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Gazprom stoppt Gaslieferungen an Ukraine

Nach dem Scheitern der russisch-ukrainischen Gasverhandlungen hat der vom Kreml kontrollierte russische Gaskonzern Gazprom am Neujahrsmorgen mit der Drosselung der Exporte an das Nachbarland begonnen.

Selbst in einem Land, in dem vieles eine Nummer größer ist als anderswo, ist Gazprom (Gasprom) ein wahrer Gigant. Der staatlich kontrollierte Gaslieferant ist Russlands größtes Unternehmen überhaupt und damit von äußerst wichtiger Bedeutung für die Volkswirtschaft. Der Einfluss reicht aber weit über die russischen Grenzen hinaus: Die Firma, die über die größten Gasreserven der Welt verfügt, deckt etwa die Hälfte des Gasbedarfs der Europäischen Union.

Vor diesem Hintergrund ist der aktuelle Streit zwischen Russland und der Ukraine mehr als ein Zwist zwischen zwei Nachbarn. Rund 80 Prozent des Gases für die Länder der EU kommen aus einer Pipeline, die durch die Ukraine verläuft. Wenn Gazprom der Ukraine also den Gashahn abdreht, könnte der Westen in Mitleidenschaft gezogen werden. Unternehmenssprecher Sergej Kuprijanow versicherte jedoch am Sonntag, die Lieferungen nach Europa würden nicht beeinträchtigt.

Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko, der sich um einen engeren Anschluss seines Landes an den Westen bemüht, befindet sich hier in einem Dilemma. Er kann von der EU keine große Unterstützung für seinen Widerstand gegen die Zahlung von Weltmarktpreisen für russisches Erdgas erwarten. Die Gemeinschaft hat die Ukraine kürzlich als Marktwirtschaft anerkannt, was in Kiew als Aufwertung des eigenen Status gefeiert wurde. Marktwirtschaften aber orientieren sich bei der Preisgestaltung am Marktwert einer Ware. <> Der russischen Regierung kann man hier wohl zu Recht Schadenfreude unterstellen. Sie hat sich mit Juschtschenko, der viele der alten Bande zu Moskau gekappt hat, von Anfang an nur widerwillig angefreundet. Und längst ist klar, dass es bei dem Gas-Streit nicht nur um wirtschaftliche, sondern vor allem auch um politische Erwägungen geht. Während nämlich die Ukraine jetzt ein Vierfaches des bisherigen Gaspreises bezahlen soll, wird Weißrussland nur ein Fünftel davon berechnet. Dort allerdings sitzt eine Regierung, die dem Kreml treu ergeben ist.

Es ist nicht das erste Mal, dass Gazprom sich mit wirtschaftlichen Entscheidungen in die Politik einmischt. Im Jahr 2001 übernahm das Unternehmen den wichtigsten unabhängigen Fernsehsender NTW – mit der Begründung, er habe seine Schulden bei Gazprom nicht zurückgezahlt. NTW hatte bis dahin stets kritisch über das Vorgehen Russlands in der abtrünnigen Kaukasus-Republik Tschetschenien berichtet. Nach der Übernahme blieb diese Kritik aus. Kein Wunder, dass Analysten von einem gezielten Manöver sprachen, missliebige Journalisten mundtot zu machen.

Derzeit berichtet NTW ausführlich über den Gas-Streit mit der Ukraine und vertritt dabei natürlich eindeutig die russische Position. Doch ein Unternehmen von der Größenordnung von Gazprom kann sich eine solche Einflussnahme wohl leisten. Seine Gasvorräte liegen nach offiziellen Statistiken bei 28 Billionen Kubikmetern, was mehr als 15 Prozent der weltweiten Reserven entspricht. Erzielt wurden aus Verkäufen im Jahre 2004 ganze 887,2 Milliarden Rubel (26,1 Mrd. Euro), und davon wurden 363,7 Milliarden Rubel (10,69 Mrd. Euro) Steuern entrichtet – etwa 13 Prozent des russischen Staatshaushalts 2004. Das offensichtliche Interesse der Regierung am Erfolg des Unternehmens braucht da wohl nicht mehr erwähnt zu werden.

Die Ukraine, die etwa 30 Prozent ihres Gases von Gazprom bezieht, will dem Giganten dennoch weiter trotzen. Man könne noch Monate lang ohne neue Lieferungen auskommen, hieß es aus Kiew. Außerdem erhalte man ja Gasimporte aus Turkmenien. Die Leitungen von dort führen allerdings durch Russland. So könnte es zu umgehenden russischen Vergeltungsschlägen kommen, sollte die Ukraine ihre Drohung wahrmachen und 15 Prozent des durch ihr Territorium transportierten Gases schlicht einbehalten. Abgesehen davon hat auch Russland eine Erhöhung seiner Gasimporte aus Turkmenien angekündigt, so dass für die Ukraine womöglich nicht genug übrig bleibt. Der Druck auf die Regierung in Kiew dürfte sich also weiter erhöhen.

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