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Leichtes Spiel für Mörder: Jede zweite Bluttat bleibt unentdeckt

Gerichtsmediziner schätzen, dass jeder zweite Mord unentdeckt bleibt.
Gerichtsmediziner schätzen, dass jeder zweite Mord unentdeckt bleibt. ©APA/Edition QVV
Perfekte Morde gibt es nicht - der Staat ermöglicht diese erst. In "Totgeschwiegen" wird mit haarsträubenden Fällen die Pfuscherei bei Obduktionen und Ermittlungen in Österreich schonungslos vor Augen geführt. Kein Wunder, dass jeder zweite Mord übersehen wird.

Österreich ist stolz auf die hohe Aufklärungsrate bei Mordfällen, in den letzten sechs Jahren lag diese immer über 90 Prozent. 2016 konnten sogar alle 141 begangenen Morde geklärt werden. Mann darf sich also hierzulande sicher fühlen, der Staat erledigt seine Aufgabe offenbar mit Bravour.

Was aber, wenn Tötungsdelikte erst gar nicht erfasst werden, weil diese schlicht und einfach nicht als solche erkannt werden? Thomas Trescher sammelte im Buch "Totgeschwiegen" zahlreiche solcher Fälle und lädt den Leser dazu ein, die Kriminalstatistik mit anderen Augen zu sehen. Nach der Lektüre liegt eine bislang heile Welt in Trümmern.

Schockierende Realität: Jeder zweite Mord bleibt unentdeckt

Von der ersten Seite an zweifelt man als Leser immer mehr an jenem System, das eigentlich Opfern von Tötungsdelikten dienen soll. So erfährt man die Geschichten von Eltern oder Kindern von Verstorbenen, die auf eigene Faust und Kosten ermittelten, dabei aber oft an desinteressierten Behörden scheiterten und eine Ablehnung nach der anderen erfahren mussten.

Zahlreiche skandalöse Beispiele, bei denen gerichtsmedizinische Untersuchungen komplett verpfuscht wurden, werden Kapitel um Kapitel geschildert: eine vermeintliche Selbstmörderin, die von ihrem Ex-Freund erwürgt wurde; ein Mann, der sich in den Kopf geschossen haben soll, obwohl er seine Arme nicht heben konnte; ein Toter mit einem Messerstich im Rücken, dem aber ein natürlicher Tod diagnostiziert wurde usw.

Versagen bei der Totenbeschau und Pfusch in der Gerichtsmedizin

Österreichs Problem - so wird erklärt - liegt nicht im Aufklären von Morden, sondern ist bereits eine Stufe davor angesiedelt. Ob ein Fremdverschulden vorliegt, muss zuerst erkannt werden, um danach entsprechende Mordermittlungen einleiten zu können.

Trescher skizziert dazu anhand von Statistiken und Untersuchungen die zunehmenden Missstände in der heimischen Gerichtsmedizin. Darunter fallen grob zusammengefasst der stetige Rückgang von Obduktionen, mangelhaft durchgeführte Totenbeschauen, Einsparungsmaßnahmen und schlampige Polizeiarbeit.

Neben der Problematik nicht erkannter Tötungsdelikte gesellt sich dann noch der böse Verdacht dazu, dass der Staat möglicherweise bewusst nicht genau hinsieht, denn durch die Illusion einer niedrigen Mordrate fühlt sich die Bevölkerung wohl. Ein schwerer Vorwurf, doch aus der Sicht von den zuständigen Politikern durchaus erstrebenswert, oder nicht?

Priklopil & Alijew: Prominente Beispiele fragwürdiger Suizide

Im Buch finden sich auch zwei besonders prominente Fälle, bei denen vermutet wird, dass in Österreich Morde vertuscht werden.

2006 wird der Entführer von Natascha Kampusch, Wolfgang Priklopil, von einem Zug überrollt. Bis heute halten sich die Gerüchte, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits tot war - ermordet von Mitwissern? Diese Spekulationen sind nicht aus der Welt zu schaffen, weil die Obduktion laut Gerichtsmedizinern schlampig durchgeführt wurde. Ob Priklopil bereits tot auf die Gleise gelegt wurde, hätte mit einer einfachen Körpertemperatur-Messung beantwortet werden können, es wurde aber darauf verzichtet.

2015 wird der ehemalige kasachische Botschafter Rachat Alijew tot in seiner Zelle in der Wiener Justizanstalt Josefstadt gefunden, ihm wäre ein Mordprozess bevorgestanden. Die Obduktion ergibt Selbstmord. Bernd Brinkmann, ein bekannter deutscher Gerichtsmediziner, widerspricht jedoch und ist überzeugt: Alijew wurde in seiner Zelle ermordet. Für dieses Urteil musste er nur die Fotos der Leiche sehen. Die Staatsanwaltschaft hielt jedoch an der Suizid-Variante fest, der Akt ist geschlossen.

Alles nur Schein? Autor entzaubert Kriminalstatistik

Fazit: Das Buch "Totgeschwiegen" entzaubert Österreichs Kriminalstatistik. Die geschilderte Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern und Angehörigen der angeführten Fälle macht gleichermaßen traurig und wütend. Die Recherchen von Autor Thomas Trescher offenbaren ein kaputtes System, das es Mördern immer leichter macht, weil gerichtsmedizinische Untersuchungen seltener stattfinden. Was bleibt ist die Enttäuschung und der bittere Beigeschmack, dass man sich weder auf den Staat noch auf die Gerechtigkeit verlassen sollte.

Wir verlosen ein Exemplar des Buches - hier geht's zum Gewinnspiel. Der Gewinner wird per E-Mail verständigt.

Buchtipp:
Totgeschwiegen - Warum es der Staat Mördern so leicht macht
Autor: Thomas Trescher
Verlag: Edition QVV
ISBN: 978-3-200-06546-8

(Red/VKP)

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