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World’s end

"Etwas Simples, nicht zum Schein – die Dinge für sich stehen lassen." (Gerhard Gruber, Architekt)
"Etwas Simples, nicht zum Schein – die Dinge für sich stehen lassen." (Gerhard Gruber, Architekt) ©Roswitha Natter
Höchst - Das Ende der Welt – leicht dahingesagt, und es fragt sich dann doch: Ende von was, gar Anfang von etwas anderem?
Höchst: Haus Humpeler-Tötsch

Wenn’ s auch nicht so weit draußen ist, ein Anfang vom Ende liegt hier schon in der Luft: Eher klein sind die Häuser, ungeordnet oder frei hingewürfelt stehen sie da, viel Grün drumrum, vielen sieht man ihre Vergangenheit als kleine Bauernstellen an, zwischendrin gar ein Fischer; in den Gärten Gemüse, Obstbäume, Nussbäume, manchmal Hühner, Kaninchen, Katzen … Eine eigene Welt ist das Rheindelta jenseits der Hauptstraßen und Geschäftszentren des ach so modernen Ländle.Dort hat die Familie Humpeler seit einiger Zeit ihr neues Heim und man muss schon genau hinsehen, um den Neubau auszumachen. Alles Spektakuläre ist ihm fremd, wie es da unter seinen Nachbarn steht. Und doch ist etwas anders an ihm.

Nun war es gar nicht als Neubau gedacht. Von der Großmutter geerbt: ein typisches Rheintalhaus mit Stickereilokal und Kleinstlandwirtschaft. Neuen Bedürfnissen einer jungen Familie sollte es angepasst werden, indem – wie hier immer – umgebaut wird: sparsam, praktisch. Und so machte man sich ans Werk, doch da zeigte sich: Die Substanz macht nicht mehr mit. Also: Umdenken und Neuanfang.

Das gab die Freiheit, das Raumgefüge sinnvoll neu zu ordnen, Innovationen der Bautechnik und Konstruktion zu nutzen. Verbesserungen im Kleinen, die Budget und Wohnqualität zugute kamen, doch sonst? Art und Umfang passten, und so führt der Neubau das Dach des erhaltenen Wirtschaftsteils fort und das Haus schließt dort ab, wo der Vorläufer zu Ende war.

Der Grundriss wurde bereinigt, die Treppe ist umgedreht und geht nun zum Garten, aus dem Sticklokal wurde der Wohnraum, der Boden aus Weißtanne etwas angehoben, großzügig neue Fenster. Einfach ausgeführt: Die Außenwände sind Holzständerelemente, dazu eine gemauerte, tragende Innenwand, lehmverputzt, die Decke Brettstapelelemente, sichtbar belassen. Ein Deckelschirm wie hier üblich umhüllt das Haus. Einfachste Bauart, dazu viel Eigenarbeit des Bauherrn. „Das alles war untypisch direkt, wirklich einfach, ohne übertrieben professionelles Getue“, so Architekt Gruber, „der Bauherr war immer beim Bau dabei, die Handwerker wurden direkt beauftragt und mit sicherem Blick unter den Wenigen die Besten gewählt.“ Vertrauen unter Bauleuten erzeugt Engagement. Und, ergänzt Thomas Humpeler, „die Rechnungen sind niedriger ausgefallen, die Bausumme sank immer mehr, wir blieben deutlich unter dem Limit, mit knapp 300.000 Euro schlossen wir ab – da war die Küche mit dabei.“

„Man spürt hier den See, es hat etwas Luftiges. Wir wollten alle etwas Simples und das nicht nur zum Schein.“ Was da ist, braucht man, das darf man sehen, es zeigt sich, wie man es anfasst. Jedes Ding für sich genügsam und genügend, weil vollständig. „Mir lag daran, dass Dinge und Bauelemente etwas Eigenes sind, für sich stehen – die Türe mit kräftigem Rahmen und Schwelle, das Fenster mit Sturz und Laibung und einem Flügel zum Öffnen – so sinnvoll wie in der Nachbarschaft. Daneben großzügige Glasflächen, Licht und Ausblick je nach Bedarf – die moderne Ergänzung“, erinnert sich Architekt Gruber. Anstatt Größe und Stil ein belebter Raum mit feinen Differenzierungen. Etwa die Fenster: mal ein hochliegendes Fensterband, mal eine Glasschiebetür, mal flächenbündig in der Wand, mal mit übertiefer Laibung, die zum Sitzplatz mit Ausblick wird. Oder die Wände: glatt und weiß nach außen, toniger Lehm im Zentrum wie der Ofen – mit Stückholz befeuertes Hypokaustensystem, einzige Heizquelle des Hauses. „Ich heize“, so der Bauherr, der auch beim Abbruch jedes Stück in die Hand nahm, „mit dem alten Haus – das reicht das ganze Jahr und wohl noch zehn Jahre.“

Feine Unterscheidungen auch ums Haus herum – die Dachuntersicht zur Straße verschalt und kassettiert, zum Garten dagegen offene Sparren. Neu? alt? Variationen, die hier durchaus üblich sind – etwa die Abweichung von der reinen Symmetrie des Satteldaches. „Etwas Asymmetrie, die hat mir gefallen – und die würde nur gezwungen wirken, wenn sie geplant wäre. Wie gut war’s da, dass wir das alte Haus hatten“, räumt der Architekt ein. Qualität, die das Leben gibt: „So ist das Haus wieder in die dörfliche Struktur hineingewachsen.“

Daten & Fakten

Objekt: Haus Humpeler-Tötsch, Höchst
Eigentümer/Bauherr: Sylvia Tötsch, Thomas Humpeler
Architektur: gruber locher architekten, Bregenz
Ingenieure/ Fachplaner: Statik: Nenning, Hittisau
Planung: 2009
Ausführung: 2010
Grundstücksgröße: 560 m²
Wohnnutzfläche: 127 m²
Keller: bestehender Wirtschaftsteil

Bauweise: Ständerbau, 30 cm Dämmung, Fassade mit Deckelschirm, Dielendecke, Warmdach mit Ziegeldeckung; Wohnteil, Bodenplatte Beton, Wirtschaftsteil Bestand; Fußböden in Wohnräumen und Bad: Riemenboden Tanne, in der erdgeschoßigen Diele geschliffener Beton; Heizung: Grundofen, Wärmeverteilung über Luftkanäle; Innenwände neu: Trockenbau; Isolierglasfenster, Holz

Besonderheiten: bestehender Wohnteil wird durch Neubau ersetzt (gleiche Kontur); Wirtschaftsteil Bestand; Küchenplanung durch gruber locher

Ausführung: Baumeisterarbeiten: Zimmermann, Bregenz; Zimmererarbeiten und Böden: Nenning, Hittisau; Fenster: Pfefferkorn, Bludesch; Heizung/ Lüftung: Büchele, Hard; Elektro: Buschta, Höchst; Küche: Markus Faißt, Hittisau

Anteil Eigenarbeit: Trockenbau, Malerarbeiten, Garten

Energiekennwert: 32 kWh/m² im Jahr

Baukosten: ca. 300.000,- Euro

Quelle: VN/ Leben&Wohnen

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at

Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing

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