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EU-Krise: Beredtes Schweigen in Washington

Washington schweigt. US-Präsident George W. Bush, der täglich zu allen möglichen Themen Stellung bezieht, hat über die jüngste EU-Krise öffentlich noch kein Wort verloren.

Einzig US-Außenministerin Condoleezza Rice absolvierte die Pflichtübung der Regierung und setzte sich für ein „einiges und starkes Europa“ ein. So ähnlich werden auch die höflichen Worte von Bush sein, wenn er am (morgigen) Montag die EU-Spitze unter Führung von EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker im Weißen Haus begrüßt.

In Wirklichkeit signalisieren die Amerikaner Europa, insbesondere aber Deutschland, ihren geschwundenen Respekt. Verteidigungsminister Peter Struck bekam das offenbar schon zu spüren. Auf seine lang geplante USA-Reise verzichtete er wohl auch deshalb, weil sein Kollege Donald Rumsfeld gerade mal 45 Minuten Zeit für ihn gehabt hätte. Und die jüngste Absage des US-Außenministeriums an die Vierer-Initiative Deutschlands, Brasiliens, Japans und Indiens für eine Aufnahme als ständige Mitglieder in den Weltsicherheitsrat war 14 Tage vor dem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder in Washington fast ein Affront.

Die Sprachlosigkeit Washingtons zur schweren EU-Krise hat kaum mit diplomatischer Zurückhaltung bei Problemen befreundeter Länder zu tun, und auch nicht mit der – unüberhörbaren – Schadenfreude über die Pleiten des wenig geliebten Franzosen Jacques Chirac oder des nicht sonderlich geschätzten Schröder. Hintergrund ist die unausgesprochene Genugtuung über die Krise der europäischen Strategie in einer Zeit historischen Umbruchs und voranschreitender Globalisierung.

„Der Bankrott der europäischen Strategie hat sich nun erwiesen“, schrieb der Publizist Max Boot. Europas Turbulenzen werden vor allem als Widerstand gegen das „angelsächsische Modell“ freier, deregulierter Märkte und der Begrenzung des Sozialstaats gewertet. Europas Krise sei „die große Reaktion auf die Globalisierung“, meint Ex-Präsidentenberater Tony Blankley. Europa halte an Protektionismus und „ausuferndem Wohlfahrtsstaat“ fest, obwohl dieser nicht mehr zu finanzieren sei.

„Das Problem ist, dass europäische Staaten an einem System festhalten, das angesichts einer schrumpfenden, alternden Bevölkerung nicht aufrecht zu erhalten ist“, schrieb Politologe Richard Rahn vom Cato-Institut. Zumindest die deutlich besseren Arbeitslosendaten und höheres Wirtschaftswachstum geben nicht nur den Konservativen in den USA das Gefühl, mit der wirtschaftsliberalen Strategie die richtige Antwort auf die Globalisierung gefunden zu haben. Europa dagegen befinde sich auf einem schmerzhaften Irrweg: „Die EU-Verfassung hätte nur den Einfluss des französischen Sozialismus auf den Kontinent verstärkt“ polemisierte das „Wall Street Journal“.

Vor allem die Neokonservativen in den USA glauben, dass Europa trotz der enormen wirtschaftlichen transatlantischen Verflechtung an Bedeutung verliert. „Europa, wie wir es kennen, verabschiedet sich langsam“, so der Publizist Robert Samuelson. Aus konservativer US-Sicht verlagern sich die Interessen Washingtons zunehmend, da es in den kommenden Jahren vor allem um den Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus und den internationalen Terrorismus sowie der Konkurrenz zur aufsteigenden Weltmacht China gehe.

Dabei weiß Bush, dass er Europa braucht. Bei der Irak-Konferenz am kommenden Mittwoch in Brüssel suchen die Amerikaner mehr Unterstützung für die Stabilisierung des arabischen Landes. Eine Alternative zu den diplomatischen Bemühungen der Europäer, Iran von Nuklearwaffen abzubringen, hat Washington nicht. „Die USA und die Europäer brauchen eine verstärkte strategische Partnerschaft“, forderte US-Diplomat Robert Hunter. Und Ex-Präsidentenberater Blankley warnte: „Politisches und wirtschaftliches Chaos in Europa ist nicht gut für die USA“.

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