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Zum Filmstart von "Wir töten Stella": Interview mit Regisseur Julian Pölsler

Interview mit "Wir töten Stella"-Regisseur Julian Pölsler
Interview mit "Wir töten Stella"-Regisseur Julian Pölsler ©Thimfilm
Das der österreichische Regisseur Julian Pölsler ein Händchen für gelungene Romanverfilmungen von Marlene Haushofer hat, dürfte nach "Die Wand" von 2012 feststehen. Nun bringt er "Wir töten Stella" ins Kino.
Kritik und Trailer zu "Wir töten Stella"

“Das Entscheidende war die Sprache der Marlene Haushofer. Ich fand, die muss eine Plattform, eine Leinwand bekommen”, sagt Pölsler im Interview.

 “Wir töten Stella”-Regisseur Julian Pölsler im Interview

“Wir töten Stella” (ab 29. September in den Kinos) schließt mit seiner Hauptdarstellerin Martina Gedeck, in seiner Ästhetik, aber auch in vielen Details an seinen Vorgänger an. Und soll, wenn möglich, noch einen Nachfolger bekommen. “Ich habe entdeckt, dass Haushofer drei Ich-Romane geschrieben hat, dass es sich eigentlich um eine Trilogie handelt. Wir haben realistischer Weise entschieden, mit der ‘Wand’ zu beginnen, weil es der bekannteste und griffigste Stoff ist. Nach der ‘Stella’ hoffe ich, dass wir eines Tages auch ‘Die Mansarde’ machen können, wenn alles passt.”

Die Verzahnung dieser Literaturverfilmungen entspricht den Vorlagen, ist sich Pölsler sicher. “Ich glaube, Haushofer hat es so geschrieben. Die seltsamen Wände, die diese arme Frau in ‘Stella’ in ihrer schrecklichen Beziehung umstellen, sind ähnlich jenen Wänden, die sie dann im Wald erlebt. Das sind ja vielmehr innere Zustände als äußere Wände. Ich hab sie nur bildlich gemacht.” Was denn nun die Wand tatsächlich sei, sei eine stets wiederkehrende Frage auf allen Stationen gewesen, die sein erfolgreicher Film bei seiner Tour um die Welt genommen habe. “Ich bin dann immer in die Offensive gegangen und habe gefragt: Was ist die Wand für SIE?”

“Das Wichtigste beim Filmemachen ist das Geheimnis”

“Bunuel hat einmal gesagt: Das Wichtigste beim Filmemachen ist das Geheimnis”, verweist Pölsler auf einen großen Kollegen. Kein Geheimnis ist, dass er sich bemüht hat, “Bilder zu finden für das, was Marlene Haushofer beschreibt. Und da haben sich natürlich Träume angeboten. Wobei diese Träume immer aus dem Ruder laufen. Ich hab’ dann versucht, die Realität so zu kippen, dass man nicht weiß, ist man jetzt in einem Albtraum oder doch im wirklichen Leben. Es ist ja oft so, dass man sich denkt: Jetzt ist das Leben schlimmer als der schlimmste Albtraum. Wenn ich etwa an diese armen Menschen in Syrien denke, an jene Länder, in denen Krieg herrscht. Anna, die Heldin, hat diesen Krieg in sich. Sie sagt ja selber: Das Böse kommt ihr so nah, dass sie seinen Atem und seinen Gestank riechen kann. Und sie hat Angst, dass es die Wand, die sie von ihm trennt, zerschlägt.”

Müssen sich angesichts jener realen Albträume, die Millionen Menschen heutzutage in die Flucht schlagen, die in seinem Film gezeigten Krisen einer gutbürgerlichen Wiener Familie nicht wie ein Luxusproblem ausnehmen? “Das glaube ich nicht. Haushofer behandelt sehr wohl die wahren Probleme. Dieses Sich-nicht-wehren-können, Sich-nicht-befreien-können aus einem Zustand, der einem die Luft zum Atmen nimmt, ist etwas, das gerade unserer Gesellschaft immanent ist. Eines der größten Probleme unserer Zeit neben der Angst vor Arbeitslosigkeit und der Angst vor Krankheit ist die Beziehungsangst, die Angst, eine Beziehung zu verlieren oder keine zu finden. Ich finde, dass das Haushofer schon 1958 toll beschrieben hat. Und überhaupt: Große Literatur kennt ja keine Zeitschranken.”

