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EU-Staaten noch unter Schock

Auch Tage nach der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden sitzt der Schock darüber bei den Regierungen tief. Allen gemeinsam ist die Suche nach Lösungen.

Dabei mehren sich die Stimmen für ein Aussetzen des Ratifizierungsprozesses. Die deutsche Bundesregierung plädierte für eine Nachdenkpause und eine Grundsatzdebatte in der Europapolitik. Dies ändere nichts an der Notwendigkeit, den Ratifizierungsprozess in allen EU-Ländern fortzusetzen, hieß es am Freitag aus Regierungskreisen in Berlin.

Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer hält hingegen eine gesamteuropäische Volksabstimmung über die EU-Verfassung unter gewissen Voraussetzungen für sinnvoll. Nationale Referenden hätten beträchtliche Nachteile, meinte er am Freitag beim Gemeindetag in Oberwart. Die Tatsache, dass ein solches Referendum nicht vorgesehen sei, sei kein Grund, nicht zu überlegen, ob man eine solche Möglichkeit schaffen sollte. Bei den jüngsten Referenden sei die EU-Verfassung zum „Blitzableiter“ für „Unbehagen, Unsicherheit und auch Unzufriedenheit“ mit aktuellen Entwicklungen geworden. Man sollte aber das europäische Projekt „nicht zum Sündenbock“ für Unbehagen in anderen Bereichen der Politik machen, sagte Fischer.

Großbritannien schiebt Referendum auf unbestimmte Zeit hinaus

Der britische Außenminister Jack Straw wird nach übereinstimmenden Presseberichten am kommenden Montag im Unterhaus ankündigen, dass Großbritannien sein geplantes Referendum auf unbestimmte Zeit aufschiebt. Premierminister Tony Blair wird am 13. Juni mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder in Berlin zusammenkommen. Am morgigen Samstag spricht Schröder in Berlin mit Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac. Schröder setzte sich nach dem Nein der Franzosen und Niederländer für ein Treffen der sechs EU-Gründerstaaten in Berlin ein. Nach Angaben aus Berlin lehnte dies der niederländische Ministerpräsident Jan Peter Balkenende jedoch ab.

Der luxemburgische EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker rief die EU-Staaten zu Geschlossenheit auf. Die Ratifizierung müsse weitergehen. Im Hinblick auf das luxemburgische Referendum am 10. Juli sagte Juncker, er werde wie bereits angekündigt als luxemburgischer Regierungschef zurücktreten, falls die Verfassung von der Bevölkerung seines Landes abgelehnt werde.

Eine „Anregung“ zur Lösung der EU-internen Krise nach dem Nein zur europäischen Verfassung bei den Referenden in Frankreich und den Niederlanden schlägt der österreichische Grüne Europaabgeordnete und Vizepräsident des Verfassungsausschusses, Johannes Voggenhuber, vor: So könnte der Verfassungskonvent, der ursprünglich das Grundgesetz ausgearbeitet hat, wieder einberufen werden, „um substanziell auf die Botschaften der Bürger einzugehen“, schlug Voggenhuber vor. Zunächst müsse aber der Ratifizierungsprozess in allen Mitgliedstaaten fortgesetzt werden.

Gesamten Ratifizierungsprozess auf Eis legen?

Die Regierung Portugals schließt indes nicht aus, dass der gesamte Ratifizierungsprozess auf Eis gelegt wird. „Es könnte passieren, dass die 25 Länder (bei dem kommenden EU-Gipfel am 16. und 17. Juni) um den Tisch herum sitzen und im Konsens, ohne Druck von irgendwem zu dem Schluss kommen, dass es das Beste ist, den Prozess zu stoppen“, sagte der portugiesische Außenminister Diogo Freitas do Amaral. Den Vorschlag des früheren portugiesischen Ministerpräsidenten Anibal Cavaco Silva, den Ratifizierungsprozess zwei Jahre lang einzufrieren, lehnte Freitas do Amaral jedoch ab.

Der schwedische Ministerpräsident Göran Persson ist für einen sofortigen Stopp des Ratifizierungsprozesses der EU-Verfassung in seinem Land, sollte irgendein EU-Land eine Neuverhandlung wünschen. „Sobald wir eine derartigen Hinweis erhalten, brechen wir natürlich den Ratifikationsprozess ab“, sagte Persson in einem Interview mit der Tageszeitung „Dagens Nyheter“ (Freitagsausgabe). Es sei „sinnlos, weiterzumachen und zu etwas Stellung zu beziehen, das andere schon abgehakt haben“.

Dänemark: Bisherige klare Mehrheit für EU-Verfassung gekippt

Die bisherige klare Mehrheit der dänischen Bevölkerung für die EU-Verfassung bei Umfragen ist durch das Nein in Frankreich und den Niederlanden gekippt. Wie die Zeitung „Berlingske Tidende“ am Freitag berichtete, sprachen sich nun 38 Prozent gegen und 34 Prozent für den Verfassungsvertrag aus. Zwei Wochen vorher hatte die Ja-Seite mit 45 zu 25 Prozent vorn gelegen. Bei der jüngsten Umfrage waren zehn Prozent der befragten Dänen noch unentschieden. 16 Prozent gaben an, sie wollten der für den 27. September geplanten Volksabstimmung fernbleiben. Pressestimmen

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