AA

Der geheime Schatz der Vorstadt

APA/Andreas Tröscher
APA/Andreas Tröscher
Gut versteckt in den Häuserschluchten außerhalb des Gürtels verbirgt sich ein wildes Sammelsurium an Kostbarkeiten: Das Depot des Wien Museums.

Sechster Stock. Riesige Aufzugstüren werden aufgestoßen. Die Luft ist abgestanden, es riecht morbid süßlich. Urplötzlich hält man inne: Eine stumme Armee bewacht die weiten Ebenen, dutzende Ritterrüstungen stehen stramm, die Helme laufen spitz nach vorne zusammen, die Brustpanzer wölben sich selbstbewusst.  
<p>  
Gleich nebenan, das Waffenarsenal der kleinwüchsigen Krieger: Lanzen, Hellebarden, Säbel, Musketen; hunderte, feinsäuberlich geschlichtet, jederzeit griffbereit. Und draußen huschen tagtäglich Menschen an dem mächtigen, grauen Betonwürfel vorbei, nicht ahnend, was sich hinter seinen Mauern verbirgt.  
<p>  
Streng geheim…  
<p>  
Wer Geheimnisse anvertraut bekommt, muss Wort halten: Nichts verraten. Keine Angaben zum Standort. Kein Straßenname, keine Hausnummer, nicht einmal der Bezirk. Das ist der Deal. Dafür ein Blick ins Innere der Schatztruhe, deren Seitenwände aus dicken Eisenstäben und halb blinden Fensterscheiben bestehen.  
<p>  
<B>Gewaltige Truhe</B>  
<p>  
Die Truhe ist riesig: Vier halbierte Stockwerke, also acht Etagen, rund 6.000 Quadratmeter Fläche. Und sie ist prall gefüllt: Mit Rüstungen, Waffen, Skulpturen, Gemälden, Kutschen, Teppichen, Totenmasken, Plastiken, Keramiken, Plänen, Möbel, uralten Filmkameras, sogar mit einem Lapidarium. Der Wert? Niemand weiß es genau.  
<p>  
Christian Kircher steht in Mitten einer riesigen Menschenmenge und staunt. Es sind alle da. Ärzte, Maler, Komponisten, Kaiser, Schauspieler, Literaten, Wissenschafter. Billroth, Girardi, Mozart, Dollfuß, Kaiser Franz Joseph.  
<p>  
Kaum ein Österreicher mit künstlerischem oder politischem Bekanntheitsgrad, der nicht sein finales Plätzchen als Büste im größten Depot des Wien Museums gefunden hat. Doch einem kaufmännischen Leiter bleibt nicht viel Zeit zum Staunen. Berufsbedingt macht man sich dann doch eher Sorgen. Zum Beispiel: Was tun mit dem kunterbunten Sammelsurium? Wohin damit? Und wann?  
<p>  
Auf der Suche nach einer neuen Bleibe sind Kircher und Kollegen schon längere Zeit. Denn die Lagerungsbedingungen seien längst nicht mehr State of the Art, sagen sie. Obwohl, Klimaanlage wäre ohnehin nicht nötig, die würde es auch im neuen Depot nicht geben. Konstante Temperaturen sind gar nicht nötig. Gefährlich für die Objekte sind lediglich rasche Schwankungen – und um diese abzufedern, würde eigentlich schon ein Passivhaus reichen. Apropos Objekte: Die werden derzeit inventarisiert, wie das so schön heißt. Eine Hand voll beneidenswert geduldiger Kuratoren nummerieren jeden einzelnen Gegenstand. Wie das wohl bei einer Schachtel antiker Knöpfe ist?  
<p>  
<B>Übersiedeln: Ein Mega-Projekt</B>  
<p>  
Also, zurück in die Zukunft: Wie soll es nun weitergehen? Kircher:  
„Wir haben 14 Standorte evaluiert. Aber so ein neues Depot ist kein Schnellschuss.“ Allein bei dem Gedanken, was man bei einer Übersiedlung alles einkalkulieren muss, schwinden einem die Sinne. Aber es eröffnet sich auch eine nahezu unwiederbringliche Chance:  
Jedes noch so winzige Stück muss in die Hand genommen, kann also registriert und fotografiert werden. Endlich eine lückenlose elektronische Datenbank. Schätzungsweise 800.000 bis 1,2 Mio. Euro sind nötig – nur für den Transport. Und wer kann schließlich schon exakt voraussagen, wie viel Platz man benötigen wird, wie viel in den kommenden 30 Jahren dazu kommt?  
<p>  
Wie ein in Seenot geratenes Handelsschiff liegt der dunkle Riese in Mitten des Häusermeeres, wartet weiterhin auf Taucher, die die wertvolle Ladung bergen.  
<p>  
Abermals hält der Aufzug, die Flügeltüren werden aufgestoßen. Gigantische Kandelaber, Portale und Öfen mit Doppeladler harren der Ewigkeit. Sie tragen die Jahreszahl 1879. Der Maler Hans Makart organisierte damals einen Festumzug anlässlich der Silberhochzeit von Kaiser Franz Josef und Sisi. 148 Jahre ist es her, dass diese Objekte das letzte Mal wirklich gebraucht wurden. Gleich daneben, unter einem weißen Laken, die Kutsche von Bürgermeister Lueger. Auch „Annie“ hat schon bessere Zeiten gesehen.

  • VIENNA.AT
  • Wien
  • Der geheime Schatz der Vorstadt
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen