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Thomas Geierspichler im Sonntags-Talk: “Ich würde alles eintauschen, um wieder gehen zu können”

Rennrollstuhlfahrer Thomas Geierspichler im bewegenden Sonntags-Talk.
Rennrollstuhlfahrer Thomas Geierspichler im bewegenden Sonntags-Talk. ©SALZBURG24/Andonov
Zweimal war Thomas Geierspichler bereits Olympiasieger, er kann sich mehrfacher Welt- und Europameister im Rennrollstuhlfahren nennen und fuhr insgesamt neun Medaillen bei den Paralympics ein. Im September nimmt er seine fünften Olympischen Spiele in Angriff. SALZBURG24 begleitete Geierspichler beim Training und sprach mit ihm beim Sonntags-Talk über seinen größten Traum, seine einschneidensten Erlebnisse und über den Glauben an eine Heilung seiner Querschnittslähmung.
Thomas Geierspichler im Training
EM-Gold in Grosseto
Paralympics-Qualifikation
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Berti Mielach im Sonntags-Talk

Der 40-jährige Profisportler, der nach einem folgenschweren Autounfall 1994 querschnittsgelähmt ist, ist vor allem für sein Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit bekannt. Drei Jahre hat der Behindertensportler aus Anif gebraucht, bis er seinen Schicksalsschlag angenommen hat. Alkohol- und Drogenexzessen begleiteten ihn durch diese schwere Zeit, bis er über den Sport in ein geregeltes Leben gefunden hatte. Seither sammelt er Titel sowie Rekorde und ist von der Weltspitze im Rennrollstuhlfahren nicht mehr wegzudenken.

SALZBURG24: Thomas, du hast mit dem EM-Rekord in Grosseto und dem Staatsmeistertitel auf der Linzer Gugl abermals aufgezeigt. Am Freitag starten die Spiele in Rio. Bist du bereit dafür?

THOMAS GEIERSPICHLER: Ich bin dabei mit einer Topform bei den Spielen an den Start zu gehen. Nach dem kräfteraubenden Aufbautraining und den Staatsmeisterschaften bin ich auf einem guten Weg und konnte gute Rückschlüsse für Rio ziehen.

Wie hoch ist der Trainingsaufwand vor Olympia?

Ich trainiere zwei Mal am Tag. Der Umfang beträgt um die vier bis sechs Stunden pro Tag und das sechs Mal die Woche.

Vor Traumkullisse und vor dem Untersberg bereitet sich Geierspichler akribisch auf die Olympischen Spiele in Rio vor. SALZBURG24/Andonov
Vor Traumkullisse und vor dem Untersberg bereitet sich Geierspichler akribisch auf die Olympischen Spiele in Rio vor. SALZBURG24/Andonov ©Vor Traumkullisse und vor dem Untersberg bereitet sich Geierspichler akribisch auf die Olympischen Spiele in Rio vor. SALZBURG24/Andonov

Wie schaffst du es, dich nach so vielen Jahren im Spitzensport ständig zu motivieren?

Da ich sehr visuell denke helfen mir Bilder enorm mich auf das Wesentliche zu fokussieren. Sie erzeugen Emotionen und ziehen mich so voran.

In Rio de Janeiro bestreitest du im August deine fünften und letzten Olympischen Spiele. Was waren deine einschneidendsten Erlebnisse bislang?

Da muss ich weiter ausholen. Nachdem Hermann Maier 1998 so schwer stürzte und dennoch Doppelolympiasieger wurde, beschloss ich ebenfalls Sport zu betreiben. 

Was trieb dich da am meisten an?

Ich wollte auch unbedingt die österreichische Bundeshymne auf dem Podest hören. Mit meinem Glauben an Gott habe ich dann schlussendlich zum Sport gefunden. Ich wollte – ähnlich wie Hermann – nach solch einem Rückschlag Großes erreichen.

