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Butterweicher Pathos: Die "Wiener" geben Mahlers "Dritte" in Salzburg

Wer Pathos nicht mag, der wird sich im fünften und letzten Konzertprogramm der Wiener Philharmoniker bei den Salzburger Festspielen 2008 nicht wohl gefühlt haben.

Aber was dieses Orchester und sein Dirigent Esa-Pekka Salonen am Freitagvormittag im Großen Festspielhaus zu Gehör brachten, war die denkbar gediegenste und sensibelste Form von musikalischem Pathos. Mehr noch: Salonen dirigierte die Philharmoniker, die Damen-Abteilung der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, den Salzburger Festspiele Kinderchor und Mezzo-Sopranistin Lilli Paasikivi zu einer wahren Orgie des Klangs in der größten und längsten Symphonie von Gustav Mahler.

“Die Symphonie muss wie die Welt sein, sie muss alles umfassen”, schrieb Mahler über seine 1902 uraufgeführte Dritte Symphonie in d-Moll. So “erzählt” der Komponist in diesem bombastischen Werk über das Erwachen der Natur, die Blumen auf der Wiese, die Tiere im Wald, die Menschen, die Engel und die Liebe. Und doch, es ist das düstere d-Moll, in dem der Abgrund und die Todessehnsucht lauern und alles Idyllische und Volksmusikantische zerklüften, manchmal brachial zerreißen und in ein apokalyptisches Monument des spätromantischen Weltbildes verwandeln. Große Geste, großes Drama und wuchtig-martialischer Kanonendonner.

Allein der Kopfsatz dauert mehr als 40 Minuten. Ein bleischwerer Marsch, reich verziert mit vielen kleinen Nebenmotiven, stampft durchs Universum. Die Blechbläser dominieren den Klang, und die Philharmoniker haben auch am Ende dieses langen Festspielsommers noch Luft genug. Von den einigen kleinen Kieksern abgesehen – fast schon ein liebenswertes Markenzeichen der philharmonischen Blech-Gruppe – eine umwerfende Leistung. Vor allem die erste Posaune und die aus der Ferne klingende Solo-Trompete schmiegten sich ungemein organisch in den Gesamtklang, den Esa-Pekka Salonen niemals forcierte.

Salonen hat die weiche Klangwucht mit seiner wunderbar klaren Zeichengebung herausgearbeitet und die ohnehin komponierten Effekte nicht zusätzlich verstärkt. Natürlich kann man die Bläsersätze, Kontrabass-Stürme oder Schlagwerk-Akzente noch knackiger, aggressiver und schroff-bedrohlicher spielen – Solti und auch Bernstein haben das vorgemacht. Aber diese Dritte wirkte durch fein ausbalancierte, ganz lange Spannungsbögen und ihre unnachahmliche Wiener Melancholie. Nicht ultimativ präzise, dafür edel, empfindsam und kraftvoll.

Gerade in den langsamen, schlichten und thematisch fast naiven Sätzen bewährte sich dieses Klangkonzept. So konnten sich die Chöre und vor allem Mezzo-Sopranistin Lilli Paasikivi durch ihr fast monoton-einfaches Lied aus “Des Knaben Wunderhorn” treiben lassen und mit wenig gesangstechnischem Aufwand hohe Wirkung erzielen. Ruhig und klangschön sogen sie hinein in den traurigen Traum nach Friedrich Nietzsche. Wer auf der Welt könnte diese Symphonie schöner spielen?

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