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Künstlerkollektiv "The Box" auf Europa-Tournee: Mit Rilke in der U-Bahn

©The Box
We tell dirty stories“ verspricht das international tätige Künstlerkollektiv „The Box“ aus New York auf seiner Website. Wer jetzt Brutalität und harte Sprache erwartet, wird von der gefühlvoll-ästhetischen Darstellung genauso überrascht werden wie vom ungewöhnlichen Zugang der Truppe, der weit über passive Unterhaltung hinausgeht.

So ist es jedenfalls der Österreicherin Esther Sophia Kerbler ergangen, als sie ein Stück der beiden Initiatorinnen Andrea Goldmann und Sara Fay George auf der Bühne erlebt hat. Die Schauspielerin war davon so angetan, dass sie selbst Teil von „The Box“ wurde. Zusammen plant das Kollektiv rund um die drei Frauen im Sommer mit ihrem neuen Stück „Die Stadt Elegies“ – inspiriert vom Leben des Dichters Rainer Maria Rilke – nach Europa zu kommen. fischundfleisch hat mit Esther Sophia Kerbler und Sara Fay George über ihre Arbeit gesprochen.

Sara, du bist künstlerische Co-Intendantin von “The Box”. Wie kam es zur Gründung des Künstlerkollektivs?

Sara: Alles begann mit dem Stück „La Cueca“, das die Autorin Andrea Goldman geschrieben hatte und produzieren wollte. Nachdem wir schon zuvor bei der Shakespeare Company miteinander gearbeitet hatten und auf derselben Wellenlänge waren, hat sie mich eingeladen, dabei zu sein. Daraus entstand 2010 das Künstlerkollektiv „The Box“. Gemeinsam wollen wir die klassische Theaterszene in Frage stellen und mit neuen Formen der Kooperation über die verschiedenen Kunstrichtungen hinaus experimentieren. Wir suchen bewusst die Zusammenarbeit mit internationalen Leuten und haben bereits mit über 50 verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt kollaboriert.

Wie kommt ihr zu diesen Künstlerinnen und Künstlern?

Sara: Vieles ist Networking. Aber ehrlich gesagt kommen die Leute zu uns, sie finden uns. Wir ziehen uns einfach an, weil wir das Selbe wollen und ähnliche Ideen haben.

Was sind das für Ideen?

Sara: Im Zentrum jeden Stücks steht immer eine Frage, die uns alle beschäftigt. Nicht, dass wir sie in unseren Stücken beantworten können, aber wir setzen uns bewusst mit ihr auseinander. Das machen wir, in dem wir die Grenzen zwischen Tanz und Theater, Kunst und Darstellung verschwimmen lassen. So kommt es zum Beispiel, dass bei einem unserer Stücke – “Sometimes at night” – das Bühnenbild von einem Installationskünstler stammt, etwas, das im traditionellen Theater nicht gemacht wird.

Ein anderer Aspekt unserer Arbeit zeigte sich schon bei unserer ersten Produktion „La Cueca“, das im New Yorker Chelsea Art Museum Premiere feierte. Es spielt zur Zeit der Diktatur unter Pinochet. Ein Mann und eine Frau sind in einem unterirdischen Raum gefangen, in dem ihnen langsam die Luft ausgeht. Wie beeinflusst uns der Raum, in dem wir uns bewegen? – das interessiert uns bei „The Box“ sehr. Was macht der Raum mit uns? Nicht nur mit den Charakteren auf der Bühne, sondern auch mit dem Publikum. Die Zuschauer sind bei uns keine passiven Rezipienten, sondern Teil der Aufführung.

Wie findet diese Einbeziehung des Publikums statt?

Sara: Im Fall von „La Cueca“ zum Beispiel wurde das Publikum von Soldaten in den Raum gedrängt und konnte so selbst erleben, wie es sich anfühlt, im Bunker eingesperrt zu sein. Die Aktivierung der Zuschaür ist etwas, das sich in der  Arbeit von „The Box“ wie ein roter Faden durchzieht. Es sieht aber von Stück zu Stück anders aus.

Esther: Man wird selbst Teil der Geschichte und ist nicht nur passiver Konsument. Oft hat man im Theater das Gefühl, dass man belehrt wird und man es sich anschauen „muss“. Wenn es gut gespielt ist, ist das wundervoll. Aber oft bekommt man eine Idee verkauft, zu der man keinen Bezug, die man aber schon tausend Mal gesehent hat. Wenn aber der Künstler direkt mit dem Publikum verbunden ist, dann fühlt man sich als Zuschauer als Teil davon. Das macht das Ganze sehr spannend!

Apropos spannend: Ihr setzt bei eurer Arbeit auch bewusst auf Gegensätze und Unerwartetes. Könnt ihr dafür ein paar Beispiele geben?