Verneigung vor Marlene Haushofer

Dennoch hat Pölsler seinen Film im Heute verortet: “Das war mir sehr wichtig. Ich habe versucht, eine Klammer zu finden zwischen 1958 und 2017. Das ist die Schreibmaschine, auf der diese Frau den Bericht zu schreiben beginnt. Als Verneigung vor Marlene Haushofer ist diese Schreibmaschinen genau jene, auf der sie ‘Wir töten Stella’ geschrieben hat. Sybille Haushofer, die Nachlassverwalterin, hat sie mir zur Verfügung gestellt. Erst als sich die Buchstaben immer verheddern, entscheidet sich Anna im Film dazu, zu ihrem i-Pad zu greifen.”

Dass Haushofers Buch zwar eine gesellschaftliche Situation der noch sehr männerdominierten 1950er-Jahre schildere, die Emanzipation heute jedoch deutlich weiter sei, glaubt der Regisseur nicht. “Das ist ein Wunschdenken. In meinem Bekanntenkreis gibt es viele Frauen, die die Möglichkeit hätten, sich zu trennen, aber nicht die Kraft dazu aufbringen – aus verschiedenen Gründen, sei es wegen der Kinder, sei es wegen des befürchteten Verlusts der gesellschaftlichen Stellung. Die Emanzipation ist auf einem guten Weg. Aber solange es unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen gibt, kann man nicht von erfolgreicher Emanzipation reden.”

Pölsler zum Vorwurf, der Film sei zu deprimierend

Den Vorwurf, dass sein Film zu deprimierend geraten sei, lässt Pölsler nicht gelten: “Im Fernsehen kriegen wir eh immer wieder nur Komödien, bei denen die Sonne scheint und die winzigen Problemchen am Ende alle gelöst sind. Das ist auch gut. Ich finde, es muss aber auch so etwas wie ‘Wir töten Stella’ geben – denn sonst werden wir getötet. Und zwar von uns selbst. Ich glaube, dass einem der Film hilft, diese Wände, die einen umgeben, zu durchschlagen, weil man gezwungen ist, sich mit dem, was ist, auseinanderzusetzen. Das hat Haushofer auch gemacht. Sie hat das mit unglaublicher Präzision und Schärfe analysiert. Und die von ihr beschriebene Frau hat am Ende die Chance, endlich etwas zu verändern.”

Das nächste Projekt des Regisseurs

Auch das nächste Projekt des 1954 in der Steiermark geborenen Regisseurs, der 2000-2003 für das Fernsehen erfolgreich Alfred Komareks “Inspektor Polt”-Krimireihe verfilmt hatte (“Wir waren damit damals eigentlich die Erfinder der Landkrimis. Leider durfte ich bisher noch keinen Landkrimi inszenieren – aber vielleicht kommt es ja noch.”), gilt einer österreichischen Dichterin: Pölsler bereitet die Verfilmung von Christine Lavants Erzählung “Das Wechselbälgchen” vor. “Das wird großes Gefühlskino!”

Und an den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt wird am 23. November seine Inszenierung von Ferdinand von Schirachs Gerichtsstück “Terror” Premiere haben, in dem der Abschuss eines entführten und ein volles Fußballstadion ansteuerndes Flugzeugs durch einen Militärpiloten behandelt wird. “Darauf freue ich mich schon sehr. Ich habe Herrn Schirach vorgeschlagen, sämtliche Rollen mit Frauen zu besetzen. Das hat er großartig gefunden. Die Testosteron-Frage fällt damit weg. Ich habe wunderbare Schauspielerinnen und möchte mit ihnen herausarbeiten: Wie reagieren Frauen auf diese Frage nach dem Wert von Leben?”

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA/Red.)

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