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Wenn Eltern sich streiten

Wenn sich Paare streiten, leider Kinder ganz besonders. Mediator Hans Jürgen Gaugl zeigt in seinem neuen Buch "Wenn Eltern sich streiten" Lösungen für ein besseres Miteinander auf.

Maria sitzt vor einem weißen Blatt Papier. Rechts davon warten in einer Schachtel liegend fein säuberlich sortiert frisch gespitzte Buntstifte darauf, von ihr verwendet zu werden. Sie schaut aus dem Fenster. Es regnet. Ja, das Wetter passt irgendwie, denn sie ist auch traurig. Eigentlich zeichnet sie sehr gerne. Papa hat sie immer wieder Werke fürs Büro geschenkt. Und Mama hat auf der Kühlschranktür eine Kunstgalerie eröffnet mit ihren neuesten Bildern. Meistens waren es Bilder von ihren gemeinsamen Ausflügen. Sich selbst hat sie da immer in die Mitte zwischen Mama und Papa gezeichnet.

Im Familienpark, im Schwimmbad, am Meer oder im Museum. Das war irgendwie logisch, dass die beiden da waren. Gut, Papa ist oft erst spät nach Hause gekommen. Aber sie hat immer versucht, so lange wach zu bleiben, weil sie ihm immer noch erzählen wollte, was sie neues erlebt haben. In letzter Zeit hat sie dann oft gehört, dass Mama geweint hat. Und wenn Papa endlich die Haustür aufgesperrt hat und sie schon aufspringen wollte um ihm entgegenzulaufen, hat sie dann immer öfter gehört, dass Mama und Papa ganz böse miteinander geredet haben. Sie ist dann lieber nicht aus ihrem Zimmer gegangen. Und hat dann oft gar nicht gut schlafen können. Manchmal ist Papa auch gar nicht nach Hause gekommen. Das war dann immer ganz komisch, wenn sie in der Früh ins große Bett zu den beiden wollte und die Seite von Papa leer war. Mama war dann immer ganz komisch, wenn sie gefragt hat, wo Papa ist. Einmal hat sie sogar geschimpft, dass mich das nichts angehe und ich nicht so blöd fragen solle. Und hat dann geweint und mir ein großes Eis gekauft, weil es ihr leid getan hat, dass sie mit mir geschimpft hat.

Maria schaut wieder auf das Blatt. Die Frau hat gesagt, sie soll ein Bild malen von Zuhause. Mit beiden Händen zieht sie die Buntstifte zu sich und nimmt einen heraus. Nein, den doch nicht. Sie schaukelt mit ihren Beinen, nimmt dann nach einigem Überlegen den schwarzen Stift und beginnt zu zeichnen. Papa hat immer mit ihr geübt, Elefanten zu zeichnen. Lustige kleine Elefanten. Mama hat dann immer lachen müssen. Vielleicht gelingt es ihr, so einen Elefanten zu zeichnen. Ach, das ist blöd, dass Papa nicht da ist. Obwohl, wenn Papa da wäre, dann müsste Mama wieder weinen. So wie beim letzten Mal, als sie mit Papa den Ausflug gemacht hat und dann erzählt hat, wie toll es war. Eigentlich wollte ich nur, dass wir das beim nächsten Mal wieder alle miteinander machen, und da hat Mama dann zu weinen angefangen. Da habe ich sie ganz traurig gemacht. Und dann hab ich auch weinen müssen. Nein, Papa soll lieber doch nicht da sein. Das ist nicht gut für Mama. Weil sonst ist Mama dann vielleicht auch weg. Nein, sie muss auf Mama aufpassen. Mama sagt ja auch immer, dass sie das alles nicht schaffen würde, wenn es sie nicht gäbe.
Sie streicht den angefangenen Elefanten ganz oft durch, damit man ihn nicht mehr sieht.

Einfach schrecklich. So wie Maria werden Kinder im Zuge von Obsorgestreitigkeiten immer wieder von Psychologen begutachtet, um aus ihrer Expertise heraus den Familiengerichten Empfehlungen zu geben, wie zwischen den Elternteilen zu entscheiden ist. Welcher der Vorstellungen zur Betreuung des Kindes nach einer Trennung Recht gegeben werden soll. Kinderrechte bekommen gerade dann, wenn das Leben der Erwachsenen kompliziert wird und die Ebene als Paar zerbricht, eine besondere Bedeutung. Es reicht allerdings nicht, wenn in Paragraphen formuliert, von Experten begutachtet und von Richtern geurteilt wird, was Kindern selbstverständlich zu bieten ist: Gewaltfreiheit, Bedürfnisorientierung, Geborgenheit, altersgerechte Förderung, Sicherheit und dergleichen. Es ist auch wenig sinnvoll, darüber zu diskutieren, ob die Familiengerichte und Jugendämter die UN-Kinderrechtskonvention direkt zu berücksichtigen und zu vollziehen hätten. Oder welches Modell der Obsorge – getrennt oder gemeinsam – nun Standard sein soll. Verantwortung dafür, dass Eltern, welche in ihrer Beziehung als Liebespaar gescheitert sind, dennoch eine gemeinsame Elternebene zustandebringen und damit den theoretischen Begriff des Kindeswohles mit Leben befüllen, tragen eigentlich immer die Eltern selbst. Auch nach einer Scheidung. Sieht es so aus, als würden sie es aus verständlicher Emotion im Zuge der Scheidungswehen heraus oder auch lange danach nicht schaffen, so darf die Verantwortung für die angezeigte Hilfe und Unterstützung dieser wankenden Familie nicht allein auf die Gerichte abschoben werden: der auf den Kindern lastende Druck wird dadurch nicht vermindert. Es gilt, Wege zu finden, Kindern auch in diesen herausfordernden Phasen die altersentsprechende Unbeschwertheit zurückzugeben, und dazu bedarf es eines Einwirkens auf die Eltern bei gleichzeitiger Unterstützung derselben, die elterliche Verantwortung auch weiterhin gemeinsam zu tragen. Damit Kindern wie Maria es erspart bleibt, ihr kindliches Herz anzufüllen mit Zweifel, Sorgen und auch Verantwortung, welche dort den Platz nicht versperren sollten für eigene Erlebnisse.

Text:  Hans-Jürgen Gaugl ist Mediator und Verfasser des soeben erschienenen Buchs “Wenn Eltern sich streiten.” Er bloggt auf der Plattform fischundfleisch.com, wo Menschen Themen aller Art veröffentlichen können.

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