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Belgien: Spannung vor Dutroux-Urteil

Die Spannung im Prozess gegen den belgischen Kinderschänder Marc Dutroux steigt weiter. Die Verkündung des Spruchs wird frühestens am Donnerstag erwartet.

Auch am dritten Tag ihrer Beratungen verkündeten die zwölf Geschworenen am Mittwoch keinen Schuldspruch zur Entführung von sechs Mädchen, von denen vier qualvoll starben. Damit dauert die Beratung der Laienrichter bereits deutlich länger als belgische Justizexperten erwartet hatten. Gründe hierfür wurden nicht bekannt. Die acht Frauen und vier Männer bleiben bis zum Urteil streng abgeschottet. Die Geschworenen müssen 243 Fragen beantworten und können dabei die auf rund 450.000 Seiten angeschwollene Untersuchungsakte zu Rate ziehen. Ihr Urteil wird frühestens für Donnerstag erwartet.

Dutroux hat die Beteiligung an vier Entführungen Mitte der neunziger Jahre zugegeben. Er bestreitet aber, den grausamen Tod der vier gestorbenen Opfer verursacht zu haben. Die Anklage, die in wesentlichen Teilen auf den Aussagen seiner mitangeklagten Ex-Frau Michelle Martin beruht, wirft ihm die Tötung zweier Mädchen und eines Komplizen vor.

Als besonders schwierig gelten auch die 21 Fragen, die eine Tatbeteiligung des mutmaßlichen Dutroux-Komplizen Michel Nihoul betreffen. Er bestreitet, etwas mit den Mädchenentführungen zu tun zu haben. Der vorbestrafte Betrüger Nihoul, der sich stets guter Beziehungen zu ranghohen Persönlichkeiten rühmte, hatte in der fraglichen Zeit zumindest intensive Telefonkontakte mit Dutroux. Er gilt als mögliches Bindeglied zu Kinderschänder-Kreisen.

Nach Ansicht des Brüsseler Rechtsanwalts und Universitätslehrers Pierre Chome könnte es in Belgien trotz Reformen bei Polizei und Justiz jederzeit einen weiteren Skandal wie die Dutroux-Affäre geben. „Was man gemacht hat, kann nicht verhindern, dass es eine neue Dutroux-Affäre geben könnte“, sagte Chome. Der Strafrechtsexperte der Freien Universität Brüssel sagte weiter, die Reformen hätten nicht das gewünschte Ergebnis gebracht. Nach dem Dutroux-Skandal sei zwar die Gendarmerie, die vorher der Armee unterstand und als ein „Staat im Staate“ galt, in die neu geschaffene Bundespolizei eingegliedert worden. Die neue Polizei funktioniere aber noch nicht richtig, sagte Chome.

„Die Mittel sind nicht auf der Höhe der Zeit.“ Die schon vor dem Fall Dutroux eingeleitete Justizreform habe zwar die Rechte der Opfer gestärkt, sei aber nie wirklich zum Ziel gekommen. „Belgien wäre viel glücklicher gewesen, wenn man einen Notar, einen Arzt, einen Rechtsanwalt und einen Richter gefunden hätte, wenn man mehrere Leute im Gefängnis hätte“, meinte Chome. Stattdessen gebe es unfähige Polizeibeamte, die bei Durchsuchungen Kinderstimmen nicht gehört hätten. „Das ist viel schlimmer, sich selbst sagen zu müssen, dass man in Innern krank ist, dass die Institutionen nicht richtig funktionieren“, sagte der Jurist.

Sollten Dutroux und seine drei Mitangeklagten in den wesentlichen Anklagepunkten schuldig gesprochen werden, drohen ihnen in einem zweiten Urteilsschritt hohe Strafen. Der Hauptangeklagte Dutroux würde vermutlich nie wieder aus dem Gefängnis entlassen werden, erläuterten Justizexperten am Mittwoch. Nihoul drohen bis zu 20 Jahre Haft. Michelle Martin und der Komplize Michel Lelievre könnten bis zu 30 Jahre Gefängnis bekommen.

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