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US-Independent-Kino: Große Namen in kleinen Filmen

©viennale.at/Alexander Tuma
Melancholie und Depressionen, Erwachsenwerden und Unangepasstheit: Diese Themen ziehen sich durch US-Independent-Produktionen, die bei der diesjährigen Viennale zu sehen sind. Dennoch könnten die Arbeiten etablierter, neuer oder unerkannter US-Independent-Regisseure unterschiedlicher nicht sein.
Die einen punkten mit stimmigen Indie-Soundtracks, die anderen mit großen Schauspielernamen wie Edward Norton und Adrien Brody. Einzelne verlassen sich wiederum auf dokumentarische Elemente und die natürliche, emotionale Entwicklung einer Geschichte, eines Menschen, einer Stimmung. Folgend eine Auswahl vielversprechender Filme, die gemeinsam ein spannendes Bild der US-Independent-Szene zeichnen.

Ein Regisseur, der für starke Ensemblefilme und eine tabubrechende Themenwahl bekannt ist, setzt mit “Life during wartime” inoffiziell sein kontroversielles Werk “Happiness” (1998) fort. In seinem neuen Streifen verpackt Todd Solondz Pädophilie, Selbstmord, Missbrauch und Depression in schwarzen Humor und die scheinbare Idylle des sonnigen Floridas, während drei Schwestern ihren emotionalen Ballast zu tragen haben. So halluziniert Joy ihren Ex-Freund herbei, der sie aus dem Jenseits für seinen Selbstmord verantwortlich macht, während Trish ihrem Sohn erklären muss, dass sein Vater gar nicht tot ist, sondern wegen Sex mit Minderjährigen im Gefängnis sitzt. Solondz gelingt eine irrwitzige Charakterstudie über die Abgründe des Menschen und der Vergebung als einzigen Ausweg inmitten familiärer Zerwürfnisse. (25.10., 15.30, Gartenbaukino / 31.10., 16.00, Urania)

In “Leaves of Grass” von Tim Blake Nelson (bisher als Schauspieler in Nebenrollen bekannt), hat Bill (Edward Norton) seine Familie hingegen komplett hinter sich gelassen. Aus dem Sohn einer überdrehten Hippie-Familie ist ein renommierter Philosophie-Professor geworden. Sein mit Marihuana dealender Zwillingsbruder (ebenfalls Norton) lockt Bill mit einem Trick jedoch nach Jahren ins triste Heimatstädtchen zurück und reitet ihn in einen riesen Schlamassel. Immerhin gibt es da noch die attraktive, poetisch begabte Jugendfreundin (Keri Russell) zwischen den Rednecks und Potheads. In wenigen Tagen gewinnt Bill sein Leben mehrfach zurück. “Leaves of Grass” ist eine etwas zu spekulative Dramedy mit einer Mischung aus Kitsch, Komik und Gewalt, die mit Edward Norton in einer Doppelrolle, Susan Sarandon als Hippie-Mutter und einem entspannten Folk-Soundtrack punktet. (23.10., 1.00, Gartenbaukino / 27.10., 6.30, Künstlerhaus / 28.10., 13.30, Metro Kino)

Mit Marihuana dealt auch Oscarpreisträger Adrien Brody in der wenig fordernden aber sympathisch gestalteten Kiffer-Komödie “High School”. Im Langfilmdebüt von John Stalberg verordnet ein High-School-Direktor einen Drogentest für alle Schüler. Blödes Timing für den Streber Henry, der just am Tag zuvor mit dem dauerbekifften Travis den ersten Joint seines Lebens geraucht hat. Einziger Ausweg: alle Schüler mit Hilfe von Hasch-Brownies einnebeln, immerhin kann der Direktor ja nicht alle von der Schule verweisen. Was folgt, ist abzusehen – und leider nicht so lustig umgesetzt, wie man es sich vorstellt. “High School” verläuft sich ab der Mitte des Films und kann nur durch die Besetzung von Colin Hanks als benebelter Vizerektor und Adrien Brody als schräger Drogendealer Ed punkten, dem die zwei Burschen den Stoff stehlen. (30.10., 1.00, Gartenbaukino und 13.30 Urania)

Mit großartigen Schauspielern punktet auch “Blue Valentine” von Derek Cianfrance. Der bewegende Indie-Streifen zeigt eine kleine Familie im ländlichen Pennsylvania, die kurz vor dem Zerbrechen steht. Das junge Paar, gespielt von den US-Stars Michelle Williams und Ryan Gosling, versucht gegen die immer größer werdende Melancholie zwischen ihnen anzukämpfen und wird dennoch von Alltag und Geldsorgen erdrückt. Eine bekannte Geschichte, die in “Blue Valentine” auf ungewöhnlich leise und stille Art und Weise erzählt wird. In den Rückblicken erkennt man die einst große Liebe zwischen Dean und Cindy, und lebt ihren Kampf um die Liebe mit. (30.10., 23.00, Gartenbaukino / 2.11., 21.00, Urania)

In einem gänzlich anderen Genre brilliert Michelle Williams neben Will Patton und Paul Dano in Kelly Reichardts postfeministischen Western “Meek’s Cutoff”. Darin werden drei Familien 1845 in einem Güterwaggon von dem erfahrenen Bergsteiger Stephen Meek durch Oregon geleitet. Als nach einer fehlgeschlagenen Abkürzung Probleme auftreten und ein Indianer die letzte Rettung verspricht, liegt es an den Protagonisten, Vorurteile und Moral zu hinterfragen und die intensivierende Spannung innerhalb der Gruppe zu meistern. Sparsam, ruhig und gewollt unspektakulär inszeniert, stehen die Frauen und ihr Einfluss auf die Männer im Mittelpunkt. (26.10., 11.00, Urania / 31.10., 18.00, Gartenbaukino)

Mit seinem dritten Film “Cold Weather” verabschiedet sich Aaron Katz ein wenig von jenem Genre, als dessen Mitbegründer er gilt: dem “Mumblecore”-Kino. Dieses ist von oft improvisierenden Laiendarstellern und schlechten Produktionsbedingungen geprägt. “Cold Weather” ist größer, schöner und mit der Hilfe privater Investoren ein wenig aufwändiger als Katz’ erste zwei Filme. Auf der teuren RED-Kamera gedreht, inszeniert Katz seinen Protagonisten, den Mittzwanziger Doug, in starken, ins Blau getunkten Farben. Doch der Kern bleibt gleich: Eine tatsächliche Handlung gibt es kaum, es wird geredet und spaziert und Kaffee getrunken. Doug hat sein Studium geschmissen und ist zu seiner Schwester Gail nach Portland gezogen. Kriminalbiologie hat er studiert, doch jetzt will er “mehr wie Sherlock Holmes sein”. Da passt es ganz gut, dass plötzlich seine Ex-Freundin Rachel verschwindet und Doug sich auf die Suche nach ihr macht. Währenddessen wird weiter geredet, spaziert und Kaffee getrunken. Allein der fantastische Soundtrack von Keegan DeWitt rettet über einige Längen hinweg, kommentiert und untermalt die zunehmende Surrealität der Handlung in der verschlafenen Stadt. (22.10., 21.00, Urania / 23.10., 15.30, Gartenbaukino)

Improvisation (ein fünfseitiges Szenario statt eines Drehbuchs) und kaum Budget (20.000 Dollar) sind zwar die Produktionsbedingungen bei “Putty Hill”, mit Mumblecore hat Matt Porterfields zweiter Langfilm jedoch wenig zu tun. Statt des Gefühlslebens einzelner Protagonisten porträtiert er eine ganze Nachbarschaft in seiner Heimatstadt Baltimore, Jugendliche aus “weißen Arbeiterklassen-Familien”, wie der Regisseur sagt. “Putty Hill” hat den Anschein eines Dokumentarfilms, porträtiert werden “echte” Menschen mit “falschen” Dialogen. Porterfield lässt den Laiendarstellern Freiraum, gibt ihnen eine narrative Linie vor, und bringt sich aktiv in den Film ein, indem er sie interviewt. Der Film setzt einen Tag vor der Beerdigung des Mittzwanzigers Cory an, der zuvor an einer Überdosis Heroin gestorben war. Angehörige, Freunde und Bekannte aus seinem Umfeld erinnern sich an Momente mit Cory, sprechen über ihr eigenes Leben, das zumeist von Arbeitslosigkeit, Drogen, Gewalt und dem Wunsch eines besseren Lebens weit weg von Zuhause geprägt ist. Leider wirkt Porterfields Technik distanziert und schwer greifbar, nur Geduld und Verständnis wird dem Zuseher “Putty Hill” nahebringen können. (23.10., 21.00, Urania / 24.10., 15.30, Gartenbaukino)

Um den Wunsch, sich endlich zugehörig und zu Hause zu fühlen, geht es auch in “Littlerock” von Mike Ott. Ein junges japanisches Geschwisterpaar hat sich nach Amerika aufgemacht, um seine Vergangenheit zu ergründen. Auf dem Weg stranden Atsuko und Rintaro in Littlerock, einer abgelegenen Kleinstadt, in der sie eine Gruppe Jugendlicher kennenlernen. Während sich Atsuko rasch wohl fühlt, warnt ihr Bruder vor den falschen Freunden. Rassismus, Homophobie und Drogen verstecken sich hinter Trink-Gelagen, Indie-Musik und Fahrradtouren. Doch Atsukos Wunsch, dazuzugehören, ist stärker als jedes Warnzeichen. Still, melancholisch und mit einem stimmigen Soundtrack von The Cave Singers inszeniert Ott seinen Film inmitten von Berglandschaften, endloser Wüste und unerfüllten Hoffnungen. Die Authentizität rührt nicht von irgendwo her: die Schauspieler bringen viel von sich selbst ein, die bildhübsche Atsuko Okatsuka übernahm nicht nur die Hauptrolle, sondern auch die Co-Autorenschaft des Drehbuchs.

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