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Guantanamo: Schließung gefordert

Ein Expertenteam der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen hat die US-Regierung aufgefordert, das Gefangenenlager auf dem US-Militärstützpunkt Guantànamo unverzüglich zu schließen.

In ihrem Bericht, der am Donnerstag in Genf veröffentlicht wurde, stellen die fünf internationalen Völkerrechts- und Menschenrechtsexperten fest, dass einzelne Verhörpraktiken, von denen ihnen ehemalige Insassen des Lagers berichtet hatten, einer Folterung gleichkämen. Die allgemeinen Bedingungen in Guantànamo, darin eingeschlossen die Ungewissheit über die Dauer der Festhaltung, stelle eine „unmenschliche Behandlung“ der Gefangenen dar. Die gegen Hungerstreikende angewandte Zwangsernährung laufe deren Menschenrecht auf Gesundheit zuwider. „Die Regierung der Vereinigten Staaten sollte das Gefangenenlager Guantànamo Bay ohne jeden Verzug schließen“, heißt es in einer der Schlussfolgerungen des Berichts.

Die Experten kritisieren auch die Anwendung von unnötiger Gewalt gegen Gefangene, die Überstellung von Gefangenen in Länder, in denen ihnen ernsthaft Folter droht, und die Verletzung ihrer religiösen Gefühle durch das Militärpersonal in Guantànamo. Der Bericht zitiert Zeugenaussagen, nach denen der Koran getreten und zerrissen worden sein soll und sich weibliche Verhöroffiziere den Gefangen in sexuell anrüchiger Weise genähert haben sollen. Die Mehrheit der Guantanamo-Gefangenen wird ohne Anklage auf dem Militärstützpunkt auf Kuba festgehalten. Auch der britische Kronanwalt Lord Peter Goldsmith hatte den USA wegen der Behandlung der Häftlinge vorgeworfen, gegen elementare Grundsätze des Rechtsstaates zu verstoßen. Der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete ehemalige US-Präsident Jimmy Carter hatte in einem Beitrag für die „Washington Post“ über Guantanamo geschrieben: „All das passt zu Unrechtsstaaten, die von amerikanischen Präsidenten in der Vergangenheit immer verurteilt worden sind.“

Die UNO-Berichterstatter ziehen auch die Rechtsgrundlage in Zweifel, mit der die USA mehrere hundert so genannte feindliche Kämpfer inhaftiert hält. Die USA haben seit Anfang 2002 mehr als 750 Männer nach Guantànamo gebracht, die sie in Afghanistan und Pakistan aufgegriffen und als feindliche Kämpfer eingestuft hatten. Etwa 250 davon wurden inzwischen entlassen. Der weltweite Kampf gegen den Terrorismus stelle, so der Bericht, „keinen bewaffneten Konflikt“ dar, der eine Internierung von Kriegsgefangenen für die Dauer des Konflikts rechtfertigen würde. Die zeitlich unbefristete Festhaltung der Gefangenen ohne Anklage und ohne Zugang zu Rechtsmitteln komme in diesem Zusammenhang einer Verletzung internationaler Menschenrechtskonventionen gleich, denen auch die USA beigetreten seien. Die Verhandlung von bisher wenigen Fällen vor nicht öffentlichen Militärrichter-Ausschüssen missachte wiederum das Recht der betroffenen Guantànamo-Häftlinge auf ein faires Verfahren.

Das Expertenteam war im Jänner 2002 von der UNO-Menschenrechtskommission in Genf eingesetzt worden, um die Situation der Gefangenen in Guantànamo zu beobachten. Eine Einladung der US-Regierung, die Anlage zu besuchen, schlugen die Experten aus, weil die US-Behörden keine Gespräche mit Insassen unter vier Augen zulassen wollten. Ihren Bericht stützen sie unter anderem auf Interviews mit ehemaligen Guantànamo-Gefangenen, die heute in Frankreich, Spanien und Großbritannien leben, und auf Gespräche mit Anwälten.

Die Behandlung von terrorverdächtigten Gefangenen in Guantànamo grenzt an „Folter oder zumindest unmenschliche Behandlung“, erklärte der österreichische UNO-Berichterstatter Manfred Nowak in einem Gespräch mit der Zeitung „Der Standard“ (Donnerstag). „Das Pentagon hat bestimmte Verhörmethoden in Guantànamo autorisiert, die in ihrer Kombination von internationalen Organisationen als Folter oder zumindest unmenschliche Behandlung qualifiziert wurden“, dazu gehöre, dass Gefangene extremen Temperaturen und auch langer Isolationshaft ausgesetzt würden. Nowak bestätigte, dass hungerstreikende Gefangene zum Teil mit besonders schmerzhaften Methoden und besonders dicken Schläuchen durch die Nase zwangsernährt würden. Diese Praxis, bei der auch Blutungen aufträten, werde nach Meinung der Betroffenen und ihrer Anwälte bewusst gewählt, um sie vom Hungerstreik abzuhalten.

Die US-Regierung hatte bereits am Dienstag, als amerikanische Medien im Voraus aus dem Bericht zitierten, die darin enthaltenen Vorwürfe zurückgewiesen. Zu einer inzwischen nicht wesentlich veränderten Rohfassung des Berichts nimmt Washington in einem dem Bericht hinzugefügten Annex Stellung. „Wir weisen die meisten Inhalte und Schlussfolgerungen des UN-Berichts als juristisch irrelevant und einer klaren Faktengrundlage entbehrend kategorisch zurück“, heißt es darin.

Auch Europäisches Parlament für Schließung

In einer am Donnerstag behandelten Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Menschenrechtsverletzungen in Guantanamo wird die Regierung der Vereinigten Staaten aufgefordert, das Gefangenenlager zu schließen. Außerdem müssten alle Gefangenen unverzüglich in einer fairen und öffentlichen Verhandlung vor ein zuständiges und unparteiisches Gericht gestellt werden.

„Die fünf Sachverständigen der UN-Menschenrechtskommission sind in ihrem kürzlich veröffentlichten Bericht eindeutig: Guantanamo muss ohne weitere Verzögerung geschlossen werden. Dieser Forderung schließt sich das Europäische Parlament selbstverständlich an“, erklärte der SPÖ-Europaabgeordnete Karin Scheele laut einer Aussendung am Donnerstag.

„Seit 2001 wurden insgesamt 760 Gefangene in das Gefangenenlager gebracht. Davon sind derzeit noch etwa 500 inhaftiert. Nur gegen zehn dieser 500 wurde bisher Anklage erhoben und das von einem eigens eingerichteten US-Militärtribunal“, so Scheele.

Die Entschließung des Europäischen Parlaments unterstreicht außerdem, dass jede Form von Folter oder Misshandlungen zu verurteilen ist. „Das sind eklatante Verletzungen der Genfer Konvention, die nicht hingenommen werden dürfen“, so Scheele. „Die Bush-Regierung muss einsehen, dass ’Scheingerichte’ negativ für den Kampf gegen Terrorismus sind und diesen nicht unterstützen“, erklärt die Europaabgeordnete.

„Folgerichtig weist der Entschließungsantrag auch darauf hin, dass die Bekämpfung des Terrorismus eine Priorität der Europäischen Union ist, diese aber nur erfolgreich fortgesetzt werden kann, wenn die Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten uneingeschränkt geachtet werden“, sagte Scheele.

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