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Japan - Kampf gegen Atom-Katastrophe: Radioaktivität in Essen

Rund eine Woche nach dem Erdbeben in Japan und den katastrophalen Störfällen im Atomkraftwerk Fukushima sind erste radioaktiv verstrahlte Lebensmittel aufgetaucht. Daneben warnte die Regierung vor radioaktivem Regen.
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Milch, Spinat und Trinkwasser aus der Umgebung des defekten Kernkraftwerks Fukushima sind stark radioaktiv. Leicht radioaktives Wasser ist sogar im 240 Kilometer entfernten Tokio nachweisbar. Die Werte in Milch, Spinat und Trinkwasser überschritten die zulässigen Höchstgrenzen. Auch in Böden aus der Nähe des Atomkraftwerks waren erhöhte Strahlenwerte gemessen worden.

Die radioaktiven Partikel haben sich weit verteilt: In der südlicheren Präfektur Ibaraki war ebenfalls belasteter Spinat entdeckt worden. Radioaktives Trinkwasser – wenn auch weit unter den Grenzwerten – wurde außer in Tokio auch in fünf weiteren Präfekturen entdeckt. Die Nachrichtenagentur Kyodo nannte die Präfekturen Tochigi, Gunma, Chiba, Saitama and Niigata. Es bestehe dort jedoch keine Gesundheitsgefahr durch das Wasser, selbst wenn man es trinke, teilten das japanische Wissenschaftsministerium mit.

Die Messwerte reichten für radioaktives Jod von 0,27 bis 77 Becquerel (Bq) pro Kilogramm Wasser. Die bekanntgeworden Caesiumwerte waren im einstelligen Bereich. Die Grenzwerte in Japan für Jod beträgt 300 Bq pro Kilogramm Wasser und für Caesium 200 Bq/kg Wasser. Zum Vergleich: Die deutschen Grenzwerte für Milch und Säuglingsnahrung liegen bei 370 Becquerel (Cäsium 134/137) pro Liter beziehungsweise Kilogramm.

Die einzige Erklärung für die radioaktiven Partikel sei das Reaktorunglück von Fukushima, sagte Prof. Michael Atkinson, Leiter des Instituts für Strahlenbiologie im Helmholtz-Zentrum München. Auch der Boden im Umkreis von 30 Kilometern um den Reaktor herum sei kontaminiert, sagte Atkinson. Es seien radioaktives Jod und Caesium nachweisbar. ”Doch die Aktivität des Radiojodids im Bodens scheint abzuklingen. Das ist ein Hinweis darauf, dass im Moment nichts aus dem Reaktor mehr austritt”, erläuterte der Strahlenforscher.

Die radioaktive Belastung von Milch und Spinat stamme vermutlich nicht aus dem winterlichen Boden. Vielmehr könnte die Verstrahlung über die Luft erfolgt sein. So sei es möglich, dass das Futter für die Kühe unter freiem Himmel gelegen habe, meinte Atkinson. “Sie lecken sich aber auch die Haut, auf der die Kontamination gelagert sein könnte.”

Spinat und anderes Gemüse wächst unter anderem unter Plastikplanen, die vom Tsunami weggespült worden waren. Möglicherweise seien die Teilchen über Niederschläge direkt auf die Pflanzen gekommen, meinte Atkinson. Welche Gesundheitsgefahr für Japaner bestehe, sei kaum zu sagen.

Warnung vor radioaktivem Regen

Angesichts erwarteter Regenfälle mit einer möglichen Belastung durch radioaktive Partikel hat die japanische Atomenergiekommission die Bevölkerung der Krisenregion aufgerufen, in ihren Häusern zu bleiben. Das teilte das Büro des Ministerpräsidenten am Samstag mit.

Im Nordosten des Landes werden für Sonntag und Montag Niederschläge erwartet. Nach Angaben der Behörde besteht keine Gesundheitsgefahr, selbst wenn Menschen dem Regen ausgesetzt seien. Dennoch wurde die Bevölkerung aufgerufen, nur in Notfällen bei Regen das Haus zu verlassen und Haare und Haut zu bedecken.

