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Bettler durch Folter gefügig gemacht: Menschenhändler forderten Geld ein

33-jähriger Bettler musste jeden Cent an Menschenhändler abliefern
33-jähriger Bettler musste jeden Cent an Menschenhändler abliefern ©APA (Sujet)
Ein 33-jähriger Bettler wurde durch Folter gefügig gemacht und zum Betteln gezwungen. Der Mann musste jeden Cent an Menschenhändler abliefern. Das haben Ermittler in Wien nun heraus gewfunden.

Menschenhandel als solche nachzuweisen, ist für Ermittler ein äußerst schwieriges Geschäft. Es scheitert meist daran, Opfer zu identifizieren und sie dazu zu bringen, gegen die Täter auszusagen. In einem Fall ist dies nun gelungen. Ein 33-jähriger, nach einem Unfall körperlich massiv beeinträchtigter Bettler sprach mit den österreichischen Ermittlern, 13 Beschuldigte wurden deshalb ausgeforscht.

Bettler wurde gefoltert

Das Opfer wurde durch Folter gefügig gemacht, berichtete Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle Menschenhandel im Bundeskriminalamt (BK), am Freitag bei einem Hintergrundgespräch in Wien. Tagelang wurde er an einen Baum gebunden, Nahrung und Wasser wurden ihm dabei verweigert. Erst bei der 19. Einvernahme beim BK habe er mitbekommen, dass er die Toilette einfach dann benutzen darf, wenn er das müsse. “Er war immer fremdbestimmt”, sagte der BK-Experte.

Zumindest sechs Jahre musste der 33-Jährige für seine Hinterleute betteln. Dabei dürfte er sich nicht zuletzt wegen seiner Behinderung eine Goldgrube für die Täter gewesen sein. Im Durchschnitt nahm er 300 Euro pro Tag ein, an Spitzentagen waren es bis zu 1.000 Euro. “In Österreich regnet es Geld”, sagte er den Ermittlern bei einer der rund 25 Einvernahmen. Er selbst bekam von diesen Einnahmen nicht einen Cent. Schaffte er die Durchschnittseinnahmen nicht, setzte es Schläge und andere Misshandlungen. Der Mann erlitt schwere körperliche Schäden, etwa durch das Liegen auf dem Boden, bei jeder Witterung. Freie Tage gab es nicht.

Mutmaßliche Täter erwartet in Wien Prozess

Den Tätern soll in den nächsten Monaten in Wien der Prozess gemacht werden. Drei Beschuldigte wurden aufgrund der Aussagen des 33-Jährigen in Rumänien festgenommen und an Österreich ausgeliefert. Die Polizei geht von zumindest zehn weiteren Opfern der Gruppe aus.

Bettler als Opfer von Menschenhändlern sind laut Tatzgern generell aber die kleinste Gruppe von insgesamt drei. Die erste Gruppe sind “selbstbestimmte Armutsbettler”, die zweite Gruppe sind dem BK-Experten zufolge die organisierten Bettler. Von der Zahl her würden sich diese beiden Gruppen etwa die Waage halten. Die dritte Gruppe ist von der Ausbeutung durch Menschenhändler betroffen.

Überhäufte Unterkünfte

Die zweite Gruppe befindet sich an sich nicht im Visier der Ermittler. Werden Verwaltungsübertretungen wahrgenommen, leiten die Ermittler diese an die zuständigen Behörden weiter. Den Bettlern in der zweiten Gruppe werden zwar große Teile ihres Einkommens mit dem Argument abgenommen, dass der Erhalt der Organisation einiges kostet. Dabei geht es um Transport- und Reisekosten, Unterkunft, Verpflegung und Ähnliches. Laut Tatzgern werden den Menschen für eine Matratze pro Monat 100 Euro und mehr berechnet. Die Ermittler fanden Unterkünfte, bei denen rund 40 Menschen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung untergebracht waren, was für den Vermieter monatliche Einnahmen von 4.000 Euro pro Wohnung ergab.

Ein paar weitere Zahlen: In Wien wurden laut Tatzgern im Vorjahr rund 1.100 Bettler aus Rumänien angetroffen. 430 Personen wurden nach dem Wiener Landessicherheitsgesetz wegen organisierter Bettelei angezeigt. Sie waren demnach in 13 sogenannten Massenunterkünften untergebracht und gingen ihrer Tätigkeit an mehr als 70 Plätzen nach. Außerdem wurden zwölf sogenannte Transporteure identifiziert, die sich um die An-, Ab- und Weiterreise der Bettler zu kümmern haben. Organisierten Bettlern bleiben dem BK-Experten zufolge etwa 100 bis 200 Euro als eigenes Einkommen.

