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"Der Respekt vor einem Messer ist groß"

Einsatzeinheit WEGA bei einer Übung
Einsatzeinheit WEGA bei einer Übung ©vienna.at
Viermal jährlich 20 Stunden Einsatztraining für jeden Polizeibeamten, der eine Waffe trägt: Heikle Entscheidungen in Stresssituationen gehören zum Alltag des Polizeiberufs. Bilder  | Video: Polizei-Einsatztraining 

Beamte geraten bei Fehlentscheidungen – wie im Verwechslungsfall des US-Lehrers Mike Brennan mit einem Drogendealer im Februar diesen Jahres – schnell ins Kreuzfeuer der Kritik. Bei einer Präsentation der Einsatztrainings, die alle Beamten jährlich absolvieren müssen, demonstrierte die Wiener Polizei im Schulungszentrum in Erdberg, was vonseiten der Exekutive getan wird, damit solche Vorfälle nicht passieren.

“Dass wir als Polizei immer öfter in Situationen kommen, wo Zwangsmaßnahmen notwendig sind, muss man auch einmal sagen”, so WEGA-Kommandant Oberst Ernst Albrecht zur APA. Dass einiges schief gehen kann, wenn es brenzlig wird, zeigte sich vor einer Woche bei der lebensgefährlichen Verletzung eines Ermittlers im Zuge einer gewöhnlichen Personenkontrolle.

Zwangsmaßnahmen seien manchmal notwendig, wichtig sei, dass man das schonendste Mittel ergreife, betonte er. “Teilweise geht es halt nicht anders, als dass man jemanden zur Wand drückt oder ihm den Arm auf den Rücken dreht.” Man dürfe Polizisten solchen Situationen aber nicht überlassen, ohne sie darauf vorzubereiten und ihnen lebenswichtige Automatismen – wie die richtige Stehposition bei einer Festnahme, die Distanz zum Täter oder die Handhabung der Waffe – einzuschärfen. “Das muss geschult werden. Das sind Dinge, die in Fleisch und Blut übergehen müssen”, so Albrecht.

“Mit der Routine kommt auch die Gelassenheit. Man weiß, ob ein Schritt zurück besser ist, als zwei nach vor”, so der WEGA-Kommandant über die Philosophie des Trainings. Die große Herausforderung sei die Entscheidung in Sekundenschnelle – soll man mit einem Messer bewaffnete Täter besser mit Pfefferspray abschrecken, ihnen mit der Dienstwaffe drohen oder gar abdrücken? Besonders gefährdet seien diesbezüglich die Streifenpolizisten, die keine Sonderausbildung bekommen und bei der Überprüfung eines Pkw plötzlich mit einem flüchtenden Bankräuber konfrontiert sein können.

Auch Menschenrechtsorganisationen seien bei den Trainings, dass den Polizisten österreichweit eine normierte Vorgehensweise beibringen soll, eingebunden. “Ich kann jemandem beispielsweise keine Ohrfeige geben”, so Albrecht. Dies wäre per Gesetz eine erniedrigenden Behandlung. Gelernt habe man diesbezüglich auch vom Fall Cheibani Wague, der 2003 nach einer Fixierung in der Bauchlage starb. Dass jemand dabei keine Luft kriegen könne und sich aus Todesangst wehre, müsse man jedem Polizisten beibringen, betonte der WEGA-Kommandant. “Das sind banale Dinge, die gehören in einen Automatismus.

Bei nachgestellten, interaktiven Szenarien im Ausbildungszentrum in Erdberg trainieren die Polizisten für den Ernstfall. Einsatztechnik, Schießtechnik und Einsatztaktik werden dabei zusammengeführt, in vier Modulen sind unter anderem die Punkte Waffenhandhabung, Überprüfung von Räumen, Festnahmen, Kfz-Anhaltungen, Vorbereitung von Einsätzen oder das “Ansprache-Training” enthalten. Ein gesonderter Schwerpunkt des Landespolizeikommandos Wien im Jahr 2009: Menschenrechte und der sprachliche Umgang bei Amtshandlungen.

Ausgelegt ist die Schulung für den “normalen” Streifenpolizisten, Sondereinheiten erhalten zusätzliches Training. Kulissen im Trainingszentrum ermöglichen Nachstellungen, bei denen beispielsweise dunkle Büroräume durchsucht werden müssen, in denen sich “Täter” verstecken oder Kollegen auftauchen. Aus einer scheinbar harmlosen Amtshandlung wegen Lärmbelästigung kann sich für den Polizisten schnell eine lebensbedrohliche Situation entwickeln, betonte WEGA-Chef Oberst Ernst Albrecht. Demonstriert wurde das bei der Übung in Erdberg:

Zwei Beamte suchen Herrn M. in einer Nacht bereits zum dritten Mal auf. Er spielt zu laut Musik, die Nachbarn fühlen sich gestört. Als er beim wiederholten Besuch dazu aufgefordert wird, seine Papiere zu zeigen, holt er ein Messer und bedroht die Polizisten. Die Beamten zücken ihre Waffe, fordern ihr Gegenüber auf, die Waffe fallen zu lassen. Im Training kann der Mann dazu gebracht werden. “Dann ist auch der Schusswaffengebrauch der Polizisten nicht mehr gerechtfertigt”, erklärte Albrecht die Trainingsschritte. Das erfordere auch von den Beamten einen “Szenenwechsel”: Das heißt, Waffe versorgen und “zurücksteigen” auf Pfefferspray oder Körpereinsatz. Ob das alles geschieht wie vorgesehen, überwacht eine Videokamera, anhand deren Aufzeichnungen die Übung analysiert wird.

“Wenn einmal einer sagt, ‘na dann schieß’, dann wird es heikel”, schilderte Albrecht. “Das schlimmste ist ein Gegenüber, das nicht reagiert. Uns Polizisten wird oft Gefühllosigkeit nachgesagt.” Weil man bei Einsätzen sehr vorsichtig und konzentriert auf Sicherheit bedacht sei. Immerhin müsse man mit allem rechnen. “Das wird von Schaulustigen oft als lächerlich empfunden”, meinte der WEGA-Chef. Das Dilemma: Man weiß nie, was das polizeiliche Gegenüber vor hat oder wie es bewaffnet ist. Bei einer Messerattacke aus sieben Meter Entfernung habe ein Beamter beispielsweise nur mehr genug Zeit, um seine Waffe zu zücken, ein Schuss gehe sich nicht mehr aus. “Der Respekt vor einem Messer ist groß.”

“Man kann sehr viel mit Sprache machen. Wir müssen manchmal aber zugreifen, auch sehr hart zugreifen und uns selbst verteidigen”, erklärte Bundeseinsatztrainer Martin Hollunder-Hollunder. Es geht bei den Trainings um das Erlernen von generellen Handlungsabläufen. Wenn man von seiner Waffe Gebrauch machen muss, ist es “wichtig, automatisch hinzugreifen, ich darf nicht hinschauen müssen”, erklärte der Trainer. “Je besser ein Kollege geschult ist, desto weniger Verletzungen treten auf.”

 

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