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Wiener Migrationsgipfel: Nehammer übte Kritik an Orbán

Karl Nehammer übte Kritik an Orbán.
Karl Nehammer übte Kritik an Orbán. ©APA/GEORG HOCHMUTH
Beim Wiener Migrationgipfel hat Bundeskanzler Karl Nehammer ungewöhnlich deutliche Kritik an seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán geübt.

"Es stimmt zwar, dass sich die irregulären Migranten nicht in Ungarn aufhalten, aber zu 80 Prozent durch Ungarn nach Österreich kommen und wir haben dann 109.000 Asylanträge und Ungarn hat 45", sagte Nehammer am Freitag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Orbán und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić in Wien.

Nehammer äußerte Kritik an Amtskollegen Orbán

Nehammer äußerte sich, nachdem Orbán eine "Frage" des ungarischen Staatssenders MTV für mit EU-Bashing und Soros-Kritik garniertes Selbstlob in der Migrationspolitik genutzt hatte. "Wir sind der einzige migrantenfreie Ort in Europa", brüstete sich der rechtskonservative Regierungschef. Dies liege an den rechtlichen und physischen Hürden für Migration. So können Migranten nach einem positiven Asylbescheid das Land überhaupt betreten. Außerdem gebe es einen Zaun an der Grenze. "Ich sage nicht, dass die Migranten manchmal drüberspringen können, aber den größten Teil können wir anhalten und sie können gar nicht als Migranten nach Österreich kommen", behauptete Orbán.

Der ungarische Regierungschef bekräftigte seine Kritik an der von den EU-Innenministern beschlossenen "Zwangsverteilung" von Migranten innerhalb Europas. Diese sei nämlich "eine Einladung", sich auf den Weg zu machen. Orbán brachte in diesem Zusammenhang auch seinen bevorzugten Sündenbock in der Migrationsfrage unter, den ungarischstämmigen US-Milliardär George Soros. Dessen Radiosender würden nämlich die Botschaft verbreiten, "dass in Brüssel entschieden wurde, dass illegale Migranten unter uns aufgeteilt werden". Ungarn werde Mittel und Wege finden, die EU-Verteilungsentscheidung nicht umzusetzen. "Wir müssen uns nicht nur gegen die Migranten verteidigen, sondern auch gegen Brüssel", beklagte Orbán.

Orbán hatte sich lobend über Nehammer geäußert

In seinem Eingangsstatement hatte sich Orbán lobend über Nehammer geäußert und berichtet, dass dieser den ungarischen Standpunkt zum EU-Asyl- und Migrationspakt beim jüngsten EU-Gipfel "verteidigt" habe. "Wir schützen Europa vor dem Migrationsdruck", betonte der ungarische Ministerpräsident. Ohne Ungarn und Serbien wären nämlich Österreich, Deutschland und die Niederlande "mit hunderttausenden Migranten mehr als heute" konfrontiert.

Nehammer ließ bei der Pressekonferenz einen eigens gedruckten Folder verteilen, auf dem die Ergebnisse der bisherigen Dreier-Gipfel vorgestellt wurden. "Gemeinsam hat Österreich mit Ungarn und Serbien die Asylbremse deutlich angezogen", sagte der Kanzler. Konkret führte er die Schlepperbekämpfung mit Ungarn an und dankte Serbien für das Ende der Visafreiheit für Tunesier und Inder. "Das hat unmittelbar dazu geführt, dass die Asylantragszahlen in Österreich deutlich gesunken sind", sagte er in Richtung des serbischen Präsidenten. Laut vom Bundeskanzleramt verbreiteten Zahlen sind die Asylanträge von Jänner bis Mai um 20 Prozent niedriger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, im Mai sogar um 30 Prozent niedriger. Vučić zeigte sich "zufrieden, dass wir das, was wir beiden früheren Treffen besprochen haben, umgesetzt haben". Beim Gipfel in Wien sei nun etwa eine weitere Kooperation an der serbisch-nordmazedonischen Grenze vereinbart worden.

