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Wenn das Auto Notfalldaten funkt - eCall wird in Europa Pflicht

Das neue System ruft auch Kritiker auf den Plan.
Das neue System ruft auch Kritiker auf den Plan. ©Hofmeister
Unfall auf einer einsamen Landstraße, Fahrer ohnmächtig: Künftig soll das Auto in solchen Fällen automatisch Hilfe rufen. Zum 1. April ging in ganz Europa ein neues System an den Start.

Mehr als 25 000 Menschen sterben jährlich bei Verkehrsunfällen in der Europäischen Union, 135 000 werden schwer verletzt. Das neue System eCall soll künftig viele von ihnen retten. Nach mehr als 15 Jahren Vorlauf wurde die Notruf-Automatik ab Samstag für alle neu zugelassenen Automodelle in Europa Pflicht. Die EU erwartet sich sehr viel von der Neuerung, und auch die Autoindustrie und der ADAC begrüßen sie. Andere Experten sind skeptisch. Das Wichtigste zu dem neuen System im Überblick:

Was kann eCall eigentlich?

Nach einem Unfall wählt das Auto automatisch den europaweit geltenden Notruf 112 und stellt eine Telefonverbindung zur nächstgelegenen Rettungsleitstelle her. Ausgelöst wird das über sogenannte Crash-Sensoren und die Steuerung der Airbags. Melden sich die Insassen nicht – etwa, wenn sie ohnmächtig sind -, kann die Leitstelle direkt einen Rettungseinsatz auslösen. Denn eCall übermittelt über Satellit gleichzeitig Daten zum Standort des Wagens und zur Fahrtrichtung – wichtig, um bei Unfällen auf der Autobahn den Notarzt auf die richtige Spur zu bringen.

Bringt das denn etwas?

EU-Kommission und Europaparlament setzen große Hoffnung auf das System, das schon 2002 gepriesen und schließlich 2015 gesetzlich festgeschrieben wurde. “Mit eCall wird sich die Reaktionszeit der Rettungsdienste in ländlichen Gegenden um 50 Prozent und in städtischen Regionen um 40 Prozent verringern”, rechnet die Europaabgeordnete Olga Sehnalova vor. “Das führt zu einer Verringerung der Todesopfer und der Rettung von bis zu 1500 Menschenleben pro Jahr.” Die EU-Kommission schätzte die Zahl im Jahr 2013 sogar auf 2500.

Halb so lange Reaktionszeit, geht das wirklich?

Mit Blick auf die Lage in Deutschland hat Marco König, Vorsitzender des Berufsverbands Rettungsdienst, deutliche Zweifel. Im bundesweiten Durchschnitt dauert es nach seinen Worten heute knapp zehn Minuten, bis nach einem Notruf ein Retter am Unfallort ist. Eine Verringerung um 50 Prozent würde bedeuten, dass es nur noch fünf Minuten wären. Kaum realistisch, meint König. Da spielten ganz andere Faktoren eine Rolle als nur der rasche Anruf bei der Leitstelle, etwa die Logistik der Rettungswagen.

Aber nützt das System dann wirklich etwas?

eCall gilt ja künftig in ganz Europa, und in einigen EU-Ländern liegen die sogenannten Hilfsfristen nach Angaben des österreichischen Roten Kreuzes bei bis zu 20 Minuten. Auch in Deutschland gilt: Jede Beschleunigung hilft. König nennt eine Faustformel: Pro Minute sinkt bei einem lebensgefährlich Verletzten die Überlebenschance um zehn Prozent. “Wenn nur ein Menschenleben gerettet wird, dann ist das eine gute Investition”, meint Achim Hackstein, Vorsitzender des Fachverbands Leitstellen. Ob sich eCall wirklich bewährt, wird sich aber wohl erst in einigen Jahren herausstellen. Denn Pflicht wird das System jetzt nur für neue Modelle, die sich dann langsam am Automarkt durchsetzen. Bisher gebe es kaum Erfahrungen, sagt Hackstein.

Kann jetzt die Polizei Autofahrer heimlich tracken?

Datenschützer haben immer wieder schwere Bedenken gegen eCall vorgebracht. Der ehemalige schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert warnte, das Auto könnte zur “Datenschleuder” werden. Das Büro der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff beruhigt hingegen. Datenschutzrechtlichen Bedenken sei Rechnung getragen worden, sagt ein Sprecher. Der übermittelte Datensatz sei auf ein Minimum begrenzt worden. Bei korrekter Umsetzung des Systems wäre ein Zugriff von außen auf Fahrzeugdaten “nur mit extrem hohen Aufwand möglich”. Auch der ADAC betont, Autofahrer könnten nicht “getrackt” werden. “Für diesen gesetzlich vorgeschriebenen eCall sehen wir unmittelbar keinen Missbrauch des Datenmonopols”, erläutert Sprecher Johannes Boos.

Also alles unproblematisch?

Kritischer beäugt aber auch der ADAC Kommunikationsdienste, die Fahrzeughersteller in eigener Verantwortung anbieten. Mercedes-Benz etwa hat schon seit 2012 eigene Notrufzentralen. Boos warnt, einige Hersteller schlössen mit ihren Kunden Verträge mit weit umfangreicheren Datenpaketen als eCall. Bisweilen gebe es Klauseln, dass das Herstellersystem bei einem Unfall Vorrang vor eCall bekomme. Das wiederum sehen auch die Rettungsdienstexperten König und Hackstein kritisch: Automatische Notrufe müssten immer direkt an die Rettungsleitstelle gehen, fordern beide.

(dpa)

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