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Nationalrat: SPÖ will Volksabstimmung zum 12-Stunden-Tag einbringen

Auch ein mögliches Volksbegehren steht laut Christian Kern im Raum.
Auch ein mögliches Volksbegehren steht laut Christian Kern im Raum. ©APA
Am Donnerstag soll der 12-Stunden-Tag durch ÖVP und FPÖ im Nationalrat beschlossen werden, die SPÖ kündigte an, einen Antrag auf eine Volksabstimmung dazu einzubringen. Sollte die Regierung dies verhindern, werde man über den Start eines Volksbegehrens nachdenken.
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Das innenpolitisch heiße Thema der Arbeitszeitflexibilisierung kocht weiter. Am Donnerstag steht der Beschluss für leichtere 12-Stunden-Tage durch ÖVP und FPÖ im Nationalrat an. Die SPÖ wird dann eine Volksabstimmung zum Thema beantragen. Die Regierungsmehrheit dürfte dies verhindern. Dann will die SPÖ mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und der Gewerkschaft ein Volksbegehren organisieren.

SPÖ will am Volksabstimmung zum 12-Stunden-Tag beantragen

Schwarz und Blau hatten zuletzt keinen Zweifel daran gelassen, das Gesetz, das beispielsweise auch eine Arbeitswoche von bis zu 60 Stunden ermöglicht, trotz massiven gewerkschaftlichen Protesten zu beschließen. Die Regierung habe noch bis Donnerstag die Chance, das Gesetz zur Einführung von 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche zurückzuziehen, so SPÖ-Chef Christian Kern. Sei die Regierung dazu nicht bereit, sollten die Betroffenen direkt eingebunden werden. Dann sehe man, ob tatsächlich eine Mehrheit der Österreicher hinter dem geplanten neuen Arbeitszeitgesetz stehe.

“Wir werden am Donnerstag einen Antrag auf Volksabstimmung dazu einbringen. Wenn die Regierung das verhindert, dann werden wir uns gemeinsam mit der Zivilgesellschaft weitere Schritte überlegen und dann steht natürlich auch ein Volksbegehren im Raum”, kündigte am Dienstag Kern gegenüber der APA an. Eine SPÖ-Onlinepetition gegen die Arbeitszeitpläne der Bundesregierung hat bisher 25.000 Unterzeichner gezählt. Es sei “schlimm, “wenn jene Parteien, die m Wahlkampf für mehr Demokratie ausgesprochen haben, diese jetzt nicht zulassen”, sagte der oberste Baugewerkschafter Josef Muchitsch (SPÖ) zu einer etwaigen Volksabstimmung.

ÖGB warnt vor Auswirkungen des Gesetzes

Die Gewerkschaft setzt indes nun auch noch auf den Bundesrat und will aufs Gewissen der einzelnen Ländervertreter pochen. Für Montag kündigte Muchitsch (SPÖ) an, dass es in jedem Bundesland ÖGB-Pressekonferenzen geben wird. Darüber berichtete am Dienstag auch die Tageszeitung “Österreich”.

Bei den Pressekonferenzen der ÖGB-Landeschefs “wird vor den Auswirkungen des Gesetzes gewarnt und an die Bundesräte appelliert, sich das Gesetz ganz genau zu analysieren – und dann auf Basis des persönlichen Gewissens zu entscheiden, nicht einer Parteidoktrin zu unterliegen”, sagte Muchitsch am Dienstag im Gespräch mit der APA. Die Abstimmung im Bundesrat findet am Donnerstag (12. Juli) kommende Woche statt. Die Appelle würden auch an die Landeshauptleute gerichtet.

Streiks im Herbst möglich

Auf die Frage, ob Streiks drohen, sagte Muchitsch: “Die Bundesregierung plant im Herbst weitere Verschlechterungen für Arbeitnehmer, unter anderem Sozialversicherung und Arbeitslosengeld neu. Jetzt warten wir ab, was alles auf den Tisch kommt. Dann dürften die Mobilisierungsmöglichkeiten noch wesentlich her sein, als aktuell schon. Die Regierung wird sich für den Herbst warm anziehen müssen.”