Kanzler bekräftigte Kritik am EU-Asylsystem

Der Kanzler bekräftigte seine Kritik am EU-Asylsystem. Dieses sei "kaputt". Auch wenn es mittlerweile mehr "Problembewusstsein" und ein "Umdenken" gebe, sei die Zusammenarbeit einzelner Staaten weiterhin nötig. Das Sterben im Mittelmeer werde erst aufhören, wenn Asylverfahren in Drittstaaten stattfinden und auch Rückführungen verstärkt werden, betonte Nehammer. Diesbezüglich drängte er auch auf bilaterale Abkommen mit afrikanischen Staaten, um legale Zuwanderung zu forcieren. "Da hat Österreich eine Vorreiterrolle übernommen" sagte er mit Blick auf Vereinbarungen mit Marokko oder Indien sowie entsprechenden Plänen mit Ägypten. Angesichts von 200.000 offenen Stellen brauche Österreich legale Zuwanderung.

Konkretes Ergebnis des ersten von Nehammer ausgerichteten Gipfels ist die Unterzeichnung eines vierseitigen Kooperationsmemorandums im Bereich Polizeiarbeit durch die jeweiligen Innenminister. Vereinbart wurde die Gründung einer gemeinsamen Grenzschutz-Taskforce sowie eine Intensivierung der Zusammenarbeit im Kampf gegen Schlepper. Ziel ist es, die Strukturen zu zerschlagen und nicht nur die "kleinen Fische" zu fangen. Das Memorandum signalisiert auch Offenheit für weitere "betroffene Staaten an der Migrationsroute". Wie es aus dem Bundeskanzleramt hieß, plant Österreich auch die Entsendung weiterer Polizisten an die ungarisch-serbische Grenze. Von derzeit 20 Beamten sei eine Aufstockung bis auf 70 möglich.

Zahlreiche Innen- und Außenminister beim Wiener Migrationsgipfel

Zum Gipfel waren nicht nur zahlreiche Journalisten aus den beiden Partnerländern angereist, sondern auch die Innen- und Außenminister. Wie es mit dem Kooperationsformat weitergehen wird, war unklar. Von den Teilnehmern erwähnte einzig Vučić, dass ein weiterer Gipfel "in Belgrad oder Budapest" geplant sei. Nach Ansicht von Beobachtern dürfte insbesondere Österreich an einer Ausweitung des Formats gelegen sein, musste Nehammer doch im Vorfeld des Gipfels massive Kritik an seiner Kooperation mit den demokratiepolitisch schlecht beleumundeten Politikern Orbán und Vučić einstecken.

Geäußert wurde die Kritik von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und asylkoordination österreich, den mitregierenden Grünen und der Opposition. Beim Eintreffen der Staatsgäste am Freitagvormittag gab es lautstarke Proteste am Wiener Ballhausplatz. Nehammer musste Orbán und Vučić unter "Shame on you"-Rufen über den roten Teppich ins Kanzleramt geleiten. Auch der Gastgeber selbst wurde von rund einem Dutzend Aktivisten der NGOs SOS Balkanroute und Omas gegen rechts per Megafon geschmäht ("Nehammer Du Gangster, bald bist Du weg vom Fenster").

Vernichtende Kritik der Oppositionsparteien

Vernichtend fiel die Kritik der Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS aus. Ein "voller Reinfall, der Österreich nichts gebracht hat", war der Gipfel für SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner. Die Zusammenkunft sei nämlich "eine Bühne für Orbán (gewesen), auf der dieser seine Unwahrheiten verbreiten und Österreich drohen konnte", kritisierte er. FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer monierte, Nehammer habe "wieder seine substanzlose Ankündigungsshow abgezogen und diese auch noch dazu missbraucht, sich mit 'Ungarn-Bashing' wieder Schulterklopfer des Brüsseler EU-Establishments zu holen". NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper kritisierte mit Blick auf Vučić und Orbán, der Kanzler lasse sich "weiterhin am Nasenring von Rechtsbrechern durch die Manege führen und täuschen",

Das Dreierfomat war im vergangenen Herbst zur Bekämpfung der irregulären Migration auf der Balkanroute ins Leben gerufen worden. Erstmals waren Nehammer, Orbán und Vučić im vergangenen Oktober in Budapest zusammengekommen. Einen Monat später folgte ein Treffen in Belgrad. Wichtigstes Ergebnis war damals die Zusage Serbiens, die Visafreiheit für Bürger Indiens und Tunesiens zu beenden, was dann mit Jahresende bzw. Ende November erfolgte.

(APA/Red)

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