Die Zelfenschanze in Tschagguns – 1937 erbaut und bis 1951 in Betrieb – war einst die größte Sprungschanze Österreichs. Am 23. Februar 1947 bejubelten 15.000 Zuschauer den Sieg der Springerlegende Bubi Bradl. Im März 1950 sprang der Schweizer Andreas Däscher mit 86 Metern Schanzenrekord. Zuvor hatte er schon in Oberstdorf mit seinem im Windkanal entwickelten Sprungstil mit eng am Körper angelegten Armen Aufsehen erregt. Bis dahin galten nach vorne gestreckte Arme als ideal.
Seit vergangenem Sommer wird im Montafon wieder gesprungen, Ende Jänner beherbergte man mit dem Europäischen Olympischen Jugendfestival EYOF das erste internationale Großereignis. Mit der alten Naturschanze hat die „Montafon Nordic“ genannte Neuauflage ebenso wenig zu tun wie die „Brettlhupfer“ der Pionierjahre mit dem wissenschaftlich begleiteten Leistungssport von heute, der seinen Anfang nahm, als die alte Zelfenschanze ihrem Ende zuging.
Vier Schanzen stehen ganzjährig – vor allem zum Training und der Förderung des Springernachwuchses – zur Verfügung. Der Länge nach geordnet liegen sie aufgefächert um einen gemeinsamen Auslaufbereich im Hang. Man habe anfangs viel Zeit in die Recherche investiert, erzählt Architekt Markus Wäger vom Bludenzer Architekturbüro Mitiska Wäger, das 2011 den geladenen Wettbewerb unter fünf Vorarlberger Teilnehmern recht eindeutig für sich entscheiden konnte. Die Vorgaben, wie eine Sprungschanze regelkonform auszusehen habe, seien streng.
Es gäbe aber sehr wohl Gestaltungsmöglichkeiten – zum Beispiel bei der Integration der Sprunganlage in den Hang. So haben sich Mitiska Wäger zum Beispiel bei der großen Schanze für einen steilen Anlauf entschieden, damit das Starthaus nicht zu weit in den ohnedies labilen Hang hinein musste. Auf Aufständerungen wurde verzichtet, die notwendigen Schanzenprofile wurden durch Einschnitte ins Gelände und punktuelle Aufschüttungen geschaffen. Die Gebäude sind in Hangfalllinie und Sprungrichtung mit der Schmalseite ins Tal gerichtet und bilden begleitende Akzente, ohne die Linearität des Schanzenfächers zu konterkarieren. Farben kamen nur reduziert zum Einsatz und beschränken sich auf Weiß und Anthrazit sowie das Grün der Matten und die FIS-konformen Markierungen.
Generell galt das Prinzip, die Schanzen möglichst gut in die natürliche Topographie einzubetten und die Zwischenzonen mit „weichen Übergängen“ auszuformen. Keine Chance also für spektakuläre Zeichensetzungen à la Bergisel, aber doch Möglichkeiten, die Dynamik des Sprungsports zum Ausdruck kommen zu lassen. Die größte Kubatur hat das „Funktionsgebäude“ am Fuß des Schrägaufzuges. Es ist ein wahres Multitalent und birgt die Sprecherkabine, ein Café mit Terrasse für tausend Zuschauer, Umkleiden und Werkstätten.
Bei aller notwendigen Robustheit und Zweckmäßigkeit gelang eine bemerkenswert elegante Anmutung, die recht wenig mit der bei Skisportanlagen gängigen Kommerz-Ästhetik gemein hat. Selbst Beschriftungen und Logos der Hauptsponsoren sind dezent in spiegelnden Lettern in die Fassade aus weißem mineralisierten Plexiglas integriert. Nur bei Großveranstaltungen stören die notwendigen zusätzlichen Tribünen, Container und die üblichen Werbeeinrichtungen die visuelle Ruhe und machen dann der ansonsten so signifikant wirkenden Skulptur des jungen Künstlers Philipp Leissing im Zielbereich Konkurrenz. Die orangefarbene Kapsel aus Stahlblech birgt zwanzig Arbeiten noch nicht etablierter Künstlerinnen und Künstler, die somit dem Kunstmarkt entzogen sind. Erst 2044 soll sie geöffnet und der Inhalt publik gemacht werden.
Daten und Fakten
Objekt: Schanzenanlage Montafon Nordic, Tschagguns-Zelfen
Eigentümer/Bauherr: Montafon Nordic Sportzentrum GmbH, Land Vorarlberg, Stand Montafon und Gemeinde Tschagguns
Architektur: Mitiska Wäger Architekten
Ingenieure/Fachplaner: Örtliche Bauleitung: Fleisch & Loser, Rankweil; Statik: Dr. Brugger & Partner, Bludenz;
Bodenmechanik: Geotek Dönz+Mähr, Feldkirch; Siedlungswasserbau: Rudhardt + Gasser, Bregenz; Heizung Lüftung Sanitär: Technisches Büro Herbert Roth, Lauterach; Elektro: BIW, Tschagguns; Bauphysik: BDT–IB, Frastanz; Bauökologie: Siegfried Lerchbaumer. Bludenz; Schanzentechnik: Malojer, Innsbruck
Jurierung: Wettbewerb 3. 11. 2011
Bauzeit: 2/2013–7/2014
Grundstücksgröße: 25.500 m²
Nutzfläche: 713 m²
Bebaute Fläche: 932 m² (ohne Schanzen)
Bauweise: Funktionsgebäude: Stahlbeton sichtbar; hinterlüftete, gedämmte Plexiglas-Mineralfassade, 3-fach Isolierverglasung; Sprungrichterturm: unbehandeltes Massivholz, hinterlüftete, ungedämmte Plexiglas-Mineralfassade; Aufsprunghügel: Stahlbeton rückverankert mit Untergrund, Dämmlage, Befestigungsnetz, Aufsprungmatten
Besonderheiten: Skisprunganlage mit 4 Schanzen (HS 22, HS 40, HS 66 und HS 108) mit Mattenbelegung, der Aufsprunghügel für den Sommer- und Winterbetrieb mit zum Teil gekühlten Anlaufspuren
Ausführung: Baumeister: Jäger, Schruns; Zimmerer: Kieber, Schruns; Stahlbau: Böhler, Feldkirch; Stahlbau Schanzen: Benzer, Hohenems; Fenster: Zech, Götzis; Innenausbau: Leu, Wald a. A.; Böden: Ebenhoch, Götzis; Heizung/Lüftung: Bömag, Schruns; Elektro: Fiegl & Spielberger, Innsbruck
Energiekennwert: 27 kWh/m²a
Heizwärmebedarf: Baukosten ca. 15,2 Mill. Euro
Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten.
Kommenden Freitag, 20. 2. 2015 um 17 Uhr kann die Schanzenanlage bei architektur vorORT besichtigt werden. Eintritt frei, keine Anmeldung nötig. Mehr unter architektur vorORT auf v-a-i.at
Mit freundlicher Unterstützung durch Arch+Ing