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Das Dorf hinter den Mauern

Am Rand des idyllischen Rheindorfs schießt die Industrie in die Höhe und versperrt den Blick. Wer in der realen Welt nach Gaißau mit dem Auto fährt, hat Probleme es überhaupt zu sehen.

„Eingebettet in eine schöne Landschaft (…) hat sich Gaißau bis heute trotz aller Modernisierungen seinen dörflichen Charakter weitgehend bewahren können.“ So idyllisch präsentiert sich das 1600-Seelendorf im Internet. Die Betonung liegt auf „weitgehend“. Wer in der realen Welt nach Gaißau mit dem Auto fährt, hat Probleme es überhaupt zu sehen – ist das ganze Dorf doch seit Neuem von einem Industriekoloss verdeckt.

„Ich verstehe nicht, wie man ein grünes Dorf am Bodensee derart zubetonieren kann“, regt sich Heinz Wendel, pensionierter Lehrer, über die riesigen Betonwände, die vor seinem Haus in luftige Höhen ragen, auf. Seit die ehemalige Firma Plangger vom Beschläge-Hersteller Blum aufgekauft wurde, hat das Höchster Weltunternehmen sich direkt am Ortsrand von Gaißau eine weitere Dependance gesichert, um seine Produktion in Vorarlberg auszudehnen.

„Ich habe nichts gegen eine florierende Industrie. Ich habe auch nichts dagegen, dass die Industrie Arbeitsplätze schafft“, weist der 58-jährige Gaißauer den Makel eines Nestbeschmutzers weit von sich. „Ich kann nur nicht diesen Gigantismus tolerieren. Warum konnte man das neue Werk von Blum nicht mehr in die Fläche bauen?“

Ein Dorn im Auge ist dem passionierten Leserbriefschreiber dabei jene „Doppelzüngigkeit“ der Bezirkshauptmannschaft Bregenz, die sich über den Brennholzstapel eines Fußacher Bauern den Kopf zerbricht – „weil dieser offenbar nicht in die Landschaft passt und die Natur schädigt!“ Aber im Falle eines monumentalen Industriebaus in der Grünzone gebe es keinerlei rechtliche Bedenken.

Gaißaus Bürgermeister Reinhold Eberle verteidigt die „Sonderwidmung Betriebserweiterung“ der Firma Blum. „Gerade dadurch, dass das Unternehmen am Ortsrand angesiedelt ist, gibt es kaum Verkehrsbelastungen“, argumentiert der Gemeindevorsteher – und betont, dass der Gemeinderat einstimmig grünes Licht gegeben habe. 2007 soll das Werk fertig sein.

Zwar räumt Eberle eine gewisse „Beeinträchtigung“ in Sachen Dorfpanorama ein. Doch diese stünde in keinem Verhältnis zu den Vorteilen, die das neue Blum-Werk für Gaißau bringe: „Zum einen entstehen rund 70 neue Arbeitsplätze, zum anderen verfügt Gaißau dank der Blumschen Kommunalsteuern über ein gewisses finanzielles Gestaltungspotenzial.“ Nicht zuletzt sichere diese Industrieansiedlung den Wohlstand der Menschen im ganzen Rheintal.

Doch auch Ulrich Grasmugg von der Landesraumplanung hatte im Genehmigungsverfahren so seine Bedenken, das ursprüngliche Hochregallager des Beschlägebeschichters Plangger (im Volksmund: „Staumauer“) sowie die jetzige Blumsche Betriebsexpansion in der Grünzone zu genehmigen.

„Das ist schon ein Maßstabsbruch im Vergleich zur übrigen Bebauung“, erklärt der Sachverständige. Die BH hätte allerdings die wirtschaftlichen Gesichtspunkte der Betriebserweiterung höher bewertet. Übrigens wie im Fall von Alpla. Der Harder Verpackungshersteller habe sein Werk auch in die Grünzone – in die überörtliche Freifläche – gebaut, so Ulrich Grasmugg. „Es gibt halt im Ländle zu wenig verfügbare Gewerbeflächen für solche großen Betriebe!“

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