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Die Geschichte des Narrenturms Teil 1: Zur Entstehung und Nutzung des "Guglhupfs"

Die Geschichte des Narrenturm-Gebäudes.
Die Geschichte des Narrenturm-Gebäudes. ©VIENNA.at/Verena Kaufmann, Naturhistorisches Museum Wien/K. Kracher
Der Narrenturm in Wien gilt als ein besonderes Denkmal in der Geschichte der medizinischen Entwicklung im 18. Jahrhundert. Ursprünglich als öffentliche Anstalt gedacht, wurde der "Irrenthurm" zum Privatprojekt des Kaisers. Erfahren Sie im ersten Teil mehr über die Geschichte und Funktionen des Wiener "Guglhupfs".
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Der Wiener Narrenturm war das erste Gebäude in Europa, das als psychiatrische Anstalt ausschließlich zum Zwecke der Behandlung von Irren geplant und erbaut worden ist. Kaiser Joseph II. plante 1781 eine Umgestaltung des Sanitätswesens mit dem Ziel, alle Krankenanstalten in Wien zu zentralisieren. Zwei Jahre später wurde bereits das damalige Großarmenhaus in das Allgemeine Krankenhaus an der Alservorstadt umgebaut – zum damals größten und modernsten Krankenhaus Europas.

Obwohl der Kaiser ursprünglich drei öffentliche Anstalten plante – die eigentliche Krankenanstalt, eine Gebäranstalt und eine Irrenanstalt – machte er den Bau des “Irrenthurms” zu seinem Privatprojekt und zahlte dafür auch aus seiner Privatkassa. Natürlich kommt hier die Frage auf, warum der Kaiser sich für damals als unbedeutend und rechtlos geltende Menschen einsetzte. Es wird angenommen, dass Joseph II. Rosenkreuzer war, eine Lehre die zur Zeit des Kaisers sehr beliebt war und die Suche nach Gott zum Inhalt hatte.

Die Gebäude-Geschichte des Wiener Narrenturms

Im 18. Jahrhundert lebten “Irre” oder “Wahnsinnige” meistens im Familienverband oder wurden in kirchlichen Einrichtungen betreut. Typische Krankheitsformen, die meist mit Aderlass, Schröpfung, Abführ- oder Brechmittel behandelt wurden, waren Melancholie, Unsinnigkeit, Tollheit und Wahnwitz, Tobsucht oder Phrenitis oder auch Manie. Auch bei “Schwarzgalligkeit” oder “Verschleimung des Geistes” dachte man, dass es Menschen zum Irrsinn treiben kann.

Planung und Bau des Narrenturms spielten sich im Geheimen zwischen drei Personen ab: Kaiser Joseph II., Joseph Quarin (kaiserlicher Leibarzt und Sanitätsdirektor des Landes Niederösterreich) und Joseph Gerl (Baumeister). Fertiggestellt und erstmals besiedelt wurde der Turm 1784. Am 19. April wurden 43 Kranke frühmorgens aus dem spanischen Spital und 66 Kranke aus St. Marx in das Irrenhaus geführt und jeweils zu zweit in einem Zimmer untergebracht.

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Dass alchemistische Zahlenmystik bei den Rosenkreuzern eine große Rolle spielte, spiegelt sich auch im architektonischen Aufbau des Wiener Guglhupfs wider. Der Narrenturm ist ein Rundbau mit fünf Stockwerken und 66 Wiener Klaftern im Umfang. In jedem Stockwerk gehen 28 Zimmer an die Außenfront des Gebäudes, welche über einen kreisrunden Gang betreten werden können. In der Mitte des Gebäudes steht ein Quergebäude, das den Hof in zwei Hälften teilt. Am Dach dieses Quertraktes war eine achteckige Holzkonstruktion aufgebaut, auf die der Kaiser jede Woche mehrmals hinaufstieg.

Nun zur Zahlenmystik: 66 ist in der arabischen Tradition die Zahl Gottes, 28, 5 und 19 sind bedeutende alchemistische Zahlen. In der Kabbala heißt es für die Zahl 28: “Gott, der du die Kranken heilst” und 28 ist außerdem die Zahl des Mondmonats. Man könnte annehmen, dass der Narrenturm einen Mondkalender darstellen soll.

Weitere Funktionen des Narrenturms

Anfangs gab es in den Zellen keine Türen, friedliche Patienten konnten sich also im Turm frei bewegen. Tobende und Unreine wurden dagegen angekettet. Später wurden sogar Bettgurte und Zwangsjacken verwendet und die Zimmer bekamen Türen mit kleinen Sichtfenstern. Ab 1795 hatte die Irrenanstalt einen eigenen Direktor, Johann Peter Frank. Unter ihm wurde eine Mauer um die Anstalt errichtet, um die Patienten vor Schaulustigen zu schützen. So entstand auch ein Garten für die Kranken.

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1852 wurde eine neue psychiatrische Anstalt am Brünnlfeld in Betrieb genommen, im Narrenturm landeten nur mehr die unheilbarsten Fälle. In der Zeit von 1866 bis zur Schließung der Anstalt 1869 wurden die Patienten aus dem Narrenturm abgesiedelt. Danach stand das Gebäude lange Zeit leer, bis es 1920 als Wohnheim für Krankenschwestern renoviert wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts diente das Gebäude außerdem als Depot für Universitätskliniken, als Werkstätte und für Ärztedienstwohnungen.

Auch Elektriker, Schlosser und Maler richteten sich Werkstätten im Narrenturm ein. In den 1960er Jahren mieteten Hebammen und Familien von Portieren Wohnungen im Gebäude, es gab sogar eine Hausschwester, die für Ordnung sorgte.

Der Narrenturm heute

Heute ist der Narrenturm denkmalgeschützt und befindet sich im Besitz der Universtität Wien. Seit 1971 ist das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum dort untergebracht, das mit 1. Jänner 2012 als Pathologisch-anatomische Sammlung im Narrenturm in das Naturhistorische Museum Wien eingegliedert wurde. 1993 konnte das gesamte Gebäude vom Museum angemietet werden. Derzeit wird der Wiener Narrenturm generalsaniert und die Museums-Ausstellung komplett überarbeitet.

Weitere Informationen zum Pathologisch-anatomischen Bundesmuseum im Narrenturm lesen Sie im zweiten Teil der Geschichte des Narrenturms.

Fotos: VIENNA.at/Verena Kaufmann, Naturhistorisches Museum Wien/K. Kracher
Quelle: Naturhistorisches Museum
Buchtipp zum Museum: Faszination und Ekel von Beatrix Patzak

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