Sara: Unser Stück „Wild Horses“, ein Musical, wurde zum Beispiel in einem klassischen Theater in den Hamptons aufgeführt. Es wurde live von einem Pianisten auf dem Klavier begleitet, die Schauspieler waren gleichzeitig Sänger. Eine schöne Atmosphäre, die im krassen Gegensatz zum Inhalt des Stücks steht: Es handelt nämlich davon, die kindliche Unschuld zu verlieren. Deshalb haben wir auf der Bühne auch Müll abgeladen, Bierflaschen, alte Zeitungen und was sonst im Abfall landet. Die Schauspieler haben diesen Müll hergenommen und andere Dinge daraus gemacht.

Klingt interessant, wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

Sara: Die Idee war nicht im Vorhinein auf Papier niedergeschrieben, sondern ist gemeinsam mit dem Ensemble während der Proben entstanden. Dafür haben wir uns mit Müll in ein Zimmer eingesperrt und probiert, was wir mit alten Zeitungen und anderem Abfall machen können. Wir haben gemeinsam geschaut, wie die Schauspieler all das nutzen können, um die Geschichte einer armen Familie zu erzählen. Und dann haben wir auf der Bühne eben aus Zeitungen schöne Kleider gemacht, in denen die Charaktere getanzt haben.

Esther: Ich war als Zuschauerin bei dem Stück dabei und fasziniert. Ich habe schon zuvor die Beschreibung von „Wild Horses“ gelesen und gedacht, dass es brutal zugehen und harte Sprache eingesetzt werden müsse. Das Ganze spielt ja in der Arbeiterklasse, und Schauplatz der Geschichte ist ein Trailer. Das Schöne war dann genau dieser Kontrast: Es wurde eine fast schon poetische Sprache verwendet, man ist gefühlvoll miteinander umgegangen. Etwas, das von der Pianomusik unterstützt wurde. Der Müll diente dazu, miteinander in Kontakt zu treten und sich auszudrücken. Ich fand das hochspannend.

Und dann sind Sie gleich Teil des Künstlerkollektivs geworden?

Esther: Ja, das war Ende 2014. Ich habe die Entwicklung mitverfolgt und war von Anfang an begeistert, weil es bei den Stücken von „The Box“ nicht nur um eine lineare, zeitliche Darstellung einer Geschichte geht, die von A nach B führt. Stattdessen wird auch das Unterbewusstsein angesprochen, das völlig andere Aspekte ans Licht bringt. Die Zeit ist wie ein See, mehrere Sachen passieren gleichzeitig über Sprache, Tanz, Musik. Alles wird hergenommen, um die Geschichte in einer anderen Vollkommenheit auf die Bühne zu bringen.

Ihr neues gemeinsames Stück nennt sich „Die Stadt Elegies“. Worum geht es dabei?

Esther: Das Stück findet statt um 1910, in der Zeit, in der sich Rainer Maria Rilke in Paris aufgehalten und Tagebücher geschrieben hat. Wir haben aus diesen fünf verschiedene Archetypen haben herausgezogen, 5 verschiedene stimmen, die sich durch ihn ausdrücken. Da ist einerseits der harte militärische Vater, seine sensible Mutter, er selbst als Kind mit allen seinen Wünschen, die leidenschaftliche Liebhaberin und Rilke selbst. Diese 5 treten in einer harten Stadtlandschaft in Verbindung und schauen, wie sie etwas teilen können. Sie spielen mit verschiedenen Objekten und schauen, wie die unterschiedlichen Personen darauf reagieren.

Sara: Es sind diese Archetypen, die auf der Suche nach Intimität sind und persönliche Verbindungen miteinander aufbauen möchten.

Wie seid ihr auf dieses Thema gekommen?

Esther: Für mich zeigt „Die Stadt Elegies“ das, was ich in New York täglich erlebe: Einerseits passiert  hier so viel, wir sind ständig kreativem Input ausgesetzt. Aber es ist auch hart und jeder ist auf seinem eigenen Trip, sich selbst zu verwirklichen. Einerseits will man beruflichen Erfolg und kann aus der riesigen Stadt sehr viel Energie und Inspiration bekommen. Das ist wundervoll, aber manchmal ist es schwer, intime persönliche Momente mit Menschen zu teilen. Für mich ist das die entscheidende Frage: Wie kann ich solche Momente kreiieren. Deshalb hat mich das Stück angesprochen.

Sarah: Esther hat den Nagel auf den Kopf getroffen. In diesem Stück geht es um viele Fragen, die sich jeder Mensch stellt. Gerade als Künstler brauchen wir diese Einsamkeit und doch fürchten wir sie, laufen die ganze Zeit vor ihr davon. Sie tut weh, aber wir müssen mit ihr zurecht kommen. Wir müssen unser Innerstes erforschen, unsere eigenen Erfahrungen machen. Und manchmal, wenn wir zum Beispiel in der triesten Ubahn der Stadt als Fremde aufeinander treffen, entsteht eine Verbindung aufgrund dieses geteilten Leids. Wir haben als ueso eine Angst davor, aber es ist etwas, das uns verbindet. Genau diese Verbindung und dieses Mit-Gefühl brauchen wir. Wir müssen es aber zu allererst in uns selbst finden, bevor wir es für andere aufbringen können.