Und welche sportlichen Ereignisse sind bei dir am meisten hängen geblieben?

Dass ich mich nach zwei Jahren für Sidney qualifiziert und dann auch noch die Bronzemedaille geholt habe, war einfach unbeschreiblich. In der letzten Runde war ich so überwältigt, dass ich zu Weinen begann. 2004 und 2008 mit Olympiagold in Athen und Peking (mit Weltrekord, Anmk d. Redaktion) gehören natürlich ebenfalls dazu.

Mit welchen Gedanken gehst du in deine fünften Olympischen Spiele?

Ich hoffe einfach, dass ich nicht von einer Mücke gestochen werde – die Familienplanung ist ja nicht abgeschlossen. Scherz beiseite. Durch die schwierige politische und wirtschaftliche Situation in Rio verstehe ich die Wut und Unzufriedenheit der Bevölkerung. Deswegen möchte ich respektvoll diese Spiele bestreiten.

Wie stehen die Chancen auf deine dritte Goldmedaille?

Medaillen sind nur der materielle Beweis, dass man etwas geschafft hat. Viel wichtiger ist das Erlebte. Trotzdem muss man daran glauben. Die Chance etwas zu erreichen, hält man nur aufrecht, wenn man fest daran glaubt. 

Rennrollstuhlfahren zählt in Österreich als eine Randsportart. Kann man davon leben?

Bei mir hat es zum Glück funktioniert. An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meinen Sponsoren bedanken, die das ermöglicht haben. Wie es bei anderen aussieht, weiß ich nicht.

In jüngster Vergangenheit gab es immer wieder traurige Nachrichten von verunglückten und querschnittsgelähmten Sportlern. Was ging dir da bei der Kira Grünberg und Lukas Müller persönlich durch den Kopf?

Solche lebensverändernden Unfälle sind natürlich tragisch. Durch den Kopf ging mir da, was sie und ihr Umfeld für schwere Aufgaben zu bewältigen haben. Auf diesem Wege wünsche ich den Betroffenen alles Gute.

Gibt es irgendwelche Ratschläge, die man den Betroffen sagen kann/will?

Ratschläge kann man keine geben, da jeder anders damit umgeht. Jedoch habe ich immer ein offenes Ohr, wenn Fragen entstehen. Wichtig ist, dass man seinen eigenen Weg findet um da wieder rauszukommen.

Warum berühren uns solche tragischen Schicksalsschläge von Spitzensportlern mehr?

Eigentlich sollten sie uns nicht mehr berühren. Jährlich verunglücken 300 Personen tragisch und landen im Rollstuhl. Dass wir eine gewisse Nähe zu den Sportlern durch die Medien etc. aufbauen, macht es für die Gesellschaft einfach noch greifbarer.

Als Spitzensportler reist du ständig in der Weltgeschichte herum. Wie schaffst du es abzuschalten und den Kopf frei zu bekommen?

Meine Lieblingsbeschäftigung ist Rasenmähen. Teilweise wachst mir das Grün nicht schnell genug. Zuhause mähe ich 5.000 Quadratmeter in zwei Stunden, konzentriere mich nur auf einen Punkt vor mir. Das ist für mich das beste Mentaltraining. Nach dem Training entspanne ich in meinem Plantschbecken. Außerdem fand ich die Liebe zum Chili züchten. Einfach traumhaft den Zyklus vom Sähen bis zur Ernte mitzuerleben.

Du bist schon 18 Jahre im Spitzensport tätig. Hast du ein bestimmtes Lebensmotto, das dich begleitet?

Alles ist möglich dem der glaubt! Diesen Leitsatz verfolge ich, seitdem ich Sport betreibe. Damit gehe ich an den Start und versuche immer als Erster die Ziellinie zu erreichen.

Wer wird dich nach Rio begleiten?

Meine Freundin/Betreuerin, die mich auch während des ganzen Trainings unterstützt.

