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Moralischer Grenzgänger: Modern Warfare 2

Flughafenszene: Abscheulich, Moralisch fragwürdig, kontraproduktiv.
Flughafenszene: Abscheulich, Moralisch fragwürdig, kontraproduktiv. ©Waibel
Lange habe ich mich mit dieser Vorstellung herumgeplagt, war mir nicht sicher, ob man für ein Spiel wie „Call of Duty Modern Warfare 2“ überhaupt eine Vorstellung präsentieren sollte. Zu grenzgängerisch ist der Inhalt. Doch urteilen Sie selbst.  

„Call of Duty“ ist eine Kriegsspielserie, soviel steht fest. Dass sich Gegner nicht mit Wattebäuschchen bewerfen, auch. Natürlich stehen Titel wie Postal oder Manhant, in dem die möglichst brutale Tötung eines Menschen im Vordergrund steht noch weit höher auf der Verwerflichkeitsskala als ein Egoshooter, angesiedelt in einem fiktiven Kriegssetting. Zudem hat insbesondere der Ableger „Modern Warfare“ sehr großen Anklang in der Multiplayercommunity gefunden und mittlerweile sogar Counterstrike abgelöst. Während „Modern Warfare“ noch insbesondere von bombastischer Inszenierung und einem modernen frischen Setting lebte, glaubte man bei Activision offenbar, ein höherer Gewaltgrad oder moralisch fragwürdige Spielszenarios könnten durch die Diskussion über das Spiel einen besseren Verkaufserfolg garantieren.

Wer an „Modern Warfare“ denkt, dem schießen Begriffe wie Adrenalin, Chaos, keine Zeit zum Durchatmen und effektvolle Explosionen in den Sinn, auch intelligente Sniper-Missionen. „Modern Warfare 2“ knüpft in manchen Belangen an den ersten Teil an. Auch die wenn auch dürre Handlung wird fortgesetzt. Im Spiel schlüpft man abwechselnd in die Haut von vier verschiedenen Soldaten, die jeweils an einer anderen Front kämpfen. Dadurch ergeben sich auch unterschiedlichste Szenarios, was letztlich die große Stärke des Games darstellt. Kaum gab es einen Ego-Shooter, der den Spieler mit so vielen unterschiedlichen Settings konfrontiert.

Mit dem einem Eispickel auf einen schneebedeckten Gipfel hochkämpfen und mit einem Snowspeeder die Gletscher unsicher machen? Ein kleiner Tauchgang unter einer Bohrinsel? Oder ein Ausflug in ein kleines brasilianisches Wellblechhüttendorf? Auch die Hauptstadt der USA präsentiert sich gelungen, ebenso wie ein Schrottplatz für Flugzeuge sowie ein Wüstenszenario in Afghanistan. Während am Beginn des Levels noch Muße ist, das Leveldesign zu bewundern, kommt rasch eine Dynamikwende, von der an kaum Zeit zum Durchatmen bleibt. Das Spiel prügelt den Zocker von Schauplatz zu Schauplatz. Kleinere Zwischensequenzen sorgen für zusätzliche Atmosphäre.

Technisch weiß „Modern Warfare 2“ zu überzeugen, nicht zuletzt aufgrund des Effektgewitters, das sich über dem Spieler entlädt. Soundtechnisch präsentiert sich der Titel durchwachsen: Musik von Hans Zimmer sorgt für Gänsehautfeeling, allerdings könnten die Waffensounds wuchtiger sein.  

Nun aber zu einem Punkt, der sauer aufstößt. Mir erschließt sich nicht der Sinn eines Szenarios im Spiel, das Kritikern von Shooting-Games mehr als nur Wasser auf die Mühlen gibt, selbst hartgesottenen Shooter-Spielern dreht sich bei einer solch ungehemmten Präsentation von Gewalt der Magen um: Im Flughafen-Level wird der Spieler als Undercover bei den Terroristen eingeschleust und ist gezwungen, seinen bösen Kollegen dabei zuzusehen, wie sie minutenlang hilflose Zivilisten kaltblütig umlegen. Das einzige Zugeständnis an mitteleuropäische Werte ist die eingebaute technische Beschränkung, selbst auf die Hilflosen schießen zu können, wer es trotzdem versucht, den bestraft „Modern Warfare 2“ mit einem Game Over. Doch selbst derart beschnitten ist die Flughafenszene eines „Modern Warfare 2“ nicht würdig, einfach nur sinnlose, rohe Gewalt, primitiv inszeniert.