Fieberhafte Arbeiten am havarierten AKW

Mit allen Mitteln versuchten sie, die schwer beschädigten Reaktoren des havarierten AKW zu kühlen, um Kernschmelzen zu verhindern. Nach Einschätzung eines Strahlenexperten trat zuletzt wohl keine massive Radioaktivität mehr aus den Reaktoren aus. Als hätte es das Beben nicht gegeben, vollendet Tokio den höchsten Fernsehturm der Welt.

Die Regierung verkündete am Samstag hoffnungsvolle Botschaften zur Lage im Atomkraftwerk und den am meisten gefährdeten Reaktoren 3 und 4. Am Reaktor 3 habe sich die Situation stabilisiert, sagte Regierungssprecher Yukio Edano. Die Kühlung von außen durch Wasserbeschuss zeige Wirkung. In dem Reaktorbecken habe man jetzt mehr Wasser festgestellt. Am Samstag spritzten Armee und Feuerwehr mit Spezialfahrzeugen mehr als tausend Tonnen Meerwasser auf den Reaktor 3. Es ist der einzige Fukushima-Meiler, der über sogenannte MOX-Brennelemente mit hoch giftigem Plutonium verfügt. Auch Reaktor 4 sollte von außen mit Wasser gekühlt werden. Am vergangenen Samstag gab es die erste Explosion in Fukushima als Folge der Naturkatastrophe.

Gleichzeitig versuchen Techniker, die Kühlsysteme einiger Reaktoren wieder in Gang zu setzen. Stromkabel wurden inzwischen bis zu den Reaktoren 1 und 2 verlegt. Der Reaktor 2 sollte als erster an die Stromversorgung angeschlossen werden.

In die Dächer der Reaktoren 5 und 6, in denen ältere Brennstäbe lagern, wurden Löcher gebohrt, durch die Wasserstoff entweichen kann, ohne dass er explodiert. Die Kühlbecken dort wurden mit Notstrom aus Dieselgeneratoren des Reaktors 6 gekühlt. Zuletzt hatte die Nachrichtenagentur Kyodo am Samstag gemeldet, dass die Temperatur im Kühlbecken von Block 5 sinke.

Sollte es eine komplette Kernschmelze in einem der Reaktoren 1 bis 3 oder in einem der vier Kühlbecken geben, wird das gesamte Gelände nach Experteneinschätzung so verstrahlt, dass Menschen dort nicht mehr arbeiten können. Dann dürften auch die anderen Reaktoren völlig außer Kontrolle geraten. Eine vielfache Kernschmelze wäre die Folge.

Zahl der Toten steigt und steigt

Die Suche nach den Opfern des Tsunamis vom Freitag vor einer Woche ging weiter. 10.902 Menschen galten am Samstag noch als vermisst. Nach Angaben der Polizei wurden 7.197 Todesopfer gezählt. Jeden Tag werden Hunderte Leichen in den Trümmern der zerstörten Siedlungen gefunden.

Die Gemeinden in den japanischen Unglücksgebieten haben nach dem Erdbeben und Tsunami ein Problem mit den vielen Toten. Einem Bericht der Zeitung “Yomiuri” zufolge sind die Krematorien überfordert. In den betroffenen Provinzen werde nun überlegt, die Toten zu beerdigen, was in Japan sonst nicht üblich ist, weil es fast nur Feuerbestattungen gibt.

Der Bau von Baracken für die Überlebenden begann vielerorts mit Problemen. Weil Benzin und Diesel knapp seien, konnte Baumaterial nicht geliefert werden, berichtete die Agentur Kyodo.

Während Retter fieberhaft versuchen, den Überlebenden zu helfen, kommt die Erde in Japan nicht zur Ruhe. Dem Erdbeben mit der Stärke 9,0 vom vergangenen Freitag sind so viele Nachbeben gefolgt wie nie zuvor. 262 Mal habe die Erde in der Woche danach mit der Stärke 5 oder mehr gebebt, teilte das Meteorologische Institut in Japan am Freitag nach Angaben von Kyodo mit.

Japans Bauindustrie überrascht inzwischen mit einer Rekordmeldung. In Tokio beendeten Bauarbeiter trotz des Erdbebens den Bau eines neuen Fernsehturms mit einer Weltrekordhöhe von 634 Metern. Der Rohbau hatte den Mega-Erdstoß unbeschadet überstanden. (APA)

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