Schutzwohnungen für Betroffenen

Neben heimischen Bettlern stellen rumänische Staatsbürger die größte Gruppe. Stark vertreten sind auch Menschen aus der Slowakei und Bulgarien. Wobei die Nationalitäten nach Städten getrennt sind. So arbeiten in Wien Tatzgern zufolge fast nur rumänische Bettler, während in Graz vor allem Slowaken ihrer Tätigkeit nachgehen.

Ein besonders wichtiger Punkt ist laut dem BK-Experten der Schutz der Opfer: Der 33-Jährige ist bis an sein Lebensende versorgt, es gibt eine Schutzwohnung. Daneben soll die Prävention stark forciert werden. So plant man eine Aktion gemeinsam mit der Caritas, bei der Ein-Euro-Gutscheine verkauft werden sollen. Die Gutscheine sollen für Bettler den Erhalt von Sachspenden – Nahrung, Kleidung etc. – bei der Caritas ermöglichen. Das soll die Attraktivität des Gewerbes für die Hinterleute minimieren. Auch über eine Registrierung der Bettler bei den Magistraten wird nachgedacht. “Es geht uns darum das Umfeld für die Hinterleute unattraktiver zu machen”, sagte Tatzgern. Derzeit gebe es für diese Personen de facto ein “freies Feld”.

Kritik der Caritas an BK-Tatzgern

Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, hat am Freitag nach dem Hintergrundgespräch des Bundeskriminalamts (BK) Kritik an Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle Menschenhandel im BK, geübt. “Niemand bettelt aus Jux und Tollerei, es handelt sich um verzweifelte Menschen, die unter unvorstellbar prekären Armutsverhältnissen leben”, so Schwertner. Der Caritas-Generalsekretär betonte, dass es schon jetzt klar geregelt und “entsprechend zu verurteilen” sei, “wenn es in einem Einzelfall um Menschenhandel gehen sollte”. Laut einer Studie würden Bettler zwischen 20 und 30 Euro pro Tag erhalten, Menschen mit Behinderung etwas mehr. Dass das, wie von Tatzgern für einen Fall angegeben, in die Höhe von 300 Euro im Schnitt und 1.000 Euro zu Spitzenzeiten gehen könne, wies Schwertner zurück.

Die 20 bis 30 Euro würden “kaum für ein menschenwürdiges Überleben” reichen, so der Caritas-Vertreter. “Wer hier von mafiösen Strukturen spricht, hat von der Realität keine Ahnung. Menschen, die betteln, geben ihr Wissen weiter, bilden Fahrgemeinschaften, nehmen Sammeltaxis in Anspruch oder teilen sich Wohnungen, weil sie sich die Mieten sonst nicht leisten können. An diesem Verhalten lässt sich nichts Verwerfliches erkennen, es wird aber derzeit als ‘organisiertes’ Betteln bestraft”, betonte Schwertner.

“Vom Betteln wird niemand reich”

“Vom Betteln wird niemand reich. Hören Sie auf die Bevölkerung zu verunsichern und Bettler zu kriminalisieren!”, appellierte Schwertner. Aus Sicht der Caritas sei es völlig unverständlich, warum Betteln unter Strafe steht. “Das einzige, was wir alle tun können, ist, direkt zu helfen – vor Ort in den Herkunftsländern und hier bei uns. Aufmerksamkeit, teilen und ein Stück internationaler Gerechtigkeit sind aus Caritas Sicht die richtige Lösung”, sagte der Generalsekretär der Wiener Caritas.

Schwertner stellte auch in Abrede, dass es ein gemeinsam geplantes Projekt zwischen Caritas und Bundeskriminalamt gebe. Der leitende Beamte habe lediglich um einen Termin bei der Caritas ersucht, der vergangenen Donnerstag stattgefunden habe. “Angebote wie eine warme Mahlzeit beim Canisibus, Kleiderausgabe in den carlas oder medizinische Betreuung beim Louisebus sind alles Caritas-Angebote für armutsbetroffene Menschen, die schon heute kostenlos, dank der Unterstützung unzähliger Spenderinnen und Spender, sowie in enger, guter Zusammenarbeit mit der Stadt Wien angeboten werden können”, erklärte Schwertner.

(APA)

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