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Das Simon Bolivar Youth Orchestra - Salzburgs liebenswürdigste Gäste

Getrampel, Gejohle, Begeisterungsrufe und Standing Ovations ohne Ende schon zur Pause. Kein anderes Orchesters bei den Salzburger Festspielen 2008 hat wohl so viele glückliche Gesichter hinterlassen, wie das Simon Bolivar Youth Orchestra of Venezuela mit seinem Dirigenten Gustavo Dudamel - Salzburg hat seine Lieblinge gefunden.

BBC-Video: Das Orchester bei der Arbeit:

Das mag auch ein wenig am Rührungsfaktor gelegen sein, den adrett geschniegelte Slum-Kinder auf dem rechten Weg der Kunst als Sympathie-Bonus mit auf’s Podium nehmen. Vor allem aber lag es an der überwältigend hohen Qualität mit der sie auch gestern, Freitag, Abend ihr Abschlusskonzert im Großen Festspielhaus absolvierten.

Das Simon Bolivar Youth Orchestra spielt nicht nur der Musik wegen. Diese Jugendlichen spielen, weil die Musik ein Weg aus der Armut ist und persönliche Identität verleiht. Sie sind die Besten von rund 250.000 Kindern, die Jose Antonio Abreu in seinem “Sistema” genannten Musikschulwesen in Venezuela auf der Straße (nicht selten auch in Jugendgefängnissen) rekrutiert und an einem Instrument ausgebildet hat. Und sie proben mit einer Gewissenhaftigkeit, die sonst im modernen Konzertbetrieb unfinanzierbar ist. Das ist der leidenschaftliche Mix, mit dem sie gestern Abend die Grand Dame des Klaviers, Martha Argerich, und die Brüder Renaud und Gautier Capucon durch Beethovens “Konzert für Klavier, Violine und Violoncello” trugen und die spieltechnisch anspruchsvolle Partitur der “Bilder einer Ausstellung” von Mussorgski und Ravel zu einem Klangerlebnis erster Güte gestalteten. Als Salzburgs liebenswürdigste Festspielgäste dann in den Zugaben mit einem Mambo und sogar mit dem Radetzkymarsch für austro-latinische Partystimmung sorgten, im Stehen und Tanzen spielten und die Sau rausließen, ohne dabei platt zu werden, stand das Festspielpublikum endgültig Kopf.

Martha Argerich trat tatsächlich auf. Das ist nicht selbstverständlich, denn die 67-Jährige hat in den vergangenen Jahren wohl mehr Konzerte abgesagt als wirklich gespielt. In Beethovens Tripelkonzert standen ihr der Geiger Renaud Capucon und Gautier Capucon am Cello gegenüber. Dabei begeisterte vor allem der 27-jährige Gautier mit atemberaubend singendem Cello-Ton und turnte sich schlafwandlerisch sicher durch den schwierigsten Part dieses vielfach unterschätzen Konzertes. In dieser Form ist der jüngere der Capucon-Brüder im Moment wohl weltweit konkurrenzlos. Und das Simon Bolivar Youth Orchestra begleitete schlank, knackig und spritzig oder fegte wie ein Wirbelwind durch Räume zwischen den Solisten.

Mussorgskis “Bilder einer Ausstellung” spielte das Orchester in gigantisch großer Besetzung: Mit 14 Bässen, 20 Bratschen, an die 50 Geigen und doppelt besetztem Blech “krachten” diese Bilder in voluminösem, satten Orchester-Sound. Aber schlagartig und diszipliniert führten Dudamel und seine Kids auch die feine Klinge. Erneut bewiesen sie, dass eine Vision, eine große soziale Idee und eine unerschütterliche Leidenschaft für Menschen und Musik nicht nur der Armut, sondern auch den Turbulenzen selbst der schwierigsten Partitur ein Schnippchen schlagen können. Eine wirkungsvollere Frischzellenkur gegen die kulturelle Abgebrühtheit unserer Breiten hätte Festspiel-Konzertchef Markus Hinterhäuser wohl kaum präsentieren können.

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