Nach drei Stunden atemloser Spannung spendete das Premierenpublikum – darunter Bundespräsident Heinz Fischer – geradezu erlösenden Beifall für alle Protagonisten, das Leading-Team, die Wiener Symphoniker und den musikalischen Leiter Teodor Currentzis. Am Donnerstagabend hat auf der Seebühne die Wiederaufnahme von Verdis “Aida” Premiere.
Mit der eindrucksvollen Inszenierung der Oper “Die Passagierin” auf Basis des gleichnamigen Romans der in Bregenz anwesenden Auschwitz-Überlebenden Zofia Posmysz (86) hat Pountney die Oper und deren Schöpfer Weinberg dem Vergessen entrissen und ein Signal für die Wiederentdeckung des von Schostakowitsch hoch geschätzten Künstlers gesetzt. Weinberg ist heuer “Composer in Residence” in Bregenz . Neben der “Passagierin” wird auch dessen satirische Oper “Das Porträt” aufgeführt, außerdem stehen seine Werke im Mittelpunkt aller Orchesterkonzerte.
Das 1968 fertiggestellte Musik-Drama durfte trotz der vehementen Fürsprache von Schostakowitsch in der Sowjetunion nie gespielt werden und erlebte erst 2006 in Moskau die konzertante Uraufführung. Nach Bregenz wird das tiefenpsychologisch fesselnde Werk bald auch von den Koproduzenten in Warschau (Wielki Teatr), London (English National Opera) und Madrid (Teatro Real) übernommen.
“Die Passagierin” spielt eineinhalb Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg auf einem Ozeandampfer, der von Europa nach Brasilien unterwegs ist. Lisa (Michelle Breedt), die Frau eines deutschen Diplomaten, erkennt in einer Passagierin die für tot gehaltene Auschwitz-Gefangene Martha (Elena Kelessidi). Die verdrängte Tätigkeit als KZ-Aufseherin bricht auf, Lisa versucht ihrem Mann die verheimlichte SS-Vergangenheit zu erklären. In spielfilmartigen Collagen wechselt der Schauplatz zwischen weißem Schiffsdeck und dem trotz Stilisierung bedrückenden Konzentrationslager. Weinbergs Musik verleiht dem vielschichtigen Psychodrama enormen Tiefgang.
In der Deutung von Regisseur Pountney, Johan Engels (Bühnenbild) und Marie-Jeanne Lecca (Kostüme) dürfte “Die Passagierin” KZ-Opfer und Verfolgte eher vor dem Vergessen bewahren und ihnen mehr Stimme geben als so manche wissenschaftliche Abhandlung über den Holocaust.