Die Gewerkschaften “werden alle Möglichkeiten beraten und bei Bedarf nutzen”, so ein Muchitsch mit deutlichen Worten, ohne den Begriff Streik in den Mund zu nehmen. Ein Generalstreik am Flughafen zur Ferienzeit, von dem eine Zeitung heute berichtete, wurde vom Gewerkschafter vehement und dezidiert ausgeschlossen.

1.400 Betriebsversammlungen österreichweit

Bis Donnerstag laufen auch die insgesamt 1.400 Betriebsversammlungen österreichweit weiter. “Das wird auch nach dem 5. Juli (da steht der Gesetzesbeschluss im Nationalrat an, Anm.), im Sommer und im Herbst, der Fall sein”, kündigte Muchitsch an.

“Den Betriebsräten wird ihr Mitwirkungsrecht genommen. Das können und wollen wir uns nicht gefallen lassen.” Die bisherigen Versammlungen hätten eine große Solidarität unter den Arbeitnehmern gezeigt. “Es gibt Solidarität über alle Branchen hinweg, auch von Dienstnehmern, die das geplante Gesetz nicht direkt betrifft, weil sei eigenen Arbeitszeitgesetze haben.”

NEOS wollen “schlechtes Arbeitszeitgesetz” noch vor Nationalrat ändern

Die NEOS wollen in den kommenden Plenartagen das “handwerklich schlecht gemachte” Arbeitszeitgesetz der Regierung noch reparieren und bringen einen entsprechenden Abänderungsantrag ein. Klubchef Matthias Strolz und Sozialsprecher Gerald Loacker warnten bei einer Pressekonferenz am Dienstag davor, dass das Vorhaben von ÖVP und FPÖ tausende Klagen nach sich ziehen werde. Das Vorgehen der Regierung bei diesem Gesetz sei ein Beispiel dafür, dass die Koalition an einem “ernsthaften Diskurs und sinnvollen Lösungen nicht interessiert ist”, so Strolz. “Sie knallen einen Gesetzesvorschlag hin, der höchstproblematisch und ein handwerklicher Wahnsinn ist.” Das Gesetz sei schlecht, schaffe rechtliche Unsicherheit und werde Tausende Menschen in arbeitsrechtliche Konflikte stützen, warnte der pinke Klubchef.

So werden laut Loacker Zigtausende vom Arbeitnehmerschutz ausgenommen. Das Gesetz sieht vor, dass Arbeitnehmer mit “maßgeblich selbstständiger Entscheidungsbefugnis” vom Arbeitszeitgesetz und Arbeitsruhegesetz ausgenommen werden. Loacker geht von einer fünfstelligen Zahl an Betroffenen aus. Bisher waren nur “leitende Angestellte” (im Wesentlichen die erste und zweite Managementebene) vom Arbeitszeitgesetz und Arbeitsruhegesetz ausgenommen, mit dem neuen Gesetz wird diese Ausnahme auf die dritte Führungsebene ausgeweitet.

Flexibilisierung soll stärker auf Betriebsebene geregelt werden

Damit fallen künftig etwa Filialleiter von Regionalbanken oder Projektleiter in Unternehmen aus dem Gesetz raus. Das bedeutet, dass für sie keine Nachruhe- und Wochenendregelungen gelten und sie keine Überstundenzuschläge bekommen. “Das ist völlig überschießend und bedenklich”, sagte Loacker. Außerdem würde dieses Vorhaben EU-Recht widersprechen.

