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Noch bis zu 20 Menschen nach Brückeneinsturz vermisst

©APA/AFP
Drei Tage nach dem Einsturz der Autobahnbrücke in Genua vermissen die Behörden noch immer zehn bis 20 Menschen.
Genua: Autobahnbrücke eingestürzt
Genua: Rettungsarbeiten im Gange
Autobahnbrücke in Genua eingestürzt
Hier stürzt die Brücke in Genua ein

Rettungskräfte suchten am Freitag in den tonnenschweren Trümmern weiter nach Opfern und konzentrierten sich dabei auf die Trümmer eines Brückenpfeilers am linken Polcevera-Ufer. Bisher wurden 38 Tote geborgen.

Mehr als 600 Menschen wurden aus Sicherheitsgründen aus ihren Wohnungen in Gebäuden rund um den Unglücksort ausquartiert, weil ein Einsturz weiterer Brückenteile nicht ausgeschlossen werden kann. Die Behörden haben den Abriss dieser Häuser beschlossen, da der Standort zu gefährlich sei.

Noch am späten Donnerstagabend hatten die Einsatzkräfte die noch auf den Resten der Brücke stehenden Fahrzeuge geborgen. Darunter war auch der grüne Lastwagen, dessen Fahrer bei der Katastrophe am Dienstag wenige Meter vor der Abbruchstelle bremsen konnte.

Riss eines Tragseils könnte Ursache sein

Der Einsturz könnte nach Einschätzung eines Experten möglicherweise durch den Riss eines Tragseils verursacht worden sein. “Dies ist eine ernste Arbeitshypothese, aber nach drei Tagen ist es nur eine Hypothese”, sagte der Professor für Stahlbetonbau an der Universität Genua, Antonio Brencich, am Freitag vor Journalisten. Brencich gehört einer vom Verkehrsministerium eingesetzten Unfallkommission an.

Die Zeitung “La Repubblica” (Freitag) schrieb, dass eine Studie des Polytechnikums Mailand schon 2017 Schwächen an den Seilen entdeckt habe. Die Zeitung zitierte außerdem Augenzeugen des Unglücks, die gesehen hätten, wie die Spannseile nachgaben. “Ich war am Steuer meines Autos und habe gesehen, wie die Seile an der Seite nachgaben. Gleich danach begann der Asphalt unter mir zu zittern wie bei einem Erdbeben”, sagte die Ärztin Valentina Galbusera der Zeitung.

Für Samstag wurde Staatstrauer angeordnet. Samstagfrüh ist auf dem Messegelände von Genua eine staatliche Trauerfeier für die Opfer geplant, an der auch Präsident Sergio Mattarella und Ministerpräsident Giuseppe Conte teilnehmen werden. Der Staatssender Rai wird die Zeremonie live übertragen und hat angekündigt, aus Respekt vor den Opfern an diesem Tag keine Werbung zu senden.

38 Todesopfer

Die Hinterbliebenen von bis jetzt 17 der 38 Todesopfer wollen die Zeremonie aber boykottieren und eigene Trauerfeiern abhalten. Sie machen schlechte Wartung für den Einsturz der Brücke verantwortlich und wollen mit ihrer Abwesenheit dagegen protestieren. Die italienische Tageszeitung “Corriere della Sera” zitierte die Mutter eines 26-jährigen Opfers aus Torre del Greco bei Neapel mit den Worten: “Der Staat hat das verursacht; die dürfen sich nicht erlauben, sich dort (bei der Trauerfeier) blicken zu lassen. Der Auftritt der Politiker war eine Schande.” Die staatliche Trauerfeier soll Genuas Erzbischof, Kardinal Angelo Bagnasco, leiten. Als Ort der Trauerfeier ist das Messegelände, einer der größten Plätze Genuas, vorgesehen.

Die italienischen Behörden verstärkten indes den Druck auf die Betreibergesellschaft. Das Verkehrsministerium leitete eine Untersuchung von Autostrade per l’Italia ein und gab dem Brückenbetreiber 15 Tage Zeit, um zu belegen, dass er alle vertraglichen Pflichten erfüllt hat. Zudem verlangt die Regierung von dem Unternehmen, die Brücke auf eigene Kosten wiederaufzubauen.

Der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toto, und Verkehrsstaatssekretär Edoardo Rixi erklärten, Genua werde bis 2019 eine neue Autobahnbrücke haben. “Die Gesellschaft Autostrade wird sie bezahlen. Wer sie baut, werden wir abwägen”, sagte Rixi. Das Unternehmen versicherte bisher, seinen Wartungspflichten stets nachgekommen zu sein. Die Zeitung “La Repubblica” berichtete am Freitag jedoch, dass eine von der Firma in Auftrag gegebene Studie schon 2017 Schwächen in den Tragseilen der Brücke entdeckt habe.

Verbreitung falscher Nachrichten

In der neuen italienischen Regierung zeigten sich unterdessen erste Differenzen, wie weiter vorzugehen sei. Der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung und Minister für Wirtschaftliche Entwicklung, Luigi Di Maio, bekräftigte, man werde dem Unternehmen nicht nur die Lizenz für die Autobahn entziehen, sondern auch eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro verhängen und dafür – wenn nötig – vor Gericht ziehen.

Dagegen sagte der Innenminister und Chef der rechten Lega, Matteo Salvini, er wolle vom Betreiber “alles, was möglich ist” für die Angehörigen der Opfer, die Verletzten und die nun Obdachlosen bekommen. “Über Konzessionen, Strafen und Spitzfindigkeiten reden wir von kommende Woche an”, zitierte ihn Ansa.

Die italienische Senatorin Laura Garavini warf der Regierung in Rom hingegen die Verbreitung falscher Nachrichten vor. “Es geht nicht um Aufklärung, sondern die Regierung verbreitet von höchster Stelle Falschmeldungen”, sagte die Sozialdemokratin. Fake News würden zu Regierungspolitik. “Es ist ein Klima entstanden, wo Wahrheit, Seriosität und auch wissenschaftliche Erkenntnisse keine Rolle mehr spielen”, kritisierte Garavini.

Als Beispiel nannte die Senatorin eine Aussage des stellvertretenden Ministerpräsidenten Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung. “Er behauptet, die Autobahngesellschaft Autostrade zahle Steuern nur in Luxemburg und habe uns im Wahlkampf unterstützt. Das ist definitiv falsch”, erklärte die sozialdemokratische Parlamentarierin.

Der mehr als 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke genannt wird, spannte sich nicht nur über Wohnhäuser, sondern auch über Gleisanlagen und Fabriken. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10 und verbindet den Osten mit dem Westen der Stadt. Sie ist als Urlaubsroute “Autostrada dei Fiori” bekannt und eine wichtige Fernstraße nach Südfrankreich, ins Piemont und in die Lombardei.

(APA/ag.)

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