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Die Arbeit der Wilhelminenberg-Kommission: Zitate aus dem Endbericht

Am Wilhelminenberg erlitten Kinder Missbrauch und Gewalt
Am Wilhelminenberg erlitten Kinder Missbrauch und Gewalt ©DAPD (Sujet)
Am Mittwoch legte die Kommission, die mit der Untersuchung der Vorkommnisse im ehemaligen Kinderheim am Wilhelminenberg beschäftigt war, ihren Endbericht vor. Darin bestätigten sich vielfach die Vorwürfe von Missbrauch und Gewalt, die gegen das Heim erhoben wurden. Zahlreiche Zeugen-Zitate sind enthalten - hier ein Auszug.
Endbericht veröffentlicht
Abschlussbericht steht bevor
Häupl: Arbeit nicht behindert
Opposition erhebt Vorwürfe
Gewalt im Heim bestätigt

Im Endbericht der Wilhelminenberg-Kommission, einer 344 Seiten umfassenden Expertise, sind unter anderem zahlreiche Aussagen von Zeugen enthalten.

So kamen die Kinder im Heim an

Über die Ankunft der Kinder: “Die Fahrt auf den Wilhelminenberg erfolgte per öffentlichen Verkehrsmitteln, mitunter auch per Taxi; der Gebrauch von Privatautos war untersagt. Die anschließende Übergabe sowie die Ankunft im Kinderheim konzentrierten sich ausschließlich auf administrative Belange. Die persönliche Befindlichkeit der Kinder blieb unberücksichtigt.”

Dazu ein Zitat einer betroffenen Person: “Ich bin hingekommen, bin wie ein Koffer abgestellt worden, hab mein Gewand gekriegt und Schnauze halten.”

“Vom ersten Tag an wurde darauf geachtet, dass die Kinder sich der Heimordnung fügten und somit widerstandslos in das Heimleben eingeordnet werden konnten. In der Gruppe, der sie zugeteilt wurden, kannten sie niemanden (…) Niemand teilte ihnen mit, wo ihre Angehörigen hingekommen waren oder ob ihre Familie überhaupt wusste, wo sie selbst waren. Die Kinder wurden nicht darüber informiert, wie lange sie hier bleiben sollten oder was weiter mit ihnen geschehen würde. Auch der Kontakt zu anderen Gruppen im Heim wurde untersagt. Diese völlige Isolation führte zu schweren Traumatisierungen und späteren Beziehungsstörungen.”

Gewalt und Zwänge beim Essen

“Auch das Essen in der Gruppe war durch verschiedenste Zwänge und gleichzeitige Willkür geprägt. Die Speisen wurden zumeist in den Tagräumen der Kinder eingenommen, somit waren sie der Bestrafung und Kontrolle ihrer jeweiligen Erzieher ausgesetzt. Die Schilderungen von Gewalttätigkeiten und Zwängen bei Tisch betreffen die gesamte Heimzeit bis 1977. Es kam vor, dass Kinder, die nicht aufessen wollten oder konnten – viele Zeugen berichten davon -, mit dem Gesicht in die Suppe gestoßen wurden oder sitzen bleiben mussten, bis sie aufgegessen hatten.”

Der Bericht schildert weiters die dauernde Stigmatisierung mancher Betroffener: “So wie vom Jugendwohlfahrtsträger die Verwahrlosung des Herkunftsmilieus als Grund der Überstellung der Kinder in Heimerziehung festgestellt wurde, wurden die Heimkinder in den psychologischen Befunden mit dem diagnostischen Sammelbegriff ‘Verwahrlosung’ etikettiert und ihre Defizite ausführlich beschrieben, ohne dass Möglichkeiten einer Veränderung aufgezeigt wurden.”

Im Endbericht: Sexuelle Übergriffe

“Auch meint eine Zeugin, dass sich der Heimarzt (‘ein unmöglicher, alter, geiler Bock’) bei einer Untersuchung halb auf die Mädchen legte, ihnen die Beine auseinanderriss. Sie empfand, dass er sich daran ‘begeilte'”.

Eine weitere Zeugin gab an, mit dem Finger “grob untersucht” worden zu sein: “Nachher war ich keine Jungfrau. Und der Arzt hat die Dreistigkeit gehabt und zu mir gesagt, früher oder später hätte das eh einer bei dir gemacht und ich soll mich nicht aufregen, weil die Kinder kommen auch von da.” Eine von der Kommission dazu befragte ehemalige Krankenschwester hat dieser Darstellung allerdings widersprochen.

Geschildert wird auch die strenge Disziplin im Heim und die damit zusammenhängenden Strafen: “Die Kinder waren damit nicht nur gezwungen, die Strafen wehrlos über sich ergehen zu lassen …werden die Kinder geschlagen, dürfen sie sich nicht wehren, es folgen sonst weitere Prügel.”

Als eine Form des Ungehorsams galt etwa Masturbation. Ein Zeuge berichtete: “Und wir haben so lange Nachthemden angehabt, die haben wir müssen in die Höhe heben, die Vorhaut zurückziehen, weil sie hat gesagt, sie wird kontrollieren, ob wir in der Nacht onaniert hätten. Natürlich war das für uns in dem Alter deprimierend, in dem Alter war das ein Wahnsinn, wir sind dort versunken in der Erde.”

Opfer erlitten unvergessene Kränkungen

“Die damalige Kränkung der Kinder (Interview-Zitat: ‘…und wir sollten noch dankbar sein, dass wir zu essen bekommen und nicht vergast wurden wie die Juden, wir seien ja nichts wert, wir seien lauter kleine Huren und Kinder von Alkoholikern’), die auf ihre Herkunft und Familie abzielte, blieb vielen Zeugen unvergesslich. Davon betroffen waren auch Kinder mit Behinderungen, so wurde in den 1960er-Jahren ein epilepsiekrankes Mädchen etwa mit ‘du blöde Sau, du Aff, du kranker Depp’ beschimpft. An die Behandlung dieses Mädchens, das in der Familie missbraucht und schwer misshandelt worden war und an schweren epileptischen Anfällen litt, erinnern sich auch andere Kinder dieser Gruppe.”

“Manche Gewaltformen veränderten sich im Laufe der fast dreißig Jahre Kinderheim Wilhelminenberg, andere blieben gleich. Bis zur Schließung des Heims (1977, Anm.) wurden Kinder an den Haaren gerissen mit Gegenständen geschlagen, erhielten Ohrfeigen oder mussten lange knien.”

“Die Folgen der verschiedenen Bestrafungen bestanden in Platzwunden, verrenkten Fingern, Hämatomen, Abschürfungen und Schnittwunden. Eine Zeugin erinnert sich daran, dass besonders kleine Buben misshandelt wurden.” Ein dazu von der Kommission befragter, direkt beschuldigter ehemaliger Erzieher hat die Vorwürfe bestritten.

Vergewaltigungen am Wilhelminenberg

Fälle von Vergewaltigungen werden ebenfalls beschrieben: “Ich habe gesehen, wie sie ein Mädchen da auf die Bank gezerrt haben, der eine hat sie mit den Händen nach hinten gezerrt, hat sich dann auf sie drauf gesetzt, hat ihr die Füße zurückgerissen und der andere hat sie vergewaltigt. Die hat geschrien und getobt. (…) Die war in meinem Alter damals so um die 11, 12 Jahre. Und drei, vier Wochen (Anm.: später) habe ich dasselbe gesehen. Da haben sie sie abgewatscht und der andere hat sie gehalten, die hat sich müssen hinknien und der andere hat sie von hinten vergewaltigt.” Berichtet wird von Vergewaltigungen im Keller, an denen pädophile Erzieher, aber möglicherweise auch andere Hausangestellte beteiligt gewesen sein sollen.

Eine Zeugin berichtet, dass die Überfälle direkt im Schlafsaal stattgefunden hätten. Dazu gibt es jedoch keine weiteren Aussagen. “Alle anderen – ähnliche Missbrauchsvorwürfe erhebenden – Zeugenaussagen decken sich in dieser Frage weitgehend. Immer ist davon die Rede, dass Mädchen aus Schlafsälen geholt worden seien”, heißt es im Bericht.

Auch Buben waren betroffen. Ein damals 14-jähriger Zeuge erzählte von nächtlichen Übergriffen: “Ich wurde dort ein paar Mal betatscht von diesem Erzieher, der hat mich nicht in Ruhe gelassen. Der ist zu mir rein, hat sich aufs Bett gesetzt, schön gesprochen und dann hat er mich angegriffen. Eine Nacht ist er bei mir sehr zudringlich geworden, ich hab mich gewehrt. Da hat er mir zwei oder drei runtergehaut.”

Übergriffe von außen im Mädchenheim

1962 wurde die Einrichtung zum reinen Mädchenheim, männliche Erzieher gab es ab diesem Zeitpunkt im Haus nicht mehr. Dafür kam die Gefahr offenbar von außen: “Für diesen Zeitraum gibt es eine verhältnismäßig große Anzahl von Berichten über Übergriffe durch unbekannte Personen. Hier ist bei den Zeugenaussagen zu unterscheiden: Einerseits wird von Männern berichtet, die offenbar in das Heim eingestiegen waren und Mädchen belästigten, auf der anderen Seite von Männern, die sich Zutritt verschafft hätten und denen Mädchen zugeführt worden seien oder die Mädchen aus den Schalsälen geholt hätten.”

“Eine Zeugin berichtet, dass ein großer Mann ins Zimmer gekommen sei und sie nach einem Mädchen gefragt habe. Schließlich wurde er von dem Mädchen in den Schlafsaal der Nachbargruppe geschickt. Nachdem er das gesuchte Mädchen auch dort nicht gefunden hatte, würgte er ein anderes Mädchen und floh anschließend. Die Mädchen der Gruppe begannen laut zu schreien. Auch eine ehemalige Erzieherin, damals alleine im Nachtdienst tätig, erinnert sich heute noch an den ‘markerschütternden Schrei’ der Gruppe. Nachdem sie sich den Arbeitsmantel angezogen und ihr Zimmer verlassen hatte, beobachtete sie noch den gerade fliehenden Mann, wie er beim Fenster hinaus- und den Blitzableiter hinunterstieg.”

Auch Erzieherinnen waren beteiligt

Laut der Darstellung von ehemaligen Heimbewohnerinnen waren auch Erzieherinnen an den Übergriffen beteiligt: “Die Zeugin berichtet, dass sie drei- bis viermal im Monat von einer Erzieherin H. aus dem Schlafsaal geholt und unterschiedlichen Männern im Keller zugeführt worden sei. Sie beschreibt noch eine weitere Erzieherin, eine große Dunkle mit einem Knoten, die der anderen Anweisungen gegeben hat. (Anm.: Person unbekannt.) Erst am nächsten Morgen sei sie wieder zurückgekehrt. Sie sieht auch einen Zusammenhang mit Tabletten, die bitter schmeckten und von denen sie schwindlig wurde.”

“Eine weitere Zeugin berichtet, dass die Mädchen regelmäßig aus dem dunklen Schlafsaal geholt worden seien. Sie habe sich vor den Männern, die in das Heim gekommen seien und mit Taschenlampen geleuchtet hätten, gefürchtet. Im Unterschied zu ihr selbst – sie war klein und dünn, ohne Busen – seien die anderen Mädchen schon entwickelt gewesen. Doch die Erzieherin habe auch sie geholt und die Treppe hinuntergeführt. In einem nicht näher bezeichneten Raum sei Musik gespielt, geraucht und Whiskey getrunken worden. Auch sie hätte Whiskey zu trinken bekommen. Es seien Frauen und Männer im Raum gewesen. In diesem seien ein Schreibtisch, ein Kasten und ein Einzelbett gestanden. Was in dem Raum passiert sei, daran könne sie sich nicht erinnern. Sie vermutet, dass sie Sedativa bekommen habe, aber keine Schlaftabletten. Sie berichtet außerdem, dass es sich um keine jungen Männer gehandelt habe. Erst die Rückkehr in den Schlafsaal sei ihr im Gedächtnis geblieben. Am Morgen habe sie Abschürfungen und blaue Flecken auf der Innenseite der Oberschenkel gehabt und habe eine gelbe Salbe und eine Binde mit Netzhose bekommen.”

(apa/red)

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