Problematisch finden die NEOS, die grundsätzlich die Flexibilisierung der Arbeitszeit begrüßen, auch die Regelung, wonach es für den 12-Stunden-Tag bei Gleitzeit eine Betriebsvereinbarung brauche, bei Schichtarbeit aber nicht. Die Pinken sprechen sich dafür aus, dass die Flexibilisierung stärker auf Betriebsebene geregelt werde. Sie bringen einen Abänderungsantrag mit ihren Vorschlägen ein. Die schlechte Qualität des türkisch-blauen Vorschlags zeige wie dringend in diesem Fall eine Begutachtung und Anhörung von Experten, die ÖVP und FPÖ umgangen wurde, gewesen wäre, sagte Strolz.

Er appellierte an die Regierungsparteien, von ihrem Weg “der Ignoranz und Drüberfahrens” über das Parlament abzugehen. Wenn ÖVP und FPÖ “so weitermachen, werden die Menschen einen hohen Preis dafür zahlen müssen, es wird den Menschen sehr wehtun”. Die parlamentarischen Gesetzgebungsprozesse seien dafür entwickelt worden, sinnvolle Gesetz zu machen. Den Schaden, den die Regierung mit ihrer Vorgehensweise anrichte, werden spätere Generationen Jahrzehnte lang aufräumen müssen, so Strolz.

Evangelische Kirche kritisiert Überstunden an Sonn- und Feiertagen

Deutliche Kritik am Gesetzesvorhaben der Regierungsparteien, die Arbeitszeit bei besonderem Arbeitsbedarf durch Überstunden auf Sonn- und Feiertage auszudehnen, kam nun auch von der Evangelischen Kirche. Gesetzliche Regelungen über die tägliche Höchstarbeitszeit, die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie die Arbeit an Sonn- und Feiertagen seien “sensible Bereiche”, die nur “im gesellschaftlichen Gesamtkonsens” getroffen werden sollten. Einer möglichen Gesetzesänderung müssten “ausführliche und intensive Begutachtungen” und “intensive Gespräche” mit den Sozialpartnern vorausgehen, heißt es in einer Stellungnahme vom Dienstag, die dem Präsidium des Nationalrates und anderen politischen Entscheidungsträgern übermittelt wurde.

Eine gemeinsame Protestaktion haben am Dienstag die Katholische Jungschar und die Sozialistische Jugend angekündigt. Sie wollen am Mittwoch am Platz der Menschenrechte in Wien auf die Auswirkungen einer verlängerten Arbeitszeit auf Kinder aufmerksam machen. “Kinder brauchen täglich Zeit und Regelmäßigkeit. Darüber hinaus fehlt es an Kindergärten und Krippen mit ausreichenden Öffnungszeiten”, hieß es in der Einladung für 10.45 Uhr.

Kärntens Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Mandl hingegen teilte am Dienstag mit: “Flexibel ist gut.” 8-Stunden-Tag als auch 40-Stunden-Woche als Normalarbeitszeit blieben erhalten. Mandl sprach sich in Richtung Gewerkschaften gegen eine “künstliche Belebung des längst überwundenen Klassekampfs” aus.

Arbeitsrechtler sehen Betriebsvereinbarungen vor dem Aus

Die Arbeitnehmerseite wirft der Bundesregierung zu deren Arbeitszeitplänen vor, dass die Betriebsräte dabei entmachtet würden. Es brauche künftig keine Betriebsvereinbarungen – also Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung – mehr, um 12 Stunden zu arbeiten. “Die Betriebsräte hatten die Möglichkeit, faire Rahmenbedingungen zu verhandeln”, sagte AK-Arbeitsrechtler Christoph Klein dazu im “Morgenjournal” des ORF-Radio Ö1.

