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Heftige Kritik an 12-Stunden-Tag reißt nicht ab: Kurz mahnt zur Sachlichkeit

Die Proteste gegen den 12-Stunden-Tag gehen weiter.
Die Proteste gegen den 12-Stunden-Tag gehen weiter. ©APA/GEORG HOCHMUTH
Die Proteste über die Regierungspläne zur Arbeitszeitflexibilisierung gehen weiter: Am Mittwoch postierten sich Demonstranten vor dem Kanzleramt in Wien mit Schildern, auf denen die Zahlen 12 und 60 durchgestrichen waren, für Samstag ist eine Groß-Demo in Wien geplant. Bundeskanzler Kurz mahnt unterdessen zu Sachlichkeit in der Debatte.
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Die Regierung ist am Mittwoch vor ihrer Sitzung im Bundeskanzleramt von Demonstranten gegen den 12-Stunden-Tag empfangen worden. Im Pressefoyer verteidigten die Koalitionsspitzen ihre Pläne zur Arbeitszeitflexibilisierung. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) rief alle Beteiligten einmal mehr zur Sachlichkeit auf – es sei weder angebracht, zu jubeln, noch mit “falschen Fakten” Ängste zu schüren.

Demonstranten des ÖGB hatten sich am Vormittag mit Schildern, auf denen die Zahlen 12 und 60 durchgestrichen waren, vor dem Kanzleramt postiert, um gegen die Pläne zur Arbeitszeitflexibilisierung zu protestieren. Für Samstag plant die Gewerkschaft eine Groß-Demo in Wien.

Kurz: “Niemand kann gezwungen werden, länger zu arbeiten”

Er finde es gut, dass in Österreich jeder die Möglichkeit habe, seine Meinung kundzutun, betonte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Er bekräftigte aber auch, dass auch mit den vorgelegten Neuerungen die Normalarbeitszeit bei acht Stunden pro Tag bleibe. Es werde auch noch einmal eine Präzisierung geben, damit nichts falsch verstanden werden könne. Am Ende des Tages werde aber das Parlament eine Entscheidung treffen, das schließlich von der Bevölkerung legitimiert sei.

“Niemand kann gezwungen werden, länger arbeiten zu müssen”, versuchte auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) zu beruhigen. Wenn das Gesetz erst einmal in Kraft sei, werde die “Panikmache” wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen, ist er überzeugt. Die Panikmacher sieht der FPÖ-Chef offensichtlich vor allem in der SPÖ, zu der er unter anderem anmerkte, dass diese selbst im “Plan A” eine Arbeitszeitflexibilisierung gefordert habe. Die Kritiker erinnerte er daran, dass laut EU-Vorgabe in einem Zeitraum von 17 Wochen die durchschnittliche Arbeitszeit ohnehin 48 Wochenstunden nicht überschreiten darf. Schön langsam wisse er, warum man bei der Matura in Mathematik so schlecht abschneide, witzelte er: “Wenn man der SPÖ zuhört, da muss man ja mathematisch scheitern.”

Aufregung um 12-Stunden-Tag flacht nicht ab

Am Mittwoch meldete sich die zuständige Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) zu Wort, um die Freiwilligkeit zu betonen. “Bei der 11. und 12. Stunde kann der Arbeitnehmer ja Nein sagen”, so Hartinger-Klein der “Kleinen Zeitung”. Auf die Frage, wie oft eine Billa-Verkäuferin ablehnen kann bevor sie gekündigt wird, sagte Hartinger-Klein: “Sie wird den Job nicht verlieren. Wenn sie dreimal Nein sagt und der Arbeitgeber kündigt sie, dann wird sie beim Sozialgericht gewinnen”.

Dass die Betriebsräte nicht eingebunden werden, begründete die Ministerin damit, dass es oft so sei, “der Betriebsrat etwas anderes will als der einzelne Arbeitnehmer”. Die Sozialpartner seien jetzt gefordert, sozialen Unfrieden abzuwenden.

