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Der Fall Kampusch und der Rechtsstaat

Gastkommentar von Dr. Andreas Unterberger: Drei Männer haben öffentlich lebhafte Zweifel an der offiziellen Version zum Fall Kampusch geäußert, wie sie insbesondere von der Wiener Staats- und Oberstaatsanwaltschaft vertreten wird. Alle drei haben in der Folge mehr als auffällige Konsequenzen ihres Dissidententums erlebt.

Dr. Andreas Unterberger - VIENNA.AT Kommentator

Überdies fällt auf, dass es rund um das spektakuläre Verbrechen zwar zahllose Aktionen und Kommissionen hinter verschlossenen Türen gegeben hat. Aber es gab kein einziges öffentliches Verfahren, bei dem alle Aspekte unter Wahrheitspflicht bezeugt werden mussten.

Zweifel im Entführungsfall Kampusch

Es geht vor allem um die Frage, ob Natascha Kampusch wirklich nur von einem einzigen Täter entführt, jahrelang festgehalten und missbraucht worden ist. Es geht um unglaublich viele Seltsamkeiten und Zusammenhänge; der ehemalige OGH-Präsident Johann Rzeszut hat nicht weniger als 27 davon aufgelistet. Es geht um zwei Selbstmorde, die vielleicht gar keine „Selbst“-Morde waren; um die Frage, ob es ein Kind von Frau Kampusch gibt; um Erbschaften, die ganz seltsame Wege in Richtung angeblich völlig ahnungsloser Freunde des Haupttäters gegangen sind; um Ski- und sonstige Ausflüge von Natascha Kampusch während ihrer Gefangenschaft; um die Rolle der Mütter von Frau Kampusch und des angeblichen Alleintäters; und schließlich um die Frage, warum Kampusch – an sich zweifellos ein armes Opfer – für sie zwingende Gründe haben könnte, nicht die ganze Wahrheit zu sagen.

Manches davon ist Privatsache und hat uns nichts anzugehen. Aber die Frage, ob es weitere Täter gibt, ob an einer Kinderschändung Beteiligte und Schuldige vielleicht noch frei und unbescholten herumlaufen, ist alles andere als eine Privatsache. Das ist keineswegs dem Gefühlsleben von Frau Kampusch anheimgestellt.

Trio sprach Bedenken aus

Daher sind die regelmäßigen Versuche der Staatsgewalt, die Sache hinter verschlossenen Türen zu bereinigen, hoffentlich zum Scheitern verurteilt. Sie haben zumindest in den Augen kritischer Menschen keinerlei Gewicht. Daher ist es besonders relevant, wer die drei Männer sind, die nach intensivster Befassung mit dem Fall öffentlich massivste Bedenken an der staatanwaltsoffiziellen Darstellung äußern und substanzielle Vorwürfe äußern: Es sind zwei Präsidenten eines Höchstgerichts und es ist ein eingehend mit dem Fall befasster Kriminalbeamter.

Der Kriminalbeamte Franz Kröll hatte nach intensiver Recherche massive Zweifel an der offiziellen Version. Er stimmte aber dieser dann plötzlich bei einer Sitzung formell zu. Und war dann kurz darauf tot. Sein Bruder zweifelt seither unverdrossen die Darstellung an, dass Franz Kröll Selbstmord begangen hätte. Er glaubt eher, dass der Tote zu viele Dinge gewusst habe, die von der offiziellen Wahrheit abweichen.

Der zweite aus dem Trio ist immerhin der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs und jetzige juristische Chefberater des Bundespräsidenten, Ludwig Adamovich. Jeder der ihn kennt, weiß, dass Adamovich ein geradezu extrem zurückhaltender Jurist ist, der jede Silbe abwägt. Trotzdem kam er in der Causa zu einem klaren Urteil. Adamovich landete vor Gericht (geschmackvollerweise unter anderem mit einem Verhandlungstermin am Heiligen Abend) und schaffte erst in zweiter Instanz einen Freispruch.

Seit einiger Zeit gibt es nun auch gegen den Dritten ein Verfahren. Johann Rzeszut soll in einem Arbeitsgerichtsprozess gegen einen Amateurdetektiv falsch ausgesagt haben. Dieser hatte versucht, für einen DNA-Test taugliche Haare der vermuteten Kampusch-Tochter zu erlangen. Es geht um die Frage, wie oft Rzeszut mit diesem Amateurdetektiv telefoniert hat. Eine Rufdatenüberwachung soll herausgefunden haben, dass Rzeszuts Aussage nicht stimmt. Das Verfahren wurde an die Linzer Staatsanwaltschaft weitgeleitet. Und man kann nur hoffen, dass es Rzeszut vor einem nun zuständig gemachten Linzer Gericht endlich gelingt, Zeugen unter Wahrheitspflicht öffentlich befragen zu können. Aber vorerst wird der Prozess seit Jahr und Tag hinausgeschoben. Ist es noch mit bloßem Zufall erklärbar, was da allen drei Zweiflern an der offiziellen These so widerfahren ist?

Rufdatenerfassung

Mindestens ebenso seltsam ist, in welchen nicht gerade schwer-kriminellen Zusammenhängen Rufdaten erfasst werden. Was auch immer die unerlaubte Suche nach einem Haar eines Mädchens rechtlich ist: Es ist ganz sicher keines der Schwerverbrechen, deretwegen man uns die Notwendigkeit von solchen elektronischen Überwachungsmaßnahmen eingeredet hat. Eine Haarsuche ist nicht gerade mit Terrorismus oder Kinderschändung vergleichbar.

Jetzt fühlen sich viele hintergangen, die zugestimmt haben, dass im Kampf gegen wirklich schwere Verbrechen auch moderne elektronische Überwachung legal wird. Und zweifellos bekommen durch den Fall Rzeszut jene Auftrieb, die schon immer der Obrigkeit solche Instrumente verweigern wollten. Weil diese ja ohnedies primär im Interesse der Obrigkeit eingesetzt werden. Und nicht im Kampf gegen Schwerkriminelle.

Übrigens fällt gleichzeitig auf, dass es gegen rund 80 Männer, die kämpfend aus Österreich in den Nahen Osten gezogen sind, so gut wie keine Aktionen der Staatsgewalt gibt. Oder gegen die Moscheen und sonstigen Strukturen vor allem in Wien, wo diese Burschen radikal indoktriniert worden sind. In Deutschland hingegen sind die dortigen 270 Jihadisten ein Riesenthema. Dabei ist in Relation der Anteil der Kämpfer aus Österreich viel größer. Dabei ist jeder einzelne der 80 bei seiner Rückkehr nach Österreich eine schwere Gefährdung der inneren Sicherheit. Ob aber hierzulande auch nur in einem einzigen Jihadisten-Fall von der Staatsanwaltschaft so drastische Aktionen angeordnet sind wie gegen einen Haardieb?

Gewiss werden uns manche Exponenten der Staatsgewalt entgegenhalten, dass sich die drei Selberdenker ihr Schicksal selbst zuzuschreiben hätten. Dass das seltsame Zusammenfallen nur Zufall sei. Aber die Staatsgewalt kann uns nicht hindern, uns selber unseren Teil zu dem Fall zu denken. Und das ist ein sehr großer Teil . . .

Der Autor war 14 Jahre Chefredakteur von „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.

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