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Arbeiterkammer: Arbeitswilligkeits-Debatte geht am Problem vorbei

In der Debatte um Arbeitslosigkeit kritisiert die AK Unternehmen.
In der Debatte um Arbeitslosigkeit kritisiert die AK Unternehmen. ©APA/dpa
Wegen Berichten um Arbeitslose, die angeblich keine Jobs annehmen wollen, wurde eine Diskussion um die Arbeitswilligkeit vom Zaun gebrochen. Die Diskussion gehe aber am echten Problem vorbei, heißt es von der Arbeiterkammer Salzburg. Wir blicken von der anderen Seite auf die Sache.
Weniger Arbeitslose in Sbg

Ausgerechnet in Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit machen manche Wirtschaftskammern gegen Arbeitslose mobil und fordern ihre Mitglieder auf, Bewerber zu melden, die sich der Arbeitsaufnahme verweigern. „Das führt zur pauschalen Verurteilung einer riesigen Gruppe Menschen. Die allermeisten wollen arbeiten. Sie bekommen aber auf zig Bewerbungen oft nicht einmal eine Antwort. Das ist die Kehrseite der Medaille! Eine Hexenjagd auf Arbeitslose ist das letzte was wir brauchen und der Gipfel der Ungerechtigkeit“, gab AK-Präsident Siegfried Pichler via Aussendung zu bedenken. Für die Arbeiterkammer berichtet ein Betroffener, wie schwierig es oft ist, trotz Arbeitswillen etwas zu bekommen.

„Wie kommen Menschen aus der Arbeitslosigkeit?“

In jedem Versicherungssystem gibt es Trittbrettfahrer, die davon profitieren, ohne selbst etwas beizutragen. Das gilt auch für die Arbeitslosenversicherung. Aktuell werden aber vereinzelte Fälle von angeblich unmotivierten Bewerbern, die mit Sanktionen rechnen müssen,  medial im Rahmen einer regelrechten Vernaderungskampagne einzelner Wirtschaftskammern und mit dem Sanctus der Bundeswirtschaftskammer so aufgeblasen, dass das wirklich Wichtige in den Hintergrund rückt: „Wie kommen Menschen wieder aus der Arbeitslosigkeit heraus? Wie können sie das notwendigste im Leben für sich sowie ihre Partner und Kinder finanzieren? Wie gehen sie mit dutzendfacher Ablehnung um, obwohl sie arbeitswillig und oft auch gut qualifiziert sind?

Arbeiterkammer: Dramatische Auswirkungen von Arbeitslosigkeit

„Fast die Hälfte aller Personen, die 2014 zwischen sechs und elf Monate arbeitslos waren, sahen sich in dieser Zeit mit Armut- oder Ausgrenzung konfrontiert. Ist man länger als zwölf Monate ohne Beschäftigung, dann trifft das bereits zwei Drittel!“, sagt Stefan Bogner aus der sozialpolitischen Abteilung der AK Salzburg. Besonders betroffen sind ältere, erfahrene Mitarbeiter. Die Zahl der über 50-jährigen, die als arbeitslos beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgemerkt sind, hat sich in Salzburg zwischen 2008 und 2015 von 1.894 auf 4.056 Personen mehr als verdoppelt – Tendenz weiter steigend.

Manche Unternehmen bringen Bewerbern null Respekt entgegen

Trotz höchster Motivation machen Arbeitssuchende allzu oft die eine Erfahrung: Es wird ihnen seitens der Unternehmen nicht einmal ein Mindestmaß an Respekt entgegengebracht – vor allem in der Bewerbungssituation: Viele Bewerberinnen und Bewerber erhalten keine formale Antwort, obwohl sie zahlreiche Bewerbungen verfassen. Bekommen sie eine, kann es Monate dauern.

Vielfach erfolgen die Absagen lapidar. Auch gut qualifizierte Personen bekommen keine Chance, ihre Qualitäten und Fähigkeiten zu beweisen. Das gilt besonders für ältere Bewerberinnen und Bewerber oder Menschen mit Migrationshintergrund. Letztere haben laut Studie der Johannes Kepler Universität Linz eine 25 bis 30 Prozent geringere Chance, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

So sieht die Arbeitssuche wirklich aus

„Wir wissen aus einer Vielzahl von Kontakten mit Betroffenen, wie die Realität Arbeitsloser wirklich aussieht. Sieben von zehn Beratungen der Arbeiterkammer im Sozialversicherungsbereich betreffen auch das Thema Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherungsrecht. Dort fällt kaum ein Kunde wegen Arbeitsunwilligkeit auf. Im Gegenteil: Durchgängig wird von zig mündlichen und schriftlichen Bewerbungen berichtet. Von vielen erfolglosen Bewerbungsversuchen. Oft fällt der Wunsch nach mehr Jobvermittlungen, als möglich sind – für diese Menschen sind sie kein Pflichtgang, um sich einen „Stempel zu holen“, stellt Cornelia Schmidjell, die Leiterin der sozialpolitischen Abteilung der AK Salzburg klar. Präsident Siegfried Pichler: „Was wir brauchen sind mehr gute Arbeitsplätze und mehr Respekt gegenüber Arbeitslosen, die arbeiten wollen. Die aktuelle Kampagne der Wirtschaftskammern in Tirol und Oberösterreich vergiftet das Klima und trägt nichts zur Lösung der Misere von 450.000 Arbeitslosen im Land bei. Gerade die Wirtschaftsseite sollte im Rahmen der Sozialpartnerschaft gemeinsam mit der Arbeitnehmervertretung für mehr Beschäftigung sorgen, statt eine Neiddebatte zu schüren!“

Arbeitslose schreiben sich das Leid von der Seele

Wie schwer Arbeitslosigkeit auf den Schultern Arbeitswilliger lastet, zeigt auch eine vor zwei Monaten ins Leben gerufene Schreibwerkstatt der Arbeiterkammer Salzburg. Die Beiträge zeichnen den Kampf der Betroffenen gegen Vorurteile, psychischen Druck und für mehr Respekt nach. Herr Maurer (Name geändert) ist einer von vielen, die Texte beisteuern. Er war über  30 Jahre in der Gastronomie beschäftigt, verlor seinen Job und ist gesundheitlich angeschlagen. Da er sich selbst als motiviert, kooperativ und teamfähig einschätzt und auch kaufmännische Qualifikationen hat, glaubte er nicht an Probleme bei der Arbeitssuche. Die Realität war eine Andere: Trotz dutzender  Bewerbungen in unterschiedlichsten Branchen hatte er bis dato keine Chance. Was er am meisten bemängelt: Viele seiner Bewerbungen wurden nicht einmal beantwortet. „Statt Jagd auf Arbeitsunwillige zu machen könnte man auch fragen, wie es manche Unternehmen mit ihrer sozialen Verantwortung halten. Sie sollten Bewerbern den Respekt entgegen bringen, den sie verdienen:  Ordentliche Antworten auf Bewerbungen. Eine faire Chance bei Bewerbungsgesprächen und eine diskriminierungsfreie Personalauswahl. Zuwiderhandlungen der Arbeiterkammer zu melden halten wir allerdings für eine wenig konstruktive Lösung…“, so AK-Präsident Siegfried Pichler.

 

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