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Impfstoffraub

Der heutige Gastkommentar von Johannes Huber.
Der heutige Gastkommentar von Johannes Huber. ©dpa-Zentralbild/Patrick Pleul
GASTKOMMENTAR VON JOHANNES HUBER. Vordrängeln gehört weder verniedlicht noch hinterher legitimiert, sondern kriminalisiert. Zu ernst ist das, worum es hier geht. 

Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die sich bereits gegen Corona impfen lassen haben, werden so zahlreich, dass man sie kaum noch einzeln erwähnen kann. Im Übrigen würde das nur davon ablenken, dass es – wie in Wien – auch Bedienstete gibt, die ihre Zugriffsmöglichkeiten dazu nützen, Angehörige ebenfalls schützen zu lassen. Gemeinhin wird das, was sie tun, als Vordrängeln bezeichnet. Das ist jedoch verniedlichend und wird der Sache nicht gerecht; in Wirklichkeit handelt es sich um Diebstahl und gehört daher auch kriminalisiert.

Ein Blick auf die Corona-Daten der staatlichen Gesundheitsagentur AGES bestätigt Erschreckendes: Für ältere Menschen ist eine Erkrankung lebensgefährlich. Besonders für Männer. In Wien ist bisher jeder sechste 75- bis 84-Jährige und fast jeder dritte ab 85-Jährige gestorben. Aus sehr guten Gründen ist daher festgelegt worden, den wenigen Impfstoff, den es gibt, zuerst etwa Heimbewohnern, Ärzten und weiteren Vertretern des Gesundheitswesens zu verabreichen. 

Wirtschaftlich ist eine Impfung unendlich viel wert: Wer seit Monaten daran gehindert wird, groß zu verreisen oder überhaupt erwerbstätig zu sein, könnte schnell einmal bereit sein, ein paar Tausend Euro hinzulegen, um besser heute oder morgen als irgendwann einmal in ein paar Monaten dranzukommen. Hier geht es um Existenzen. Nur damit Leute wie der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) wissen, welches Unrecht sie zu Recht erklären wollen, wenn sie hinterher meinen, das Vorgehen gewisser Bürgermeister legitimieren zu müssen. 

„Mit jeder Impfung nähern wir uns Schritt für Schritt der Normalität“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am 27. Dezember; das war seinen Angaben zufolge ein „historischer Tag“, weil hier der erste Stich gesetzt worden ist. Wörtlich genommen bedeutet dies, dass jeder, der sich vordrängt, zumindest einen verdrängt, der es dringender brauchen würde; und dass er damit einen weiteren Schwerkranken oder gar Toten genauso riskiert wie ein noch längeres Warten auf das Ende dieser verdammten Pandemie. 

Natürlich: Das ist abstrakt. Ein „schwarzes Schaf“ macht nicht viel aus. Schön langsam wird jedoch eine Masse daraus. Und daher wären Kurz und Co. gut beraten, sich nicht nur „wütend und zornig“ zu zeigen oder sich von Leuten wie Haslauer an der Nase herumführen zu lassen, sondern durchzugreifen: Wer sich Impfstoff verabreichen lässt, der für andere vorgesehen ist, gehört bestraft; vor allem, wenn er in diesem Zusammenhang seine Möglichkeiten als Amtsträger missbraucht. 

Auch wenn es sich gerade bei Bürgermeistern zum Teil um Parteifreunde handelt: Wolfgang Matt (Feldkirch, ÖVP) will ebenso nur eine übriggebliebene Dosis bekommen haben wie Leopold Schilcher (Bad Goisern, SPÖ). Zufällig wollen sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen sein. Fehlt nur noch, dass sie sich Dankbarkeit dafür erwarten, dass man aufgrund ihrer Bereitschaft, sich impfen zu lassen, nichts wegschmeißen musste. So weit gehen sie dann doch nicht mehr; im Gegenteil, zunehmend bringen zumindest sie ein Bedauern dafür zum Ausdruck, was sie getan haben.  

Die Ausreden waren und sind einfach zu billig. Thomas Czypionka, Gesundheitsexperte vom Institut für Höhere Studien (IHS), war so freundlich, einen Service-Tweet abzusetzen bzw. aufzuklären, dass eine aufgetaute Impfdose im Kühlschrank fünf Tage lang hält; ist sie einmal gelöst, würden noch immer sechs Stunden bleiben – „also genug Zeit, Leute zu rekrutieren, die priorisiert sind“, so Czypionka.  

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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