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Angeklagter im Ravidass-Prozess: "Ich kann mich an nichts erinnern"

Angeklagte im Ravidass-Prozess
Angeklagte im Ravidass-Prozess ©APA
15. Bezirk, 1150 Wien: "Ich träume manchmal, dass ich Zeitungen austrage." Viel mehr ist aus dem kleinen, schmächtigen Mann nicht herauszubekommen, der da auf der Anklagebank im Großen Schwurgerichtssaal im Wiener Straflandesgericht sitzt und meist nur den Kopf schüttelt.
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Prozessauftakt nach Schießerei in Ravidass- Tempel
Die Vorgeschichte

Er trägt er eine braune Wollhaube, am Körper T-Shirt und Trainingshose. Sein Bart ist rabenschwarz und struppig, seine Gedanken durcheinander, seine Sprache aber völlig klar. Dass der 35-jährige Sikh am 24. Mai 2009 in einem Ravidass-Tempel in der Pelzgasse in Wien-Rudolfsheim einen indischen Guru erschossen haben soll, daran kann er sich laut seinen Angaben überhaupt nicht erinnern: “Das ist für mich nur eine Geschichte, die man mir erzählt hat.”

Konfliktbeladene Historie
Was tatsächlich passiert sein soll, berichtete der Staatsanwalt ausführlich und weihte Richter sowie Geschworene sogar in die konfliktbeladene Historie ein, die seit dem 15. Jahrhundert zwischen Sikhs und Ravidass herrscht. Eigentlich gehe es darum, dass ein Guru seinerzeit verfügt hatte, nach ihm solle es keinen weiteren mehr geben. Quasi als ewiger Stellvertreter seiner Person bzw. seiner Weisheit erhob er ein Buch – das Heilige Buch – in den Gurustand. Für Zündstoff sorgt seither, dass die Sikhs niemanden akzeptieren, der sich mit diesem Buch auf gleicher Höhe wähnt – was wiederum für die Ravidass-Religionsgemeinschaft kein Problem darstellt.

Attentat auf Guru bei “Europatournee” in Wien
Für die Ravidass gibt es neben dem Heiligen Buch auch die sogenannten Sants, hohe Geistliche, die enorme Verehrung genießen, ähnlich wie im Christentum der Papst. Auf ihren “Europatourneen” kamen diese im Vorjahr unter anderem auch nach Österreich. Dass das “geplante Attentat” gerade da verübt worden war, bezeichnete die Staatsanwaltschaft als “Zufall”. Es ging einzig und allein um “die Herabwürdigung des Heiligen Buches”, was den sechs beschuldigten Sikhs seitens der Staatsanwaltschaft auch das Attribut “fanatisch” einbrachte. Sie fühlten sich von den auf gleicher Höhe sitzenden und predigenden Gurus provoziert.

Erinnerungsverlust des Angeklagten “logisch erklärbar”
Während der 35-jährige Hauptbeschuldigte am 24. Mai 2009, unmittelbar nach dem er sich vor dem Buch verneigt hatte, zu schießen begonnen haben soll, hätten die anderen fünf Angeklagten mit scharfen Dolchen auf einige der 200 bis 300 Tempelbesucher eingestochen, so die Anklage. Eine Darstellung, die von der Verteidigung heftig angezweifelt wurde. Der Rechtsbeistand des mutmaßlichen Mörders betonte, sein Mandant habe durch den Umstand, dass er nach den Schüssen von Tempelbesuchern brutal verprügelt worden sei, einen “lebensgefährlichen Eindrückungsschädelbruch” erlitten, wegen dem ihm “Knochenstücke aus dem Gehirn entfernt werden mussten”, weshalb der Erinnerungsverlust “logisch erklärbar” sei. Der Jurist ergänzte aber, er könne lediglich die Beweismittel kritisch hinterfragen, mehr sei für ihn in diesem Fall nicht möglich.

“Religiöser Dialog”
Anders hingegen die Verteidigerin der fünf Mitangeklagten. Sie warf der Staatsanwaltschaft vor, sie würde sich Klischees bedienen, weil Turbane und lange Bärte schon genügten, um die Männer als “radikal” einzustufen. “Meine Mandanten wollten einen religiösen Dialog führen. Sie sind nicht in den Tempel gefahren, um jemanden zu verletzen oder zu töten.” Sie hätten auch gar nicht die Möglichkeit gehabt, Dolche zu ziehen, weil “sich ja sofort alle auf sie gestürzt, überwältigt und schwer verletzt haben”.

Hauptangeklagter will sich an nichts erinnern können
Für den 35-jährigen Hauptangeklagten war alles neu, wie er behauptete. Ja, er kenne Ravidass und respektiere diese Religion. Von Konflikten wisse er nichts, und den Tempel in der Pelzgasse kenne er ebenfalls nicht. Selbst die fünf Glaubensbrüder auf der Anklagebank seien ihm fremd, obwohl er glaube, die Gesichter “schon irgendwo gesehen zu haben”. Vom 24. Mai 2009 sei, so wird er nicht müde zu betonen, nichts übrig geblieben: “Als ich im Krankenhaus aufgewacht bin, hat man mir erzählt, ich hätte einen Unfall gehabt.”

Ungeachtet dessen beantragte die Opferanwältin für mehrere Mandanten – bei dem Kampf im Tempel wurden zahlreiche Besucher verletzt – jeweils bis zu 4.200 Euro Schmerzensgeld. Die Verhandlung wurde am Nachmittag fortgesetzt.

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