Diese Balance aus Individualität und Miteinander ist aber nicht nur Inhalt des Stücks, sondern findet sich auch im Entstehungsprozess wieder, richtig?

Sara: Genau, zum ersten Mal verwenden wir nämlich kein fertiges Script. Ich habe zwar das Stück konzipiert, aber die Geschichte selbst erschaffen wir zusammen mit dem Ensemble und den anderen KünstlerInnen. Ich bin dabei eine Art „Vision keeper“, damit die verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren.

Esther: Es ist kein klassischer Schreibprozess, sondern wir kommen im Juni in der Hellergarten Residenz in Italien zusammen und finden ein Monat lang gemeinsam heraus, was die Geschichte ist.

Wer wird da mit dabei sein?

Esther: Das sind einerseits Andrea, Sara und ich. Andererseits auch unser Komponist Dani Campus, der die Musik für uns schreiben wird, während wir den Probenprozess beginnen. Dann unsere Regisseurin, die am Moskaür Art Theater studiert hat. Unsere Schauspieler aus Australien und Berlin…

Sara: Dann auch ein Projection Artist aus Berlin, das Bühnenbild erstellt und dafür auch die Videos einer belgischen Filmemacherin nutzen wird, die eine Dokumentation über unsere Arbeit macht.

Mitmachen sollen aber auch die Zuschauer. Inwiefern?

Sara: Nachdem es in den USA keine Unterstützung für Kunst gibt, müssen Künstler ihre Arbeit vollständig selbst finanzieren. Damit „Die Stadt Elegies“ zustande kommt, benötigen wir USD 14.000. Damit decken wir die Reise- und Unterkunftskosten für alle Künstler ab. Viele von ihnen sind ohnehin freiwillig dabei, verdienen nichts, nur weil sie gern bei unserer Sache teilhaben.

Um die Finanzierung zustande zu bekommen, haben wir eine Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen: https://www.indiegogo.com/projects/the-stadt-elegies-euro-tour-summer-2015–2

Esther: Und abhängig davon, mit welchem Betrag man uns finanziell unterstützt, gibt es auch ein Dankeschön von uns! Zum Beispiel bekommt man das Musikalbum zu „Die Stadt Elegies“ oder man kann uns beim kreativen Prozess in Italien zuschauen. Oder man kann mit uns zu Abend essen, bekommt Tickets für die Aufführung oder kann auch bei unseren täglichen Warm-Ups dabei sein.

Das ist aber nicht unsere einzige Geldquelle. Nächste Woche findet zum Beispiel eine Party bei uns in New York statt. Die Location haben wir von Freunden zu Verfügung gestellt bekommen und verschiedene Künstler werden dort auftreten, die uns unterstützen. Jeder kann soviel spenden wie er möchte.

Was passiert, wenn das Geld nicht aufgestellt wird?

Sara: Am Theater sagen wir immer: Letztendlich klappt es immer! Wir wissen zwar nicht wie, aber es klappt! In den vergangenen 5 Jahren gab es manche Hürden, dabei ist es wichtig, immer flexibel und optimistisch zu bleiben. Wir haben immer an uns und unsere Ideen geglaubt – und es hat immer funktioniert!

Dann wird es auch diesmal klappen! Damit wir uns schon jetzt Tickets reservieren können: Wo kann man euch im Juli und August mit „Die Stadt Elegies“ erleben?  

Esther: Um ehrlich zu sein, wollten wir das Stück unbedingt nach Wien bringen. Aber es war schwierig eine Bühne zu finden, die im Sommer offen ist  und die bereit war, uns zu einem Gastspiel einzuladen. Die meisten wollten uns im Herbst einladen oder waren bereits ausgebucht.

Jetzt treten wir im Dusetheater in Asolo in Italien auf. Das ist unser erster Stopp. Von dort geht es vermutlich weiter zum Altofestival nach Neapel, zum Teamtheater nach München und ins Kühlhaus nach Berlin. Darauf freuen wir uns am Meisten. Das ist nämlich ein altes Lagerhaus, das wir ganz nach unserem Geschmack gestalten und bespielen können.

Gibt es also keine Möglichkeit mehr, euch in Wien zu sehen?

Esther: Doch natürlich. Wenn wir eine Bühne haben, die uns koproduziert. Wir haben zwei Theater, die interessiert wären, aber die haben Sommerpause. Wien steht auf der Agenda.

Dann drücken wir die Daumen, dass es doch noch klappt… oder müssen eben nach Italien oder Deutschland kommen. Danke fürs Gespräch und viel Erfolg mit ‚ Die Stadt Elegies’. 

Verfasser:  Doris Neubauer

fischundfleisch ist eine Meinungsplattform, die Stars, Tipps und Jobs bietet. Vienna Online ist Kooperationspartner und unterstützt damit junge und alte Talente.

(Die Texte werden von Fisch und Fleisch zur Verfügung gestellt)

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