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Frankreich: Hoffen auf die Unentschlossenen

Für die Befürworter der EU-Verfassung in Frankreich sind die Millionen unentschlossenen Franzosen die größte Hoffnung. Jüngste Umfragen zeigen eine Mehrheit von gut 53 % gegen den Verfassungstext

Aber eben nur bei jenen, die bereits mehr oder weniger wissen, wie sie beim Referendum am Sonntag abstimmen sollen. Die Ja-Sager setzen darauf, mit Hilfe der gut 30 Prozent Unentschiedenen doch noch eine knappe Mehrheit zu schaffen. „Mein Herz sagt Nein, aber mein Kopf bringt mich zum Ja“, sagt der Bankangestellte Adrien Lejeune, ein Linkswähler. Wie Millionen anderer Zweifler wird er von den Wortführern beider Lager in den letzten Tagen der Kampagne ohne Unterlass ins Gebet genommen.

Die Unentschlossenen sind das Zünglein an der Waage. Unter ihnen sind Frauen, junge Leute, Anhänger der Sozialisten und Beschäftigte mit geringem Einkommen überdurchschnittlich stark vertreten. Wenn bis zu 30 Prozent noch kurz vor der Abstimmung nicht wissen, wie sie sich entscheiden sollen und ob sie überhaupt zum Stimmlokal gehen, ist das für den Chef des Umfrageinstituts Ipsos, Pierre Giacometti, ein „hoher, aber nicht unnormal hoher Anteil“. Bei der Präsidentschaftswahl vor drei Jahren hätten sich bis zu 40 Prozent der Franzosen erst in letzter Sekunde entschieden.

Allerdings gebe es auch „scheinbar Unentschlossene“, schränkt der Ipsos-Chef ein. Diese gäben bei Umfragen „aus Vorsicht oder Scham“ ihre tatsächliche Meinung nicht preis, hätten dabei aber längst eine Entscheidung getroffen. Für rund zehn Prozent der Stimmberechtigten, die als Unentschiedene gewertet würden, stehe das Votum im Grunde fest. Den Meinungsforschern hilft dies bei ihren Prognosen aber auch nicht weiter. Denn das „Eher-Ja“-Lager und das „Eher-Nein“-Lager sind zahlenmäßig fast gleich stark.

Die Anhänger der Verfassung haben zwei gravierende Probleme: Zum einen lassen sich die Franzosen offenbar nicht mit dem Argument schrecken, die Ablehnung des Vertragswerks werde für Europa eine große Krise heraufbeschwören. Im Gegenteil: Nur 20 Prozent glauben an das Krisen-Szenario, dagegen sind laut dem Institut CSA 46 Prozent der Ansicht, ihr Stimmverhalten werde keine nennenswerten Auswirkungen haben. Das zweite Problem der „Ja-Sager“ ist der phänomenale Absturz von Präsident Jacques Chirac und Premierminister Jean-Pierre Raffarin in den Beliebtheitsumfragen. Knapp 60 Prozent sind mit Chirac unzufrieden, mit Raffarin gar 74 Prozent. Beide jedoch gehören zu den prominentesten Befürwortern des „Oui“.

So ist die konservative Staatsspitze auf die Schützenhilfe der oppositionellen Sozialisten angewiesen. Bereits zwei Mal ist der frühere Premierminister Lionel Jospin in den Ring gestiegen, um für die Fortsetzung des „historischen Abenteuers“ der europäischen Integration zu werben. Auch Sozialistenchef Francois Hollande warnt unablässig, es sei „kein guter Grund“, gegen die Verfassung zu stimmen, „weil man mit der Regierung unzufrieden ist“.

Möglicherweise werden solche Argumente am Schluss für eine Verfassungs-Mehrheit sorgen. Bei der Volksabstimmung über den Maastrichter Euro-Vertrag von 1992 stellten die Meinungsforscher im Endspurt eine paradoxe Entwicklung fest. Ein Großteil der Unentschlossenen mit leichter Neigung zum Nein stimmte schließlich doch mit „Oui“ oder blieb den Wahlurnen fern. So siegte das Ja am Ende mit 51 Prozent.

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