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12-Jähriger musste in Wien ins Gefängnis: Amtsarzt schätzte Alter falsch ein

Der 12-Jährige musste für 16 Tage ins Gefängnis.
Der 12-Jährige musste für 16 Tage ins Gefängnis. ©APA
Im Wiener Straflandesgericht ist am Freitag gegen einen Burschen verhandelt worden, der am 22. Jänner festgenommen wurde, nachdem er seit November in Wien als Teil einer vermutlich europaweit agierenden Bande Taschendiebstähle begangen hatte. Der Angeklagte ist strafunmündig, was die Exekutive ihm zunächst nicht geglaubt hatte. Er musste für 16 Tage ins Gefängnis.
Strafvollzug: Maßnahmenpaket

Der Bursche kam in U-Haft, obwohl er nach eigenen Angaben erst zwölf Jahre alt und damit noch strafunmündig ist. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft glaubten ihm nicht. Sie klagten den nur 1,55 Zentimeter großen und sehr schmächtigen Buben an, weil er gewerbsmäßig und als Teil einer kriminellen Vereinigung 25 Personen – vorwiegend Touristen – bestohlen haben soll.

Ausschlaggebend für die Einbringung eines Strafantrags: Ein Amtsarzt, der den Burschen nach der Festnahme untersucht hatte, bescheinigte den Behörden, dieser sei jedenfalls über 14, vermutlich 16 bis 18 Jahre alt.

Alter falsch eingeschätzt: 16 Tage im Gefängnis

Nachdem er 16 Tage im Gefängnis hinter sich hatte, sprach Richter Andreas Hautz den Buben allerdings frei. Das Alter des Angeklagten sei nicht eindeutig feststellbar, im Zweifel sei davon auszugehen, dass das von ihm angegebene Geburtsdatum – der 31. März 2001 – stimmt.

Der Richter hatte zur Altersbestimmung ein zahnärztliches Gutachten eingeholt. Die Sachverständige Martina Gredler stellte am vergangenen Dienstag bei einer Untersuchung des Buben fest, dass einige Zähne im Unterkiefer noch nicht ganz durchgebrochen sind. Ihr Fazit im Gerichtssaal: “Es spricht alles dafür, dass er um die 14 Jahre alt ist. Eine eindeutige Festlegung, ob er über oder unter 14 ist, kann nicht getroffen werden.” Bei der Einschätzung des wahren Alters gebe es “eine relativ große Bandbreite von plus minus einem Jahr”.

Richter: “Das ist mir ein Rätsel”

Für den Richter genügte das, um dem Angeklagten Strafunmündigkeit zuzubilligen, wobei er zusätzlich auf das äußere Erscheinungsbild des Kindes verwies: “Wenn das nicht reicht, vernünftige Zweifel zu haben, weiß ich nicht”. Und unter Anspielung auf die Angaben des Amtsarzt fügte Hautz hinzu: “Wie man da auf 16 bis 18 kommt, wenn man den Angeklagten anschaut, ist mir ein Rätsel.” Weil damit ein von Gerichts wegen zu ahndendes strafbares Verhalten mangels Erreichen der Altersgrenze noch nicht gegeben war, wurde der Angeklagte freigesprochen. In Freiheit kam er trotzdem nicht.

Denn Staatsanwalt Jörgen Santin, der die Entscheidung des Gerichts mit mehreren Beweisanträgen zu verhindern versucht hatte, legte dagegen umgehend Berufung ein. Außerdem verhinderte er mit einem juristischen Trick, dass der für den Richter noch nicht 14-Jährige auf freien Fuß kam: In einer Nachtragsanzeige waren zusätzlich zu den inkriminierten, vom Prozess umfassten 25 Fakten weitere dem Burschen zugeschriebene Diebstähle bei der Anklagebehörde eingegangen.

Auf Basis dieser Sachlage verwies Santin nach dem Freispruch auf eine bestehende Festnahmeanordnung – der Zwölfjährige dürfte nach seiner Enthaftung aus der Justizanstalt Wien-Josefstadt von Polizeibeamten empfangen und auf ein Kommissariat gebracht werden, wo er weitere 48 Stunden angehalten und zu den nachträglich bekannt gewordenen Fakten vernommen werden kann.

Zwölfjähriger weinte lautlos im Saal

Der Staatsanwalt hatte dafür gesorgt, dass zwei Polizeibeamte bei der Verhandlung zugegen waren und sich nach dieser mit den Justizwachebeamten über das weitere Prozedere besprachen. Hätte Santin stattdessen unverzüglich die Verhängung der U-Haft beantragt, hätte die zuständige Haftrichterin darüber sofort entscheiden können. Offenbar war das vom Landesgericht auch angedacht – die Haftrichterin war ebenfalls im Gerichtssaal anwesend. Da der Staatsanwalt diesen Schritt nicht setzte und die 48-Stunden-Frist ins Laufen brachte, waren dem Gericht die Hände gebunden.

Der Zwölfjährige, der dabei lautlos weinte, wurde von der Justizwache abgeführt. Richter Hautz reagierte auf das Vorgehen des Staatsanwalts mit Kopfschütteln: “Das ruft bei mir höchstes Befremden hervor.”

Um jugendlichen Tatverdächtigen die U-Haft zu ersparen, hatte Ex-Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) im vergangenen Sommer eine Experten-Kommission eingerichtet, die Alternativ-Modelle zur Haft erarbeiten sollte. Der nunmehrige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) hat erst vor wenigen Tagen “dislozierte Unterbringungsmöglichkeiten” außerhalb von Gefängnissen für unter Tatverdacht gelangte Jugendliche verlangt und erklärt, möglichst kein Jugendlicher sollte mehr in U-Haft kommen.

(APA)

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