AA

Wien steht auf der Kippe

Wien wächst.
Wien wächst. ©APA (Sujet)
Gastkommentar von Johannes Huber: Die Bundeshauptstadt boomt. Damit einher gehen Entwicklungen, die zunehmend zum Problem werden: Arbeitslosigkeit, Armut, Wohnungsnot etc.

Wien ist ein Magnet: Auch heuer hat es tausende Menschen aus dem In- und Ausland angezogen. Nicht nur Urlauber, sondern auch Frauen, Männer und Kinder, die sich auf Dauer niedergelassen haben. Kein Wunder: Die Stadt hat allen etwas zu bieten. Jungen zum Beispiel die meisten Bildungs-, Älteren die tollsten Kulturangebote. Keine andere Stadt der Welt ist laut eines Rankings des Beratungsunternehmens „Mercer“ so lebenswert. New York nicht, Paris nicht und auch Zürich nicht. Nein, in Wien ist es summa summarum am besten. Darüber kann man sich freuen.

Zurücklehnen sollte man sich jedoch nicht. Das wäre verhängnisvoll: Wien ist die am stärksten wachsende Metropole Europas. Um ein bis zwei Prozent nimmt die Bevölkerung von Jahr zu Jahr zu. Das entspricht jeweils rund 15.000 bis 30.000 Einwohnern mehr. Damit einher gehen unerfreuliche Entwicklungen, die zunehmend zum Problem werden: Arbeitslosigkeit, Armut, Wohnungsnot etc.

Diesbezüglich müssen Bundes- und vor allem auch Rathauspolitiker noch viel aktiver werden, als sie es bisher sind. Letztere sollten daher endlich einmal aufhören, sich in erster Linie mit sich selbst zu beschäftigen: Wenn Michael Häupl wirklich Bürgermeister bleiben möchte, wie das aufgrund seiner Absicht anzunehmen ist, beim SPÖ-Parteitag im Frühjahr wieder zu kandidieren, dann muss er auch schleunigst klarstellen, mit wem an seiner Seite er das tun will; dann ist es verantwortungslos, mit Sonja Wehsely (Soziales) oder Michael Ludwig (Wohnen) zentrale Stadträte im Amt zu belassen, bei denen schon Wetten darauf angenommen werden, dass sie „demnächst“ abgelöst werden. Dann sollte Häupl außerdem mit Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) ein ambitionierteres Arbeitsprogramm fixieren, als es mit dem vorliegenden vom Herbst 2015 der Fall ist. Wien braucht einen Kraftakt.

Grund: Die Stadt wächst bevölkerungsmäßig schneller als in vielen anderen Belangen. Das merkt man schon im Alltag, wenn man zu Spitzenzeiten U6 fährt. Trotz enger Intervalle ist sie dann gerammelt voll. Was zeigt, dass Kapazitätsgrenzen erreicht sind. Das wird im Übrigen auch dann spürbar, wenn man eine Wohnung sucht: Das Angebot ist extrem knapp und damit ebenso teuer. Und das sieht man anhand der Entwicklungen am Arbeitsmarkt: In Wien steigt die Arbeitslosigkeit stärker als in den übrigen Bundesländern und ist mit über 13 Prozent bereits so hoch, wie es sich besonders Sozialdemokraten vor gar nicht allzu langer Zeit nicht einmal in den schlimmsten Albträumen vorstellen konnten.

Da tickt eine Bombe: Zumal Wien bessere Standards gewährt als etwa Niederösterreich, zieht es auch Arme an. Die Folge: Mit rund 200.000 ist mehr als die Hälfte der Mindestsicherungsbezieher der Republik in der Bundeshauptstadt zu Hause. Das entspricht jedem neunten Bewohner ebendort. Tendenz: weiter steigend. Da reichen keine Reförmchen mehr aus, da ist ein Jahrhundertprojekt notwendig: Wie kann verhindert werden, dass die Entwicklungen kippen und sich gar noch so weit verschlechtern, dass eines Tages niemand mehr freiwillig in Wien leben möchte? Die Zeit läuft.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

  • VIENNA.AT
  • Johannes Huber
  • Wien steht auf der Kippe
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen