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Erfahrungen von Ärzten mit Flüchtlingen: Traumata verfolgen Menschen

Die Welt vieler Flüchtlinge ist durch Krieg und Verfolgung völlig aus den Fugen geraten.
Die Welt vieler Flüchtlinge ist durch Krieg und Verfolgung völlig aus den Fugen geraten. ©APA (Sujet)
Die Konsequenzen von Krieg und Verfolgung für Flüchtlinge wurden bei einer Info-Veranstaltung für Wiener Ärzte zum Thema "Medizinische Versorgung von Flüchtlingen" diskutiert. Viel komplexer als Krankheiten oder Infektionen sind psychische Folgen der Vertreibung: Trauma bzw. posttraumatische Belastungsstörungen können die Opfer Jahrzehnte lang verfolgen.

“Es gibt keinen einzigen Österreicher, der sich mit irgendetwas angesteckt hätte”, sagte Montagabend im Billrothhaus der Wiener Ärztekammer Antibiotikaspezialist Oskar Janata (Wiener Donauspital). An der Klinik hat man in den vergangenen Wochen einige Erfahrung mit zum größten Teil durchreisenden Flüchtlingen gemacht. Durchfallerkrankungen infolge vom Campylobacter-, Salmonellen-, E. coli-Bakterien oder Shigellen steckten offenbar dahinter. Cholera war keine dabei. Und da jeder Asylwerber auf Tuberkulose untersucht wird, dürfen sich die “Österreicher” in Sicherheit vor importierten Infektion fühlen, die sie sonst relativ häufig im Rahmen vieler Fernreisen “einschleppen”. Das alles sei mit einfachen Antibiotika gut zu behandeln.

Flüchtlinge leiden unter psychischen Folgen

Viel komplexer wird es bei den psychischen Folgen von Vertreibung und Flucht. Thomas Wochele, Allgemeinmediziner, Psychiater, Psychotherapeut und ärztlicher Leiter der Caritas Wien, wandte sich an das Publikum von Wiener Ärzten, die sich in diesem Bereich engagieren oder engagieren wollen: “Sie (das Publikum, Anm.) erleben die Welt als sicher. Sie haben das Gefühl, dass Ihnen die Mitmenschen wohlwollend gegenüber stehen. Die Dinge, die in Ihrer eigenen Welt passieren, geschehen aus einem bestimmten Grund, der sinnvoll nachvollziehbar ist.”

Für in Kriegswirren Vertriebene, für Flüchtlinge ist die Situation genau umgekehrt. Man hat ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie sind durch Menschen Opfer von Gewalt, gar Folter und Ausbeutung geworden. Die grässlichen Erlebnisse prasseln chaotisch, nicht nachvollziehbar auf die Betroffenen ein.

Der Weg zum Trauma bzw. zur posttraumatischen Belastungsstörung, welche die Gewaltopfer Jahre und Jahrzehnte lang und selbst über Generationen hinaus verfolgen kann, ist im Menschen per vorgegebener Gehirnstrukturen festgelegt. Kausalität wird in der Hippocampus-Region abgespeichert (Was? Wo?, Anm.). Traumatische Erlebnisse kommen aber über das Angstzentrum in der Amygdala-Region ins Gehirn hinein. “Diese Informationen werden bruchstückhaft gespeichert, nicht zuordenbar”, sagte Wochele.

Trigger lösen erlebte Traumata erneut aus

Die Konsequenz ist einfach: Gibt es einen “Trigger” – durchaus in einer ganz anderen Situation als in jener des Traumas -, läuft das Trauma-Erlebnis wieder ab. “Wer mit Elektroschocks gefoltert worden ist, wird das Aufkleben einer EKG-Elektrode bei einer Herzuntersuchung vielleicht als ‘Flashback’ zur Folter erleben”, sagte der Experte. Auf solche, womöglich zunächst unerklärliche, Reaktionen sei Rücksicht zu nehmen. Die beste Hilfe für Traumatisierte: Das Gefühl der Sicherheit zu geben. Teilnahme an alltäglicher Routine hilft ebenfalls. Das menschliche Gehirn hat eine enorme Anpassungsfähigkeit. Es kann auch mit fast Unsagbarem zur Rande kommen, wenn dem Betroffenen zur Anpassung Hilfe angeboten wird.

Der ärztliche Leiter der Caritas: “Man muss den Menschen vermitteln, dass sie ‘angekommen’ sind. Dass sie in Sicherheit sind, dass sie willkommen sind und dass ihnen nichts mehr passieren kann.” Wenn die drei angeborenen Reaktionsmöglichkeiten des Menschen auf Gewalt in Kampf, Flucht oder Totstellen bestehen, sei es auch nicht verwunderlich, wenn in manchen Fällen und in manchen Situationen Aggressionen hochkämen.

“Flüchtlinge haben eigene, ‘sinnvolle’ Reaktionen”

Es gibt noch einen anderen Aspekt, warum manche Reaktionen von Flüchtlingen aus anderen Weltregionen zunächst überraschen können oder unerklärbar sind. Der interkulturell tätige Wiener Psychiater Thomas Wenzel zeigte dazu das Bild einer Giraffe im Umfeld von hohen Laubbäumen – “perfekt angepasst”. Im Grasland frage man sich bei einer Giraffe, ob sie nicht eine Fehlentwicklung der Evolution sei. “Flüchtlinge haben zumeist für ihre Umwelt ‘sinnvolle’ Reaktionen, die ihr Überleben sichern sollen – so eigenartig sie für unsere Verhältnisse aussehen können.”

(APA/Red)

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