“Das heißt zusätzliche Zuschläge, die Möglichkeit Nein zu sagen, für zum Beispiel Eltern von schulpflichtigen Kindern geblockten Zeitausgleich et cetera.” Existierende Betriebsvereinbarungen könnten nach Inkrafttreten des Gesetzes vom Arbeitgeber gekündigt werden, so Arbeiterkammerexperte Klein, und neue Betriebsvereinbarungen würden nicht mehr abgeschlossen werden können. “Diese Betriebsvereinbarungskompetenz wird jetzt durch die neue Arbeitszeitnovelle mit einen Schlag aus dem Arbeitszeitgesetz gestrichen und an ihre Stelle tritt ein einseitiges Anordnungsrecht des Dienstgebers”, sagt Klein, der auch Arbeiterkammerdirektor ist.

Arbeitsrechtsprofessor Frank Schrank, lange Zeit in Diensten der steirischen Wirtschaftskammer, sieht es im juristischen Ergebnis sogar noch tiefgreifender, berichtete das “Morgenjournal”: Wenn das neue Gesetz gelte, seien die Betriebsvereinbarungen sofort ungültig. Aber, so Schrank: “Die Zuschläge kann die Betriebsvereinbarung gar nicht regeln. Und wenn sie es dennoch tut, gilt dieser Teil, wenn das gehandhabt wird, als Teil der Einzelverträge. Wenn ich einen einzelvertraglichen Zuschlag zugesagt habe, muss ich ihn auch am 1. Jänner weiterhin handhaben.” Es herrsche ein “Günstigkeitsprinzip”.

Dass die Koalition die Freiwilligkeit für die Stunden elf und zwölf ins Gesetz schreiben wird, beeindruckt Klein laut Ö1 nicht. Wer Nein sagt, wird bei Personalabbau als Erster gekündigt, so seine Befürchtung. Jurist Schrank gewinnt dem Aus für die Betriebsvereinbarung positive Aspekte ab: In der bisherigen Situation habe ein Betriebsrat auch grundlos Nein sagen können zu so einer Betriebsvereinbarung. “Die ist weg. Das ist so. Aber das ist wahrscheinlich auch eine gewollte Vereinfachung, weil bis ja eine Betriebsvereinbarung zustande kommt, ist die dringliche Situation (länger Arbeiten zu müssen um Aufträge zu erfüllen, Anm.) in vielen Fällen schon wieder vorbei.”

Ärztekammer beklagt unsachlich geführte Diskussion

Die Ärztekammer beklagt, dass die Diskussion über den geplanten 12-Stunden-Tag unsachlich geführt werde. Im Gespräch mit der APA meinte der Vizepräsident und Obmann der angestellten Ärzte, Harald Mayer: “Kein Spital würde ohne einen 12-Stunden-Tag funktionieren.” Nicht nur Ärzte und Pflegepersonal würden 12 Stunden arbeiten, sondern auch das medizinisch-technische Personal und in einigen Fällen sogar die Portiere. Mayer betonte, dass die 12-Stunden-Dienste auch für die Kontinuität der Patientenversorgung gut seien. Damit gebe es pro Tag nur eine Übergabe und die größte Fehlerquelle liege eben in den Dienst-Übergaben. Auch für das Personal seien die längeren Dienste gut, meinte der Ärztekammer-Vize. Damit könnten sie größere Freizeitblöcke genießen, schloss er sich der Argumentation der Regierung an. Als Beispiel nannte er, dass Ärzte nach zwei 24-Stunden-Diensten den Rest der Woche frei haben könnten.

Der Ärztekammer-Vizepräsident betonte, dass die Möglichkeit für längere Arbeitszeiten im Rahmen von Kollektivverträgen vereinbart werden sollte. Er verwies darauf, dass es die 12-Stunden-Dienste auch in anderen Bereichen gebe – etwa bei der Exekutive, der Feuerwehr oder bei den ÖBB.

Zum Argument, dass zu viele Überstunden die Gesundheit gefährden könnten, gestand Mayer zu, dass 12-Stunden-Dienste langfristig belastend seien, wenn man sie über einen längeren Zeitraum absolviere. Studien würden belegen, dass vor allem nach der 13. Stunde die Konzentration abnehme und die Gesundheitsgefährdung steige.

(APA/Red)

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