Die meisten Shooterfans kaufen sich „Modern Warfare 2“ aber wohl eher ohnehin wegen des Multiplayermodus. Auf 16 Karten darf der Spieler sich mit menschlichen Kontrahenten packende Gefechte liefern. Mit an Bord das motivierende Auflevel-System des Vorgängers, das aber nochmals verfeinert wurde. Die Maps gestalten sich wie gewohnt recht unterschiedlich. Von engen Häuserkämpfen bis hin zu weiteren Arealen, die vor allem Scharfschützen begrüßen, ist für jeden etwas dabei. Die Karten nutzen dieses Mal aber weitaus besser mehrere Höhenebenen und sorgen so für noch mehr Taktik. Aber auch hier schenkte Activision den Spielern sauren Wein ein: Vollkommen überraschend kam die Ankündigung, „Modern Warfare 2“ setze nicht mehr auf das „Dedicated Server“-System. Das bedeutet im Klartext, dass jeweils ein Spieler die Partie auf seinem eigenen PC eröffnet, statt dass alle auf einem dezentralen Activision-Server spielen. Das hat nicht nur Performance-Nachteile für den Spielersteller – kurz Hoster: In den USA haben zahllose Zocker von ihrem Internetprovider für die Tatsache eines laut Nutzerbedingungen des Providers verbotenen Serverbetriebs saftige Nachzahlungen oder gar die Kündigung ihres Accounts bekommen. 

Die Einzelspielerkampagne ist nicht im kooperativen Modus durchspielbar, dafür haben sich die Entwickler eine andere Lösung einfallen lassen. Der Special-Ops-Modus umfasst 23 Missionen, die auf zwei Spieler ausgelegt sind. Manche dieser Missionen sind Levelabschnitte aus der Kampagne, andere wiederum gänzlich neu.

Fazit:

Ich rüttle hier in einem Fazit heute einmal an einem goldenen Thron und frage mich, welche Teufel derzeit Activision/Blizzard oder insbesondere wohl deren CEO Robert Kotick reiten. Letztgenannter kam im letzten Jahr mit einigen halbstarken Meldungen mehr als einmal in die Medien. Ob er nun seinen Angestellten ein mieses Betriebsklima zumutet oder der Meinung ist, Spieler würden noch immer zu wenig für Games bezahlen, wenn es nach ihm ginge. Er tut Activision/Blizzard einen Bärendienst. Und dass Publisher tief fallen können, erlebt gerade Electronic Arts auf schmerzhafte Weise. Was das an sich geniale „Modern Warfare 2“ anbelangt, so sammelt die Firma mit der moralisch äußerst fragwürdigen Flughafenszene nicht nur bei Kritikern Minuspunkte. Die Entwickler gießen auch Wasser auf die Mühlen jener, die das Hobby E-Gaming am liebsten verbieten oder für alles Elend auf dieser Welt verantwortlich machen würden. Es wäre für Activision/Blizzard an der Zeit für einen Gesinnungs- oder gar einen Führungswechsel. Denn noch steht die Firma für Qualität und, zumindest was den Firmenteil von Blizzard anbelangt, für familienfreundliche Unterhaltung. Aber das kann sich rasch ändern, vor allem wenn sogar langgediente hartgesottene Gaming-Redakteure, die schon vieles erlebt haben, von „Modern Warfare 2“ unter dem Gesichtspunkt Moral abraten. Zusammengefasst ist der Titel ein geniales Spiel mit fragwürdiger Präsentation von Gewalt, kundenunfreundlichen Entscheidungen und einer geradezu grenzenlos gefährlichen Überheblichkeit des Publishers. Mehr habe ich dazu nicht mehr zu sagen.

Zur Person Robert Kotick:

Laut einer Aussage im vergangenen Jahr soll es nach Robert Kotick keinen Spaß machen, bei Activision zu arbeiten. “Bei Activision herrscht eine Kultur der Sparsamkeit”, so Kotick. “Als ich vor rund zehn Jahren unzählige Verbraucher-Experten für Activision engagierte, war es mein Ziel, jeglichen Spaß am Produzieren von Videospielen zu unterbinden.” Entsprechend angespannt forciert der Firmen-Chef die allgemeine Unternehmens-Stimmung, basierend auf “Skepsis, Pessimismus und Angst. Activision ist sehr gut darin, den Fokus der Menschen auf die Rezession zu legen”, sagte Kotick. Für sich selbst hat Robert Kotick übrigens im vergangenen Jahr 15 Millionen Dollar erwirtschaftet. Kotick verblüffte die Community im vergangenen Jahr auch mit einer Meldung, der Preis von Videospielen sei zu gering, zumindest aus seiner Sicht – er würde sie noch wesentlich teurer machen. Ob die Idee des Streichens von Dedicated Servern für „Modern Warfare 2“ auf seinem Mist gewachsen ist, darf getrost vermutet werden. Der Preis für das Spiel lag und liegt übrigens bei bis zu 15 Euro über dem Preis vergleichbarer Titel. Selbst der über zwei Jahre alte erste Teil ist noch nicht unter 40 Euro zu haben.

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