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Tetris für ein Haus

Das Architekturbüro Dorner\ Matt siegte eindeutig.
Das Architekturbüro Dorner\ Matt siegte eindeutig. ©Fotos: Petra Rainer
In St. Gallenkirch steht die Kirche noch im Dorf. Unweit davon realisierte die Alpenländische Heimstätte einen sozialen Wohnbau im Passivhausstandard. Dem Architekturbüro Dorner\Matt glückte es, jede der 20 Wohnungen im kompakten Würfel in zwei Himmelsrichtungen zu orientieren und die meisten noch per Luftraum mit Licht und Ausblick zu fluten. Mit seiner feinen Holzfassade macht sich der Würfel wirklich gut im Ort.
Schöner Wohnen in St. Gallenkirch

Am Land hatten es soziale Wohnbauten oft schwer mit einer breiten Akzeptanz. All zu leicht rückte man sie und ihre Bewohnerschaft in ein Außenseitereck. Dabei zählt die hohe Kunst, im engen budgetären Korsett des sozialen Wohnbaus ein zeitgemäßes Gebäude mit hellen, komfortablen und auch leistbaren Wohnungen zu planen, zu den absoluten Königsdisziplinen der Architektur. Um Wohnbauförderung beanspruchen zu können, sind viele Richtlinien einzuhalten und Rahmenbedingungen zu erfüllen. Dabei geht es auch stark um gesellschaftspolitische Verantwortung. Denn ein sozialer Wohnbau ist weit mehr als die Summe seiner Teile: Er ist auch ein Stück Dorf oder Stadt, ein Haus mit mehreren Parteien, in dem viele möglichst zufrieden zusammenleben, aufeinander treffen und im besten Fall eine tragfähige Gemeinschaft bilden sollen.

Längst haben sich auch am Land soziale Wohnbauten etabliert – bieten sie doch den Gemeinden eine Möglichkeit, in dichter, kompakter Form günstigen Wohnraum zu schaffen und so auch der Zersiedelung entgegenwirken zu können. Das Grundstück liegt sehr prominent, etwas unterhalb der Hauptstraße in zweiter Reihe schräg hinter dem schmucken Kirchlein mitten in St. Gallenkirch. Der kleine Ort im Montafon ist umgeben von steilen Bergen und als Skigebiet sehr beliebt. Die Gemeinnützige Wohngemeinschaft Alpenländische Heimstätte hatte den Baugrund bereits 1995 erworben, auch eine Planung gab es schon. Ausreichend Wohnbedarf aber meldete die Gemeinde erst 2014 an und weil die Lage so prominent war und man das beste Resultat erzielen wollte, lobte man unter einer Handvoll Architekten einen Wettbewerb mit einem ambitionierten Ziel aus: Der neue soziale Wohnbau hatte Passivstandard zu erreichen und barrierefrei zu sein. Insgesamt waren darin zwanzig Wohnungen – zehn mit zwei Zimmern, sieben mit drei Zimmern und drei mit vier Zimmern – unterzubringen. Doch das Grundstück hatte einen Haken: Es fällt von Norden – wo an der Haupstraße die Kirche und dahinter der Friedhof liegen – nach Süden etwas ab und ausgerechnet dort, wo normalerweise die lichte, warme Sonnenseite ist, wurde es vom gegenüberliegenden Waldhang stark beschattet.

Das Architekturbüro Dorner\ Matt siegte eindeutig. „Ihr Projekt war einfach das beste. Dorner\Matt haben erkannt, dass die Südseite dort die schlechteste ist und die schönste Ausrichtung im Osten und Westen liegt“, erklärt Ing. Wilhelm Muzyczyn, Geschäftsführer der Alpenländischen Heimstätte. „Sie haben ein kompaktes Volumen entwickelt, die Balkone nach innen gelegt und die 20 Wohnungen über ein zentrales Stiegenhaus erschlossen, das ist sehr wirtschaftlich.“ Dadurch konnten sie sich etwas leisten, das man in puncto Raumerlebnis als absoluten Luxus bezeichnen kann: Vierzehn von zwanzig Wohnungen haben hier einen zweigeschossigen Luftraum, der auf einmal Luft, Licht und Weite in das Innere holt. Diese Lufträume liegen in jeder Einheit woanders: einmal schließen sie am Eck an die gedeckte, zweiseitig verglaste Loggia an und reißen dort gleichermaßen ein hohes Loch in die Wohnung, durch das auf einmal die Sonne hereinflutet und man die Gipfel der Berge noch erspäht. Dann wieder liegen sie mitten in der Wohnküche und definieren so die Beziehung zwischen den angrenzenden Raumhälften ganz neu. In jedem Fall aber sind sie ein Erlebnis, das die Wohnqualität immens erhöht. „Wir wollten aus dem Raum heraus Ausblick und Licht einfangen, unabhängig von der Seite“, so Christian Matt. In der Umsetzung freilich war das extrem anspruchsvoll. „Wie dreidimensionales Tetris, nur komplexer.“ Denn jeder Luftraum schneidet in die darüber liegende Wohnung ein, alle müssen gegeneinander versetzt sein. „Die Detailarbeit war sehr intensiv“, bestätigt Projektleiter Bernhard Fink. „Aber hier ist schon ein bisschen eine Perle entstanden.“

