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Michael Bübl: Kampf ums Überleben am Schneeberg

Ein Winterraum in der Fischerhütte rettete Michael Bübl und seinem Kameraden in einer Februarnacht das Leben. Der Bergsteiger wollte nur ein paar Stunden seinem Hobby nachgehen und am Nachmittag wieder nach Hause fahren, doch alles kam anders. Uns erzählte der Schlossermeister aus Wien seine dramatische Geschichte.
Bilder von Michael Bübl

War das Ihr erster Trip auf dem Schneeberg?

Nein, ich war schon oft auf unserem „Hausberg“ und übe mein Hobby auch schon seit 20 Jahren aus. Ich bin bestimmt kein Laie auf dem Gebiet, deswegen hat mich die Situation, in die wir gekommen sind, umso mehr überrascht und erschreckt. Der Schneeberg ist zwar nur 2.000 Meter hoch, aber man sollte ihn nicht unterschätzen. Ich war schon auf 5.000 Metern Höhe und habe auch schon so ziemlich jeden Berg in Österreich bestiegen, doch freistehende Berge sind ein ganz anderes Kapitel als Gebirgsketten.

Haben Sie geahnt, dass es bei Ihrer Besteigung zu schlechtem Wetter kommen wird?

Es war ein schöner Tag und es gab kein Anzeichen für Sturm oder Nebel. Bei 1.500 Metern sind wir sogar noch bei der Bergrettungshütte vorbeigegangen. Uns hat niemand gesagt, dass ein Sturm kommen könnte. 200 Meter unter dem Gipfel zog plötzlich ein wahnsinniger Eisregen auf, es wurde bestimmt um 20 Grad kälter, wir konnten durch den Nebel nichts mehr sehen.

Innerhalb von zwei Minuten war es eine ganz andere Situation und wir waren froh, dass wir noch rechtzeitig unsere Handschuhe anziehen konnten. Ein Abstieg mit unseren Skiern war nicht mehr möglich.

Was war Ihre erste Reaktion, als Sie wussten, dass Sie nicht mehr hinunterfahren konnten?

Wir wussten, dass es weiter oben noch eine Hütte gibt, wir waren ja nicht zum ersten Mal am Schneeberg. Wir packten uns ein, hatten einen vollen Rucksack am Rücken inkl. Ski und Skistöcke und machten uns auf den Weg. Zwei bis drei Stunden sind wir marschiert bis wir das Gipfelkreuz erreicht hatten. Dann noch einmal drei bis vier Stunden bis wir endlich die Hütte fanden.

Unter normalen Bedingungen bräuchte man für die Strecke eine halbe Stunde. Ein Anfänger, der den Weg nicht kennt, wäre vermutlich beim Herumirren erfroren.

Haben Sie versucht, die Bergrettung zu alarmieren?

Mit eisig gefrorenen Fingern und Handschuhe, die total verklumpt und vereist sind, kann man kein Handy bedienen. Bei dem Sturm hätte uns außerdem niemand verstanden, abgesehen vom nicht vorhandenen Netz. Sonst hat auch niemand nach uns gesucht. Von unseren Bekannten wusste niemand, dass wir eine Tour am Schneeberg geplant haben. Für fünf Stunden melde ich mich ja nicht ab.

Was ist das Wichtigste in so einer Situation und was hat sich in Ihrem Kopf abgespielt?

Das Wichtigste ist: Bewegung. Wenn wir uns auch nur zwei Minuten ausgeruht hätten, wären wir erfroren. Ich bin ein erfahrener Bergsteiger, aber in diesen Stunden der Orientierungslosigkeit und Kälte hatte ich Angst. Man denkt an seine Freunde, seine Familie und auch ganz banale Dinge. Trotzdem kann man in einer Situation, wo das eigene Leben und das eines Freundes am seidenen Faden hängen, nur auf sich zählen.

Sie haben die Hütte nach mehreren Stunden erreicht. Wie kann man sich so einen Winterraum vorstellen?

Es ist ein Zimmer, ungefähr 10m² groß, mit einer Matratze und einem Tisch darin. Wir haben bis zum nächsten Morgen gewartet und uns gewärmt, so gut es ging. Das banale war nur, dass es zwar einen Heizlüfter gab, der konnte aber nur mit Kleingeld eingeschaltet werden. Bei einem vermeintlich kurzen Trip habe ich bestimmt keine Euromünzen bei mir!

An Schlaf war in der Nacht auch nicht zu denken. Ich hatte unglaubliche Schmerzen…

Hat Sie jemand gerettet?

Nein, uns hat niemand geholfen. Als wir am nächsten Tag mit den Skiern abgestiegen sind, haben wir noch einen Wanderer getroffen, aber der ging vorbei. Ich kann mir auch nicht erklären, wie uns die Bergretter weiter gehen ließen, als wir an der Hütte vorbeikamen. Immerhin müssen sie über Wetterbedingungen Bescheid wissen. Uns hat niemand geholfen!

Haben Sie seit dem Vorfall jemals wieder einen Berg bestiegen?

Ich war seither auf keinem Berg mehr und ich werde auch nie wieder einen besteigen. Ich habe noch immer in zwei Fingern kein Gefühl mehr, was bei meinem Beruf als Schlossermeister mehr als hinderlich ist. An diesem Tag wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie schnell das Leben vorbei sein kann, wie unberechenbar und lebensgefährlich ein vermeintlich kleiner Berg ist.

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