Geierspichlers Fokus ist komplett Richtung Olympische Spiele gerichtet./SALZBURG24/Andonov
Geierspichlers Fokus ist komplett Richtung Olympische Spiele gerichtet./SALZBURG24/Andonov ©Geierspichlers Fokus ist komplett Richtung Olympische Spiele gerichtet./SALZBURG24/Andonov

Du hast einen Charity-Verein „Walk’n’Roll“ gegründet. Für was steht der?

Der Walk’n’Roll will körperlich behinderten Menschen mit Visionen helfen, diese nachhaltig umzusetzen. Walk’n’Roll-Aktivitäten umfassen eine sehr große Bandbreite, angepasst an den jeweiligen Bedürfnissen. Sie haben jedoch die finanzielle Unterstützung von sportlichen Visionen als Hauptaugenmerk.

Es wird viel in die Forschung für die Heilung von Querschnittslähmungen investiert. Glaubst du an eine Heilung? 

Über den Glauben kehrte auch das Prinzip Hoffnung wieder zurück. Ich bin aber kein Volltrottel und weiß, dass ich auch im Rollstuhl sterben kann. Nichtsdestoweniger lässt mich diese Hoffnung positiver an Dinge herangehen. Ich glaube an Heilung, aber wenn es nicht passiert, ist das auch kein Problem, ich bin trotzdem glücklich. Jedoch würde ich alles eintauschen, um wieder gehen zu können. Wenn ich heute abtreten müsste, dann weiß ich dennoch, dass ich ein schönes und erfülltes Leben gehabt habe.

Wie sieht dein Traum vom Glück aus?

Mein Traum ist es, einmal den wunderschönen Untersberg zu besteigen.

Nach vielen Jahren Profisport ist dein Karriereende absehbar. Was kommt danach?

Ein bis zwei Jahre werde ich mindestens noch weitermachen. Die Welt- und Europameisterschaften folgen auf Rio. Da will ich dabei sein. Danach werde ich mich mehr dem Tennis, der Vermietung unserer Ferienwohnungen am Reschbergerhof und meinen Motivations-Vorträgen widmen.

Lass uns in die Zukunft schauen: Wie endet Olympia in deinen Träumen?

Glückselig und zufrieden in der Hängematte mit einem Cocktail, wobei ich in Ruhe über Vergangenes nachdenke.

Gibt es bestimmte Lieblingsplätze in Salzburg, an denen du dich am liebsten aufhältst?

Ich bin viel herumgekommen. Doch Salzburg ist eine der schönsten Städte. Am liebsten gehe ins Restaurant Triangel oder zuhause in Anif in die Einkehr, Husarenwirt oder zum Schlosswirt. Ich genieße die Ruhe und den Charme zuhause.

Lieber Tom, alles Gute für deine Zukunft! Vielen Dank für das Interview. Zum Abschluss noch ein flottes Entweder-Oder:

Buch oder E-Book? Buch. Das ist das beste was man mir schenken kann. 

Frühaufsteher oder Langschläfer? Frühaufsteher.

Lederhose oder Anzug? Natürlich Lederhose!

Spontan oder durchgeplant? Wenn alles durchgeplant ist, gern auch mal spontan.

Imbiss oder Fünf-Sterne-Küche? Eigentlich weder noch. Ich bin eigentlich für eine gesunde gut bürgerliche Küche.

Süß oder Sauer? Defenitiv sauer

Bar oder mit Karte? Bar.

Blond oder dunkel? Hauptsoch G’sund.

Kaffee oder Tee? Ohne Kaffee kann ich nicht in den Tag starten.

Berge oder Strand? Ich liebe unsere kraftvollen Berge!

Sonntags-Talk auf SALZBURG24

Ab sofort veröffentlichen wir jeden Sonntag ein Interview mit besonderen Menschen aus Salzburg – egal ob prominent oder nicht. Wir freuen uns über eure Vorschläge an: nicole.schuchter@salzburg24.at.

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