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Vassilakou im Interview: "Ich habe viel angepackt und Dinge verändert"

Maria Vassilakou im Interview mit der Meinungsplattform fischundfleisch.
Maria Vassilakou im Interview mit der Meinungsplattform fischundfleisch. ©Rudi Fröse
Zum Wien-Wahlkampf – VIENNA.at in Kooperation mit fischundfleisch.com: Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou über die letzten fünf Jahre in der Wiener Stadtregierung, Michael Häupl und die Zukunft in Wien.

Frau Vassilakou, gerade das Thema Sprachförderung ist in Wien beherrschend, wenn es um Schule und Bildung geht. Ihre Lösungen für die Misere?

Maria Vassilakou: Österreich hat wichtige Reformen im Schulbereich verschlafen und Wien bezahlt die Rechnung dafür bitter. Mindestens ein Viertel aller Jugendlichen und mehr als die Hälfte aller Taferlklassler hat eine andere Muttersprache als Deutsch. Gerade Wien braucht dringend ein modernes Schulsystem und eintausend zusätzliche Lehrerinnern und Lehrer. Ich will, dass die Schulen selbst über Unterrichtsmethoden entscheiden können, denn sie wissen am besten, was sie brauchen. Wir Grüne wollen eine Kindergartengarantie ab dem zweiten Lebensjahr. Nur so haben alle Wiener Kinder die Möglichkeit, für den Schuleintritt bestmöglich vorbereitet zu werden. So können alle Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache schon im Kleinkindalter spielerisch Deutsch lernen.

Immer, wenn es um Sie geht, werden Sie vor allem in sozialen Netzwerken, aber auch in Medien verunglimpft, persönlich beschimpft und unsachlich angegriffen. Wie gehen Sie damit um?
Maria Vassilakou: Natürlich krieg‘ ich nicht sehr viel davon mit, weil ich einfach keine Zeit habe, Postings zu lesen und im Internet herumzuklicken. Dann und wann muss ich natürlich schlucken, weil Grenzen überschritten werden. Weil jede Grenze überschritten wird. Ich habe viel angepackt und Dinge verändert, die sehr, sehr viele Menschen in ihrem Alltag betreffen. Jeder, der viel verändert, muss damit rechnen, dass es Anfeindungen gibt. Das gehört dazu. Damit muss jeder Politiker, der regiert, fertig werden. Ich habe immer wieder gesagt, dass Politik nichts für Mimosen ist und dazu stehe ich.
Ich denke, meine Einstellung hat mit meinem Lebensmotto zu tun. Ich glaube an Mut, ich glaube an Zuversicht, und ich glaube an Initiative. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um zu reden, sondern um Dinge anzupacken und Konkretes zu tun. Und wer tut und nicht nur ein Grüßaugust ist, muss mit einem Tsunami an Reaktionen fertig werden.

Gibt es einen Lösungsansatz, um die sich immer rascher drehende Spirale an verbaler Gewalt zu stoppen?
Maria Vassilakou: Das ist Demokratie. Was wir erleben, ist ein Paradigmenwechsel, der weitreichende Folgen haben wird. Sowohl für die Demokratie, als auch für unsere Alltagskultur. Das sind gesamtgesellschaftliche Prozesse, die kann man nicht mit Gesetzen oder gouvernantenhaftem „Du, du, du“-Zeigefinger lösen. So weh es uns allen tut und noch tun wird… mit diesen Schmerzen müssen wir lernen, umzugehen. Das ist ein Lernprozess, der noch Jahre dauern wird. Was jeder tun kann ist, sich dagegen zu stemmen. Und jedes Mal darauf hinzuweisen, wenn Grenzen überschritten werden – und Zivilcourage beweisen!

Wie haben Sie Michael Häupl in den vergangenen fünf Jahren erlebt?
Maria Vassilakou: Vorwiegend unterstützend.

Ist Ihr Szenario für Wien ohne Regierungsbeteiligung der Grünen ein düsteres?
Maria Vassilakou: Nein. Ich arbeite nicht mit der Angst der Menschen. Ich bin die einzige in diesem Wahlkampf, die das nicht tut. Wien bekommt genug Angst und Mieselsucht von der Politik serviert, und ich möchte Wien nicht den Stänkerern und Mieselsüchtlern überlassen. Als Wähler muss einem klar sein, dass der weltoffene Weg der richtige ist: der Ausbau der sozialen Leistungen der letzten Jahre, was alles im Umweltbereich erreicht wurde… die Garantie, dass das fortgesetzt wird, sind die Grünen. Gibt es die Grünen nicht, kann man zu dem allen Baba sagen!
Juraczka fordert den Ausbau der U-Bahn ins Umland, nach Auhof und Klosterneuburg. D’accord?
Maria Vassilakou: U-Bahn-Ausbau ja, aber auf eine pragmatische und vernünftige Weise, sodass wir das alle noch erleben. Ich bin dafür, dass man zunächst den Investitionsschwerpunkt in die S-Bahn legt. Hier haben wir bereits die Schienen. Hier müssen wir in Intervallverkürzungen investieren und eine Metro daraus machen. Meine Vision ist nur zehn Wartezeit für die S-Bahn. Damit haben in den nächsten Jahren alle Wiener Randlagen und das Umland eine brauchbare Alternative zum Auto. Dazu soll die Ausweitung der 365-Euro-Jahreskarte auf das Wiener Umland kommt. Ich schätze Verkehrsmaßnahmen, die ich noch erleben werde.