AK-Umfrage zeigt: Druck und Arbeitspensum werden ansteigen

Eine IFES-Umfrage im Auftrag der Arbeiterkammer unter Betriebsräten kam laut ORF-Radio unterdessen zum Schluss, dass Druck und Arbeitspensum steigen. Bei einer Änderung der Arbeitszeitmodelle sehen die befragten Belegschaftsvertreter größere Gefahren für die Arbeiter als für die Angestellten. “52 Prozent der Betriebsräte sagen, ausgehend von einem ohnehin schon sehr hohen Belastungsniveau, dass Arbeitsdruck und Arbeitsmenge sich im letzten Jahr erhöht haben”, sagte Georg Michenthaler vom IFES-Institut.

Die Gewerkschaft vida warnte per Aussendung davor mit der 60-Stunden-Woche das Vereinsleben sowie das ehrenamtliche Engagement in Freiwilligen Feuerwehren zu gefährden. vida-Chef Roman Hebenstreit rief die Feuerwehr-Verbände auf, am 30. Juni in Wien mit zu demonstrieren. Die Wirtschaftskammer rückte daraufhin zur Beruhigung aus: Österreichs Betriebe hätten Verständnis für Freiwilligenarbeit, es seien auch Einsätze während der Arbeitszeit möglich.

Pendler von neuer Arbeitszeitenregelung stark betroffen

Die Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl richtete indes den Blickwinkel auf die Pendler: Für Autofahrer steige die Unfallgefahr nach überlangen Arbeitszeiten und die Öffi-Pendler hätten außerhalb der Hauptverkehrszeiten mit langen Wartezeiten zu rechnen. Das Pendlerforum Burgenland beschloss zudem eine Resolution gegen die 60-Stunden-Woche. Der Obmann und SPÖ-Landtagsabgeordnete Wolfgang Sodl, forderte ein “Stopp des ‘Drüberfahrens'” und Verhandlungen auf Augenhöhe.

In vielen Unternehmen finden dieser Tage Betriebsversammlungen statt. So beschlossen am Dienstag bei Siemens in Wien rund 1.200 Mitarbeiter – laut Gewerkschaft Pro-Ge ohne Gegenstimme – “bis zum Inkrafttreten des Gesetzes und auch danach weitere gewerkschaftliche Maßnahmen”.

Opposition traf sich zu Gipfel ohne Regierungsvertreter

Die Opposition hat sich Mittwochnachmittag zu einem Gipfel zur Arbeitsflexibilisierung getroffen. Vertreter der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ waren der Einladung – offiziell aus Termingründen – allerdings nicht gefolgt. Dementsprechend enttäuscht gab sich NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker, der das Treffen initiiert hatte. Er warf den Regierungsfraktionen “totale Gesprächsverweigerung” vor.

Auch wenn sich die Oppositionsparteien bei der generellen Ausweitung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden nicht einig sind, sehen sie doch einige Gemeinsamkeiten beim Thema. “Wir treffen uns bei bestimmten Punkten”, sagte etwa Daniela Holzinger-Vogtenhuber von der Liste Pilz. Es gehe darum, bei der Arbeitszeit auf die Lebensrealitäten der Menschen einzugehen. Zudem dürfe man nicht “ein Modell über alle Branchen drüberziehen”.

Auch für Loacker macht es einen großen Unterschied, wie die einzelnen Branchen betroffen sind. So könne man Büroangestellte mit Gleitzeit nicht mit Schichtarbeitern in einen Topf werfen. Wirtschaft, Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssten beim Thema Hand in Hand gehen und die Arbeitszeit auf Augenhöhe verhandeln, verlangt seine Fraktionskollegin Karin Doppelbauer.

Eine “ausreichende, faire Begutachtung” will SPÖ-Vertreter Josef Muchitsch. Die Regierung plane Maßnahmen, die weniger mit einer Flexibilisierung der Arbeitszeit als mit deren Verlängerung zu tun hätten. Auch die angedachte “Freiwilligkeit” sieht er in der Realität nicht kommen, etwa aufgrund der Abhängigkeit vom Arbeitsplatz oder der Solidarität mit Kollegen. Derzeit herrsche jedenfalls große Unsicherheit bei der Rechtssicherheit.

(APA/Red)

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