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Gehirnleistung von Wachkoma-Patienten oft besser als vermutet

Rund ein Drittel aller Wachkoma-Patienten bekommt von der Umwelt wesentlich mehr mit, als herkömmliche klinische Tests vermuten lassen würden.

Dies kann fatale Auswirkungen auf die Therapie und den Umgang mit diesen Menschen, die oft jahrzehntelang im Koma liegen, haben. Ein Team von Psychologen der Universität Salzburg unter der Leitung von Manuel Schabus arbeitet deshalb an verlässlicheren und aussagekräftigeren Diagnoseverfahren.

Bisher wird bei einem Koma-Patienten üblicherweise mit Schmerz-Reiz-Reaktionen, Tönen oder mittels Ansprechen untersucht, ob er seine Umwelt bewusst wahrnehmen kann. Das ist nicht immer verlässlich. “Ein Mensch, der sich nicht bewegen kann, kann beispielsweise auch seinen Kopf nicht zu einer Lärmquelle hin neigen”, schilderte Schabus im Gespräch mit der APA ein Grundproblem. “Weil sich die Patienten mit ihrem Verhalten nicht ausdrücken können, schauen wir direkt ins Gehirn und messen, was dieses uns sagen möchte”, erklärte Schabus den Untersuchungsansatz: “Mit der Messung von Gehirnströmen können wir prüfen, ob das Gehirn noch Reaktionen zeigt, die wir auch bei gesunden Versuchspersonen erwarten würden.”

Im Rahmen einer Studie werden bei Wachkoma-Patienten, die keine oder nur sehr geringe Anzeichen von Bewusstsein zeigen, mittels Elektroden die Gehirnströme gemessen, während sie mit unterschiedlichen sprachlichen und motorischen Aufgaben konfrontiert werden. “Dabei hat sich gezeigt, dass Patienten, die ab und zu Anzeichen der bewussten Wahrnehmung haben (so genannte “Minimally Conscious State”-Patienten), auf Anweisungen mit stärkeren Gehirnoszillationen reagieren. Das deutet darauf hin, dass sie unsere Instruktionen verstehen und etwas von ihrer Umwelt mitbekommen”, sagte Schabus. Die Patienten reagieren beispielsweise beim Hören des Eigennamens in den frontalen Regionen des Gehirns mit einer höheren Theta-Aktivierung.

Gleichzeitig untersuchen die Salzburger Wissenschaftler, ob die Patienten noch geordnete Schlafphasen bzw. eine gesunde “Schlafarchitektur” aufweisen. “Besonders interessieren uns dabei bestimmte Schlafmuster – so genannte Schlafspindeln – die darauf hinweisen, dass das Gehirn noch gut vernetzt ist”, erläutert Schabus. Dies sei möglicherweise auch ein Parameter, um Aussagen über den aktuellen und künftigen Zustand der Patienten treffen zu können.

Für die Untersuchung wird mit Kliniken in Wien, Graz und Salzburg zusammengearbeitet, wo Wachkoma-Patienten gepflegt werden. Am Kopf der betroffenen Personen werden für 24 Stunden 21 Elektroden angebracht. Um valide Daten zu erhalten, wird zudem jeder Patient zwei Mal auf Gehirnreaktionen während unterschiedlicher Aufgaben untersucht.

Bei diesen ersten Ergebnissen hat sich zudem ein spannender Aspekt ergeben: “Die Patienten reagieren eher auf komplexere Reize”, sagte Schabus. Während es bei einfachen Tönen zu geringerer Aktivierung der zuständigen Gehirnregionen kommt, führt eine bekannte Stimme, die einen Satz spricht, zu nachweisbaren Reaktionen. “Das Gehirn sucht offenbar nach bedeutsamen Informationen und filtert das weg, was es für nicht relevant hält”, erklärte der Psychologe. Sein Schluss daraus: Man sollte Wachkoma-Patienten mehr zutrauen, als dies normalerweise der Fall ist.

Das bisher vom Team ehrenamtlich durchgeführte Projekt soll in einem nächsten Schritt als Forschungsantrag eingebracht werden. Schabus hofft, so das Thema mit seinem Team in Zukunft noch intensiver und mit weitreichenderen neurowissenschaftlichen Methoden bearbeiten zu können.

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