Was sagen Sie Autofahrern, die durch Verkehrsberuhigungsmaßnahmen im Stau stehen oder elendslang Parkplatz suchen und Sie dabei verfluchen?
Maria Vassilakou: Ich verstehe das wirklich absolut, dass man sich, wenn man im Stau steckt, ärgert. Oder wenn man im Kreis herumfährt und keinen Parkplatz findet. So geht’s mir auch. Aber ich schimpfe dann nicht über mich selbst. Aber ja, ich denke daran und muss schmunzeln. Staus sind das Ergebnis von Überlastung und immer wieder notwendigen Baustellen, die wir nicht aus Spaß machen. Genau deshalb versuche ich den Schwerpunkt auf den Ausbau und die Leistbarkeit der Öffis zu legen. Damit viele Autofahrer, die heute auf das Auto angewiesen sind, die freie Wahl haben. Da geht es um Freiheit!

Im Vergleich zur Jahreskarte sind Einzelfahrscheine teuer. Gibt es eine Bestrebung, auch Einzelfahrten zu verbilligen?
Maria Vassilakou: Die Preisanhebungen bei Einzelfahrscheinen erfolgen dann, wenn die Wiener Linien ihre Preise valorisieren müssen, um halbwegs kostendeckend zu sein. Mir geht es darum, die richtigen Prioritäten in der Preispolitik zu setzen. Die muss auf der Masse jener liegen, die die Öffis jeden Tag brauchen um zur Arbeit oder in der Stadt herum zu kommen und nicht auf Gelegenheitsfahrten. Es fährt beinahe jeder zweite Wiener mit der Jahreskarte, mit der Studentenkarte oder dem Top-Jugendticket. Über eine Weiterentwicklung des Angebots kann man aber immer nachdenken.
Bei der S-Bahn ist nicht nur auf die Intervallverdichtung Wert zu legen. Vor allem jenseits der Donau müssen wir aufgelassene Stationen wieder in Betrieb nehmen. Dort wohnen tausende Menschen und es werden immer mehr. Es ist extrem frustrierend, wenn man die Station Lobau vor der Haustür hat und der Zug bleibt nicht stehen. Da hast du nur den Lärm und keinen Vorteil.

Wie sieht beim Thema Flüchtlinge Ihr Rezept aus?
Maria Vassilakou: Zunächst bin ich einmal unglaublich stolz auf die unzähligen WienerInnen, die freiwillig schier Unglaubliches leisten, um Menschen auf der Flucht zu versorgen. Sie machen Wien tatsächlich zu einer Stadt der goldenen Herzen. Die Stadt Wien selbst bekennt sich zu ihrer Verantwortung gegenüber Menschen auf der Flucht. Wien ist eine Menschenrechtsstadt. Das heißt, Wien will Menschen auf der Flucht ein sicherer Hafen sein. Und wir schaffen das.  Sofern es in diesem Bereich überhaupt zulässig ist von Quoten zu sprechen, übererfüllt Wien diese. Jetzt geht es darum, eine rasche und gute Integration in Wien zu gewährleisten. Bestes Beispiel: Jene Kinderflüchtlinge, die allein und ohne Eltern in Wien ankommen. Kinder sind in erste Linie Kinder! Sie sind entsprechend der Standards der Wiener Jugendwohlfahrt unterzubringen und zu versorgen. Alles andere ist indiskutabel!

Strache hat im Gespräch mit uns den Unterschied zwischen politischen und wirtschaftlichen Flüchtlingen betont…
Ich persönlich lehne die Unterscheidung zwischen Kriegsflüchtlingen, politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen ab. Sie sind alle Menschen in einer Notlage, ob politisch oder wirtschaftlich!

Wien wächst. Demnächst sind wir zwei Millionen Einwohner. Wie sollen genügend neue Jobs geschaffen werden?
Maria Vassilakou: Wien hat so viele Beschäftigte, aber auch so viele Arbeitslose wie nie zuvor. Das ist eine Herausforderung und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir sie bewältigen werden. Ich glaube, Arbeitsplätze können nur durch ein „neues Wachstum“ entstehen. Ich meine die Transformation unserer Energieversorgung. Ich meine das städtische Wachstum, das bereits jetzt mehr als 25.000 Jobs jährlich sichert. Ich meine Investitionen in Schulen, in Bildung, in Forschung und Entwicklung. Ich meine auch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und alle Maßnahmen die unsere Städte lebenswerter machen. Und natürlich Wohnungsneubau, die Erneuerung bestehenden Wohnraums und die thermische Sanierung.

Rückblickend betrachtet: Was würden Sie heute anders machen? Welche Fehler sind Ihnen passiert?
Maria Vassilakou: Ich würde die Mariahilfer Straße wieder umbauen und auch die Radwege grün einfärben. Ich würde zwar alles in meinem Leben anders machen, wenn ich es ein zweites Mal könnte. Das sagt alles. Was immer wir tun im Leben, wir werden beim ersten Mal nicht alles perfekt machen. Und beim zweiten Mal werden wir andere Fehler machen. Es gibt keine Fehlerfreiheit.
Aber Sie bereuen nichts?
Maria Vassilakou: Es gibt etliche Fehler in meinem Leben, die ich bereue. Aber das ist egal. Das Wesentliche ist, dass man daraus lernt. Ja, nach fünf Jahren Regierungserfahrung weiß ich viel mehr als zuvor. Das ist auch der tiefere Sinn des Wortes Erfahrung. Aus dem, was einem gelungen ist und was man falsch gemacht hat, zu lernen, und in neuen Situationen anzuwenden. So gesehen bin ich bereit fürs nächste Level!

INTERVIEW: Alex Haide

Das Interview wurde von der Meinungsplattform fischundfleisch.com geführt: https://www.facebook.com/fischundfleisch

 

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