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Impfung: Coronavirus "nicht die einzige Gefahr"

In Österreich gibt es immer noch einige Impflücken.
In Österreich gibt es immer noch einige Impflücken. ©APA/dpa
Experten in Österreich warnen, dass durch das Coronavirus der Blick auf andere Krankheiten verstellt wird. Es gebe immer noch Defizite bei Kinder-Schutzimpfungen und vielen anderen Viren.
Kurz: "Wird keine Impfpflicht geben"

Die Covid-19-Pandemie mit noch gar nicht vorhandener schützender Vakzine darf nicht den Blick darauf verstellen, dass in Österreich große Impflücken insgesamt bestehen. Jetzt wäre die richtige Zeit, Defizite bei den Kinder-Schutzimpfungen, bei Influenza, Pneumokokken, Keuchhusten etc. generell zu beseitigen, hieß es Montag bei einem Gespräch der Österreichischen Plattform Patientensicherheit in Wien.

"Man darf die Errungenschaften der Schutzimpfungen nicht vernachlässigen. Wir haben (im Mai 2019; Anm.) eine allgemeine Impfpflicht für Infektionskrankheiten, die schwere Folgen haben können, empfohlen", sagte Christiane Druml, Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission. Bereits 2014 habe das Gremium auf die Probleme mit den Schutzimpfungen in Österreich hingewiesen, 2015 die Verantwortung der Beschäftigten im Gesundheitswesen betont. 2019 hätte man - "eine Woche vor 'Ibiza'" - schließlich mit Bezug auf die zu geringe Durchimpfungsrate bei den Masern und mit Hinblick auf Daten, wonach in Österreich rund 80.000 Kinder ohne sämtliche Impfungen lebten, die Empfehlung für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Das sei aber im damaligen politischen Wirbel größtenteils der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit entgangen.

"Nicht für generelle Impfpflicht"

"Wir sind nicht für eine generelle Impfpflicht. Bis dahin wäre noch viel zu tun", sagte Brigitte Ettl, Präsidentin der Österreichischen Plattform Patientensicherheit. Die Ärztin, die im Wiener Gesundheitsverbund seit vielen Jahren leitende Funktionen einnimmt: "So sollte die Information verbessert werden. Menschen, die sich für die Tätigkeit in Gesundheitsberufen interessieren oder in Gesundheitsberufen beschäftigt sind, sollten bei Eintritt und auch während ihrer Tätigkeit auf den bestehenden Impfschutz überprüft werden. Es gibt ja auch eine Empfehlung der WHO, dass jeder Arzt-Patienten-Kontakt zur Überprüfung des Impfschutzes benutzt werden sollte."

In Österreich bestehen bei den Schutzimpfungen insgesamt weiterhin erhebliche Mängel auf vielen Ebenen. Ursula Wiedermann-Schmidt, Vakzinologin an der MedUni Wien: "Die Influenza-Impfung ist da ein Schlusslicht. Da sind wir immer bei weniger als zehn Prozent Durchimpfungsraten gelegen. Bei den Kinderimpfungen haben wir bei der ersten Sechsfach-Impfung eine relativ gute Akzeptanz. Bei der zweiten Masern-Mumps-Röteln-Impfung liegen wir weit unter der erforderlichen Durchimpfungssrate von 95 Prozent."

Impfung liegt noch in der Zukunft

Influenza, Masern, Keuchhusten, Pneumokokken - das sind Bereiche, in denen Österreich bei den Immunisierungen - mit oder ohne Covid-19 - in vielen Bevölkerungs- und Altersgruppen deutlich aufzuholen hätte. "Das ist jetzt eine Chance, dass man die Wichtigkeit der Impfungen generell wieder mehr erkennt und sich nicht nur auf Covid-19 konzentriert", erklärte die Expertin. "Man hat ja gesehen, dass vor allem bei den Kindern große Impflücken entstanden sind, weil man (mit dem Lockdown; Anm.) plötzlich nicht mehr zum Arzt gegangen ist."

Eine Fixierung auf potenziell schützende SARS-CoV-2- bzw. Covid-19-Impfstoffe ist derzeit umso absurder, als es überhaupt noch keinen absehbaren Zeitpunkt für eine Erhältlichkeit solcher Vakzine gibt. Ursula Wiedermann-Schmidt: "Man wird vielleicht im Frühjahr nächsten Jahres die ersten Zulassungsverfahren abgeschlossen haben. Es ist zu erwarten, dass es ein, zwei oder drei Produkte gleichzeitig geben wird. Man geht aber nicht davon aus, dass wir in der Lage sein werden, ein Konzept gleich für die gesamte Bevölkerung zu haben."

Selbst wenn die ersten SARS-CoV-2-Impfstoffe auf den Markt kommen, bei erwartungsgemäß notwendigen zwei Teilimpfungen bedeutet das weltweit einen riesigen Produktionsbedarf. Außerdem muss in den laufenden klinischen Studien der Phase III (Wirksamkeit, Sicherheit; Anm.) auch erst geklärt werden, wie hoch der Schutzeffekt über alle Altersgruppen hinweg ist.

Laut der Wiener Vakzinologin werden derzeit von der deutschen Impfkommission STIKO und - daran angelehnt - auch vom österreichischen nationalen Impfgremium Modelle für eine Covid-19-Impfkampagne entwickelt. "Dann wird es zu einer Priorisierung kommen. Das werden ältere Menschen und Risikopersonen sein. Zweitens Angehörige des Gesundheits- und Pflegepersonals (Altenbetreuer; Anm.), ebenso Beschäftigte in sozialen Einrichtungen."

Die Sicherheitsaspekte rund um eine allfällige Covid-19-Impfung müssten jedenfalls penibel beachtet werden, betonte Christiane Druml: "Das einzige, was zu beschleunigen ist, sind die administrativen Abläufe." Hier können die Arzneimittel-Zulassungsbehörden viel helfen. Das darf aber nicht auf Kosten der Qualität der klinischen Studien mit Kandidat-Vakzinen gehen.

(APA/red)

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