschiedene Konstellationen der Liebe.

“Liiiiiiiiiebe”, heißt das natürlich aus dem Mund von “Phädra” Sunnyi Melles. Die “grausame Venus” hat sie in ihren Fängen und treibt sie in den Wahnsinn. Gatte Theseus ist verschollen, gilt als tot. Sie vergafft sich in ihren Stiefsohn Hippolytos, wirbt schamlos um ihn, wirft sich ihm an den Hals – und wird abgewiesen. Das schreit nach “Raaaaaache”, zumal das plötzliche Wiederauftauchen des Gemahls Phädra ohnedies in eine höchst missliche Lage bringt. Melles, in ihrer äußerlichen, immer etwas verhuscht wirkenden Spielanlage die legitime erste Anwärterin auf die Nachfolge der großen Edith Clever im Heroinen-Fach des deutschsprachigen Theaters, hat von Hartmann als einzige die Lizenz zum Tönen bekommen. Das nutzt sie auch weidlich aus. Händeringend, augenrollend, sich schlangengleich windend und ihrer Stimme in schrillste Höhen schraubend, verschränkt sie Pathos und Eros. Das Liebesvirus arbeitet in ihr wie jenes Gift, mit dem sie schließlich ihrem Leben ein Ende bereitet.

Überraschender Weise wirkt ihr exaltiertes Spiel nicht lächerlich, denn es wirkt nicht nur durch die schlichte, schwarz-weiße Drehwand (Ausstattung: Johannes Schütz) wie auf den Seziertisch gelegt, sondern wird auch rund um sie durch ganz andere Spielweisen konterkariert. Philipp Hauß versucht als Hippolytos erfolgreich, den gedrechselten Versen einen Alltagsgestus abzugewinnen. Ihm ist ganz und gar nicht wohl in seiner Haut, und weil er als grader Michel durchs Leben schreiten möchte, muss er sich ständig verbiegen.

Die Differenzierung seiner Liebesszenen zählt zu den Höhepunkten des Abends: Während seine zarte Zuneigung zur gefangenen Prinzessin Arikia (Sylvie Rohrer setzt ganz auf ungläubiges Staunen) nicht einmal in einem Kuss Erfüllung finden kann, muss er im nächsten Moment voller Ekel die Stiefmutter abwehren, die ihm gierig an die Wäsche will. Nach so einem Erlebnis lässt sich dem zurückgekehrten Vater natürlich nicht mehr unbefangen gegenüber treten – zumal dieser unterdessen von Phädras Dienerin Önone (Therese Affolter) bereits selbst der blutschänderischen Geilheit bezichtigt wurde. Paulus Manker hat als grimmiger Theseus starke Momente. Seine Anrufung von Meeresgott Neptun zwecks Abstrafung des Sohnes verursacht Gänsehaut: Der Athenerkönig fühlt sich den Göttern ebenbürtig.

Letzte Überraschung: Statt der drei Stunden, die das Pressebüro noch tags zuvor avisiert hatte, und den im Programmheft angegebenen zwei Stunden dauert die Aufführung, die ab 8. September im Burgtheater zu sehen ist, bloß eine Stunde 40 Minuten. Dafür verbeugte sich am Ende auch der Choreograph Ismael Ivo. Ihm scheinen die Götter nicht hold gewesen zu sein. Hat man tänzerische Feinheiten übersehen – oder ist seine Choreographie dem finalen Director’s Cut zum Opfer gefallen? Das Premierenpublikum spendete dennoch langen Applaus. Theatergöttin Thalia darf zufrieden sein.

  • VIENNA.AT
  • Kultur
  • Salzburg: Vor "Liebe" rasende "Phädra"
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen