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Deutsche Grüne in Führungskrise

Mit ihrem Nein zur Vereinbarkeit von Amt und Mandat hat die Basis der deutschen Grünen die Partei in eine Führungskrise gestürzt.

Auch ein modifizierter Antrag der Parteiführung, die Unzulässigkeit von Parteiamt und Abgeordnetenmandat abzuschaffen, verfehlte auf dem Parteitag der Grünen in Bremen an Samstag nur knapp die für eine Satzungsänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Parteivorsitzenden Fritz Kuhn und Claudia Roth reagierten sichtlich enttäuscht, bekräftigten aber die Absicht, ihre gerade gewonnenen Bundestagssitze nicht aufzugeben. Die Neuwahl der Parteispitze steht im Dezember bevor. Sollte die Satzung unverändert bleiben, könnten Kuhn und Roth nicht erneut kandidieren. Namen von Nachfolgern wurden zunächst nicht genannt.

Trotz Verärgerung über die Verlängerung der Laufzeit des Atomkraftwerks Obrigheim hatten die Delegierten am Freitagabend dem rot-grünen Koalitionsvertrag zugestimmt. Ex-Fraktionschef Rezzo Schlauch musste sich wegen seiner Verwicklung in die Bonus-Meilen-Affäre einem Misstrauensvotum stellen, das er jedoch für sich entschied. Am Sonntag wollte ein SPD-Parteitag über den mit den Grünen ausgehandelten Koalitionsvertrag entscheiden.

Die Trennung von Amt und Mandat ist ein alle Jahre wieder kehrendes Streitthema auf Grünen-Parteitagen. Wegen Widerstands an der Basis hatte die Parteispitze noch in der Nacht zum Samstag einen Kompromiss für die Satzungsänderung vorgelegt. Danach hätte ein Drittel der Bundesvorstands-Mitglieder ein Bundestagsmandat haben dürfen. Der Vorschlag wurde auch von prominenten Vertretern der Trennungslösung mitgetragen, verfehlte jedoch um 20 Stimmen die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit von 467 Stimmen. Gegner der Neuregelung hatten vor einer Konzentration von Macht gewarnt. Nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses wurde der Parteitag für etwa eine halbe Stunde unterbrochen und ging dann ohne die traditionelle Schlussansprache eines der beiden Vorsitzenden zu Ende.

Kuhn und Roth sprachen von einer Schwächung der Partei. Durch die Verschränkung von Fraktion und Partei hätten die Grünen gestärkt werden sollen, sagte Roth. „Möglicherweise ist jetzt genau das Gegenteil herausgekommen. Es tut mir sehr Leid“, sagte Roth. „Ich werde aber mein Bundestagsmandat nicht zurückgeben.“ Kuhn sagte:
„Natürlich trifft mich das persönlich.“ Er habe viel Engagement in die Stärkung seines Amtes investiert. Sein Mandat werde er definitiv nicht aufgeben. In der Partei hieß es, Kuhn und Roth blieben bis zum Parteitag im Dezember im Amt. Namen für mögliche Nachfolger kursierten zunächst nicht. “Über personelle Alternativen hat noch kein Mensch nachgedacht“, hieß es.

Als Ausweg aus dem Dilemma bleibe nur, dass sich die Gegner der Lockerung des Trennungsprinzips bis zum Parteitag im Dezember bewegten, hieß es in der Parteiführung. „Es gibt diese beiden Parteivorsitzenden mit Mandat oder gar nicht.“ Der Altlinke und Wortführer der Gegner einer Neuregelung, Hans-Christian Ströbele, sagte, die Delegierten hätten das Thema satt. „Es ging nicht um eine negative Entscheidung gegen den Bundesvorstand“, sagte Ströbele. Entscheidend gewesen sei allein die Sachfrage.

Unmut der Delegierten über die Laufzeitverlängerung für das AKW Obrigheim spielte nach Einschätzung von Roth bei der Abstimmung keine Rolle. Der Parteitag hatte am Freitagabend die an der Parteibasis umstrittene Verlängerung der Betriebsdauer für das älteste deutsche Atomkraftwerk gebilligt. Die Parteispitze hatte versucht, dem Ärger über Obrigheim die Spitze zu nehmen, indem sie sich von dem Kompromiss distanzierte. „Das ist Mist. Da soll man gar nicht drum rumreden“, sagte Außenminister Joschka Fischer. Ohne ein Einlenken der Grünen wären nach seiner Darstellung die Koalitionsverhandlungen jedoch geplatzt. In den Koalitionsverhandlungen mit Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatten die Grünen der Verlängerung der Betriebsdauer des AKWs um zwei Jahre bis etwa Anfang 2005 zugestimmt. Parteichef Kuhn sagte, der Kanzler habe klar gemacht, dass er beim AKW-Betreiber Energie Baden-Württemberg im Wort stehe.

Nicht durchsetzen konnte sich ein Antrag der Parteibasis, in dem Schlauch aufgefordert wurde, wegen seiner Verwicklung in die Bonus-Meilen-Affäre kein Amt in der Regierung zu übernehmen. Der bisherige Fraktionschef ist als Parlamentarischer Staatssekretär im Arbeits- und Wirtschaftsministerium vorgesehen.

Die SPD wollte am Sonntag auf einem Parteitag über die Koalition abstimmen. Bundeskanzler Schröder wollte die Entscheidung des Grünen-Parteitags gegen eine Trennung von Amt und Mandat nicht kommentieren. „Dies ist eine interne Entscheidung des Parteitags. Der künftige SPD-Generalsekretä Olaf Scholz sagte, er sehe als Konsequenz der Entscheidung gegen die Trennung von Amt und Mandat kein Führungsproblem bei den Grünen: „Ich glaube nicht, dass die Grünen eine so düne Personaldecke haben, dass das ein Problem wird“, sagte Scholz vor Beginn des SPD-Parteitags in Berlin.

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