Dorner\Matt hatten die städtebauliche Situation genau analysiert und als Referenz an die historisch bedeutsamen, öffentlichen Bauten wie die gemauerte Kirche oder das Pfarrhaus das Raumprogramm zum kompakten Punkthaus gebündelt: Ein Würfel von etwa 25 mal 25 mal 25 Metern, der damit der passivhaustechnisch idealtypisch fensterlos und also komplett wärmeverlustfrei gedachten Kugel ziemlich nahe kommt. Diesen Wohnwürfel rückten sie so weit wie möglich an die Talsohle, also hangabwärts: Dadurch erscheint das fünfgeschoßige Haus, das souverän auf einem massiven Sockel mit Nebenräumen im abfallenden Gelände ruht, weniger hoch, als es tatsächlich ist. „Wir wollten ein Gebäude entwickeln, das in das Dorf passt und sich in alle Himmelsrichtungen orientiert“, so Christian Matt. „Hier kann es im Winter sehr schattig und dunkel werden: Es sollte keine einzige Wohnung geben, die nur eine Orientierung hat.“ Das gelang vortrefflich: In der Mitte liegt das Stiegenhaus, darum sind windradartig alle Sanitärkerne angeordnet, die Zimmer zum Wohnen wickeln sich ums Eck, haben also immer Morgen- oder Abendsonne, Dorf- oder Bergblick. In jede Einheit ist eine Loggia oder ein Balkon eingeschnitten, das Basismaß beträgt 2,50 mal 2,50 Meter. „Ich bin ein absoluter Verfechter des rechten Winkels im sozialen Wohnbau“, sagt Christian Matt. „Die Leute müssen ihre Wohnungen auch einrichten können.“ Die Ausführung ist sehr hochwertig: In diesem Haus ist jedes Fenster aus Holz, grundsätzlich raumhoch und dreifachisolierverglast. Am Boden liegt Eichenstabparkett, die lichte Raumhöhe beträgt 2,50 Meter, im Bereich der Lufträume springen Raumhöhe und Fensteröffnungen auf 5,60 Meter. Von der Ferne wirkt der Würfel mit seinen quadratischen Öffnungen sehr diszipliniert, tritt man näher, nimmt man die Tiefe der eingeschnittenen Loggien wahr und die zweigeschoßigen Verglasungen, die aus der Reihe tanzen. Verkleidet wurde das Passivhaus mit vorverwitterten Weißtannelatten. Das passt zu den Schindeln der Kirche im Dorf. Als Sonnen- und Sichtschutz gibt es raumhohe Schiebeläden aus Schichtstoffplatten und Rollos. Sobald die ersten Mieter da sind, werden sie das Leben im Haus damit auch auf der Fassade spürbar machen.

Daten und Fakten

Objekt: Passivhausanlage St. Gallenkirch, Silvrettastraße 7a, St. Gallenkirch

Bauherr: Alpenländische Heimstätte Vorarlberg, Gemeinnützige Wohnbaugesellschaft, Ing. Wilhelm Muzyczyn, Vorstadt 15, Feldkirch, www.a-h.at

Architektur: Dorner\Matt Architekten Bregenz, Thalbachgasse 2a, Bregenz, www.dorner-matt.at

Statik: Mader & Flatz ZT GmbH, Belruptstraße 44, Bregenz, office@mader-flatz.at

Fachplaner: Bauphysik: Bernhard Weithas, Lauterach; Elektroplanung: IB Brugger, Thüringen, HLS Planung: E plus Planungsteam, Egg

Planungsbeginn: 2012

Ausführung: 2014/2016

Grundstücksgröße: 2745 m²

Wohnnutzfläche: 1920 m²

Bauweise: Die hinterlüfteten Fassaden mit ihren horizontalen und vertikalen vorgegrauten Holzlattenrostelementen im Wechsel mit HPL-Schichtstoff-Plattenelementen samt Schiebeladen und den Fenstern, sowie den geschoßweise horizontal durchlaufenden Alu-Blechbändern sorgen für ein klares äußeres Erscheinungsbild des Wohngebäudes. Diesem steht nordwestseitig die zweigeschoßige Carportanlage aus Stahlbeton gegenüber. Sie ist in den Hang eingeschnitten und bietet auf jedem Deck zehn Pkws Platz. Besonderheiten: Die Räume der Wohnungen überlagern und schichten sich über die Geschoße ineinander um einen zentralen „Versorgungskern“. Diese hohe Flexibilität der Grundrisse ergibt sich aus dem modularen Entwicklungskonzept. Keine Wohnung gleicht der anderen und bei Bedarf kann die eine der anderen ein Zimmer „leihen“. Es gleicht einem Tetris mit vielen Lösungsmöglichkeiten.

Ausführung: Baumeister: Tomaselli Gabriel Bau, Nenzing; Zimmerer: HP-Projektbau, Dornbirn; Fenster: Trefz, Wünstenrot; Heizung/Lüftung: Wucher und Müller, Ludesch; Elektro: Jovitech Elektroinstallationen, Dornbirn

Energiekennwert: 15 kWh/m² im Jahr

Quelle: Leben&Wohnen – die Immobilienbeilage der “Vorarlberger Nachrichten” (VN)

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
Das vai ist die Plattform für Architektur, Raum und Gestaltung in Vorarlberg. Neben Ausstellungen und Veranstaltungen bietet das vai monatlich öffentliche Führungen zu privaten, kommunalen und gewerblichen Bauten. Mehr unter Architektur vor Ort auf v-a-i.at

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