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Israel nimmt „gezielte Tötungen“ wieder auf

Mit einem gezielten Raketenangriff hat die israelische Luftwaffe am Dienstag versucht, einen Wortführer der palästinensischen Gegner des Nahost-Friedensprozesses zu beseitigen.

Hamas-Sprecher Abdelaziz Rantisi wurde bei dem Luftangriff im Zentrum der Stadt Gaza am Bein verletzt. Nach Angaben von Ärzten wurden drei Palästinenser getötet, darunter ein Baby. Insgesamt wurden mehr als dreißig Menschen verletzt, unter ihnen Rantisis Sohn und drei Leibwächter des prominenten Hamas-Funktionärs. Der Raketenangriff hat sogleich schwere Differenzen innerhalb der israelischen Regierungskoalition hervorgerufen. Die liberale laizistische Shinui-Partei von Vizepremier Tommy Lapid will die Wiederaufnahme der umstrittenen „gezielten Tötungen“ nicht zulassen.

Der von den USA gemeinsam mit UNO, EU und Russland entworfene internationale Friedens-Fahrplan für den Nahen Osten verpflichtet Israel, Kollektivstrafen in den besetzten Gebieten ebenso wie „gezielte Tötungen“ einzustellen. Am Montag hatte die israelische Armee in der palästinensischen Ortschaft Beit Hanun im Gaza-Streifen neuerlich 13 Wohnhäuser zerstört. Diese gehörten teilweise Familien von Selbstmordattentätern. Der jordanische König Abdullah II. hatte Israel in der vergangenen Woche eindringlich aufgefordert, unverzüglich damit aufzuhören, „Palästinenser zu töten und ihre Häuser zu zerstören.“

Drei israelische Kampfhubschrauber des Typs „Apache“ feuerten am Dienstag mindestens sieben Raketen auf das Stadtzentrum von Gaza ab. Das Auto Rantisis wurde laut Augenzeugen von mindestens einer Rakete getroffen und ging in Flammen auf. Der israelische Infrastrukturminister Josef Parizki von der Shinui-Partei sagte in Jerusalem: „Zu einem Zeitpunkt, zu dem wir mit den Palästinensern verhandeln und (Ministerpräsident Mahmud) Abbas (Abu Mazen) stärken wollen, sollten wir keine Aktionen unternehmen, die seine (Abbas’) Position auf der palästinensischen Straße schwächen.“ Die linksliberale Oppositionspartei Meretz warf der Regierung von Ministerpräsident Ariel Sharon vor, von Frieden zu sprechen und gleichzeitig alles zu tun, um eine Versöhnung mit den Palästinensern zu verhindern.

Der palästinensische Informationsminister Nabil Amr beschuldigte Israels Führung, „alle politischen Bemühungen um eine Beruhigung der Region zu torpedieren und den Gaza-Streifen in Brand zu setzen“. Der Sonderberater von Präsident Yasser Arafat, Nabil Abu Rudeina, sprach von einem „schlimmen Schritt, der beweist, dass Israel den internationalen Friedensplan sowie die Ergebnisse der Gipfel von Akaba und Sharm el Sheikh zerstören will“. Staatsminister Yasser Abed Rabbo rief die USA zur sofortigen Intervention auf.

Israels Verteidigungsminister Shaul Mofaz schloss eine Ausweisung Arafats nicht aus. Der frühere Generalstabschef sagte vor einem parlamentarischen Ausschuss, in der „nahen Zukunft“ könnte ein solcher Schritt notwendig werden. Zu dem Raketenangriff in Gaza wollte Mofaz nicht Stellung nehmen. Eine nach der Sitzung anberaumte Pressekonferenz ließ er kurzfristig absagen und verließ eilig das Parlamentsgebäude.

Die Hamas („Bewegung des Islamischen Widerstandes“) kündigte umgehend Vergeltung an. „Dieses Verbrechen wird nicht ungesühnt bleiben“, sagte der Hamas-Funktionär Mahmud Sahar. „Es ist wie ein Erdbeben, das Israel erschüttern wird“. Jetzt werde es weitere Angriffe auf Israel geben. Hamas und zwei andere radikale Organisationen hatten es am Wochenende abgelehnt, der Aufforderung der palästinensischen Regierung Folge zu leisten und die bewaffnete Intifada zu beenden. Hamas, Islamischer Heiliger Krieg und Al-Aksa-Märtyrerbrigaden bekannten sich am Sonntag zu einem Überfall auf einen Armeeposten, bei dem am Rand des Gaza-Streifens vier israelische Soldaten und die drei Angreifer getötet wurden.

Unmittelbar nach der Räumung von nicht genehmigten so genannten Vorposten durch die israelische Armee haben jüdische Siedler eine Ortschaft im besetzten Westjordanland wieder aufgebaut. „Wir haben es versprochen und es auch getan“, erklärte der „Siedlerrat von Judäa, Samaria und Gaza“ am Dienstag. Bei der wieder errichteten Kleinsiedlung handle es sich um den Außenposten Amona-Nord im Westjordanland. Nach Angaben von Vize-Verteidigungsminister Zeev Boim hatte die israelische Armee in der Nacht auf Dienstag neun Vorposten geräumt; sechs weitere sollten folgen.

Der Friedens-Fahrplan, der bis 2005 zur Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates führen soll, fordert die Beendigung des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus bereits in der ersten der drei Phasen. Seit dem Regierungsantritt von Ministerpräsident Sharon im März 2001 haben Siedler mehr als 60 ungenehmigte „Vorposten“ in der Nähe ihrer Siedlungen gebaut. In 150 größeren Siedlungen im Westjordanland und Gaza-Streifen leben etwa 230.000 Israelis. Nach internationalem Recht (Vierte Genfer Konvention) ist der Transfer der Bevölkerung der Besatzungsmacht in besetztes Gebiet generell illegal.

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