Entstanden ist das zweistündige, postdramatische Machwerk in enger Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur Falk Richter, dem Choreografen Nir de Volff und den Schauspielern in Rahmen von Workshops. Und genau diese Laborsituation überträgt man bei der Uraufführung auch auf die Bühne. Zentrum ist ein langer Tisch, an dem die Performer immer wieder Platz nehmen, um sich dann wieder davon zu lösen und die Stühle im Bühnenraum neu zu gruppieren und ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Und diese überschlagen sich, wie bei Brainstormings eben üblich, unentwegt.
Wiener Festwochen: Wenn der Vatikan an allem schuld ist
Da verschwimmen Tiraden über den ehemaligen Papst Benedikt mit Erinnerungen an Kirchenlieder aus der Kindheit, das Lamentieren über Geldwäsche in der vatikanischen Bank mit Angst vor dem IS-Terror und persönliche Liebesgeschichten mit der Frage, warum Jesus immer so dargestellt wird, als wäre er ein Europäer. “In Wirklichkeit hat er ausgesehen wie einer jener Männer, vor denen wir Angst haben, wenn sie mit uns in ein Flugzeug steigen”, heißt es etwa.
Und so rauschen die Assoziationen unkontrolliert in den Zuschauerraum, der Gags nicht selten mit schallendem Lachen quittiert. Gesprochen wird auf Deutsch, Englisch und auch Französisch, übergangs- wie zusammenhanglos. Unterfüttert sind die Gedankensplitter von einnehmenden Tanzsequenzen: Etwa wenn die Akteure in Paaren hinter Mikrofonen stehen und einer der beiden von hinten seine Arme in das T-Shirt seines Vordermanns schlängelt, um sekundäre Geschlechtsmerkmale wie Brüste oder auch breite Schultern zu simulieren, wenn es um Zuschreibungen von Geschlechtern oder die Findung der eigenen sexuellen Orientierung geht. Gruppenchoreografien mit wiederkehrenden Motiven steigern das Tempo des ohnehin atemlosen Abends stetig.
Ritt durch die Orientierungslosigkeit
Auf der Textebene bietet Richter einen Ritt durch die gegenwärtige Orientierungslosigkeit einer gut ausgebildeten, scheinbar emanzipierten und reflektierten Generation, die einerseits die Verantwortung für die Menschheitsgeschichte (“Ich bin der Erste Weltkrieg. Ich bin der Zweite Weltkrieg.”) übernehmen möchte, aber auch Sorge hat, dieses gemütliche Leben im sicheren Europa aufgeben zu müssen (“Manchmal muss ich den Fernseher einfach ausschalten. Ich kann mich nicht ständig mit dem Leid der Welt auseinandersetzen. Ich brauche auch Zeit für mich, Ruhe zum Nachdenken. Ich will nicht, dass diese Probleme aus den Medien heraus zu mir ins echte Leben kommen.”).
Am Ende dann die zündende Idee: Eine Boyband aus vom Vatikan missbrauchten Kindern sollte eigentlich den Song Contest gewinnen und dann müsste der Song Contest im Vatikan stattfinden, mit all seiner bunten und weltoffenen Gefolgschaft. Wären dann alle Probleme gelöst? Das Publikum stimmte mit langem Applaus zu. Ein paar Stimmen hätten sie im Voting also schon.
(apa/red)