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So reagiert die internationale Presse auf die neue Koalition

Das sagt die internationale Presse zur neuen Koalition
Das sagt die internationale Presse zur neuen Koalition ©APA
Die Einigung auf die ÖVP-FPÖ-Koalition hat bei internationalen Tageszeitungen für zahlreichen unterschiedliche Kommentare gesorgt. Hier folgt nun ein Überblick.

“Süddeutsche Zeitung” (München):

“Was in diesen Zeiten das Bekenntnis der neuen österreichischen Regierung zu einem ‘proeuropäischen Kurs’ bedeutet, ist keineswegs eindeutig. Zum einen, weil unter einem solchen Kurs heute Verschiedenes verstanden wird. Das Europa, für das die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron stehen, ist ein grundsätzlich anderes als das des Ungarn Viktor Orban – und Österreich dürfte sich künftig deutlich näher bei Orban als bei Merkel/Macron positionieren. Zum andern ist es so, dass hinter Österreichs Europakurs trotz all der Ausrufezeichen im Regierungsprogramm noch sehr viele Fragezeichen stehen. Als Brückenbauer in Europa, wofür Österreich wegen seiner Lage und Geschichte prädestiniert wäre, dürfte diese neue Regierung ausfallen.”

“Neue Zürcher Zeitung”:

“Das nun präsentierte Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ ist rechtskonservativ mit einiger Symbolpolitik, aber insgesamt solid und mit guten Ansätzen. Die große Vision für eine tiefgreifende Umgestaltung fehlt jedoch. (…) Tatsächlich eine vielversprechende Neuerung ist die Harmonie, die offenbar zwischen den Koalitionsparteien herrscht. Anders als in der Großen Koalition mit der SPÖ, in der die Verhinderung von Anliegen des Regierungspartners oft als größte Errungenschaft galt, entsteht erstmals seit langem der Eindruck, als ziehe die Regierung gemeinsam an einem Strick. Das ist im des politischen Hickhacks müden Österreich von Bedeutung. Dass Kurz die FPÖ dabei zu einem Bekenntnis zur EU verpflichtet hat, war ein in dieser Klarheit gebotener Schritt.”

“De Standaard” (Brüssel):

“In Österreich ist gelungen, was zuvor in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland nicht geglückt war: Der Durchbruch des rechtsextremen Populismus. Und es gibt heute mehr Grund zur Sorge über den FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache als damals über Jörg Haider. Österreichs neuer Vizekanzler hat eine besonders unappetitliche politische Vergangenheit, durch die sich der Flirt mit dem Neonazismus wie ein roter Faden zieht. Dass mehr als ein Viertel der Österreicher von seinem Gedankengut angetan sind, zeigt, wie populär und salonfähig die extreme Rechte in Europa geworden ist. (…)

Wenn nach den Wahlen des zurückliegenden Jahres so mancher hoffnungsvoll meinte, Europa habe diese Gefahr abgewendet, so scheint dies Wunschdenken gewesen zu sein. Bis gestern waren zwar nirgendwo rechtsextreme Parteien an die Macht gelangt. Aber das bedeutet nicht, dass ihre Popularität folgenlos bleibt.”

“La Croix” (Paris):

“Was sich in Österreich ereignet, hat für Europa schwerwiegende Konsequenzen: Eine alte liberale Demokratie zeigt nun genauso viel Euroskepsis wie die ‘neuen’ Demokratien in den früheren kommunistischen Staaten der Visegrad-Gruppe. (Europa) muss nun die Weitsicht haben anzuerkennen, dass die Furcht vor der Einwanderung die Bewohner des Kontinents in den vergangenen Jahren erschüttert und die Furcht vor einem Verlust ihrer kulturellen und religiösen Identität genährt hat. Das mag zu Recht irrational erscheinen, angesichts des Reichtums des alten Kontinents. Angesichts der weitverbreiteten Ansicht einer ‘kulturellen Unsicherheit’ darf Europa diese Debatte aber nicht scheuen.”

“L’Humanite'” (Paris):

“Alles ist vereint, um den Alarm bei den europäischen Demokraten auszulösen. (…) Eine bedeutende Anzahl von FPÖ-Führungspersönlichkeiten stammt aus Burschenschaften, die von der vom Deutschen Reich geerbten pangermanistischen Ideologie geprägt sind. (…) Das Schweigen der europäischen Verantwortungsträger ist ohrenbetäubend. Während (Frankreichs Altpräsident) Jacques Chirac wie die meisten europäischen Staatschefs der Epoche (2000, Anm.) die Ankunft einer Koalition der rechten mit der extremen Rechten in Wien verurteilte (…), schauen alle politischen Führungspersönlichkeiten des alten Kontinents heute in eine andere Richtung.”

“El Mundo” (Madrid):

“Unter der Führung des Christdemokraten Sebastian Kurz ist die rechtspopulistische Freiheitliche Partei gestern (…) in die österreichische Regierung zurückgekehrt. (…) Dafür musste sie ihre europhobe Ausrichtung mäßigen und auf die Durchführung eines Referendums über den Verbleib in der EU verzichten. Aber eine drastische Reduzierung der Einwanderung ist für die Partei weiter unverzichtbar. Eine Einstellung, die auf dem Kontinent weiter auf dem Vormarsch ist – obwohl dies eine Änderung der Werte bedeutet, auf denen das Gemeinschaftsprojekt basiert. Brüssel muss die Entscheidungen dieser unerfahrenen Exekutive überwachen, die die anderen Regierungen beunruhigt.”

“Magyar Nemzet” (Budapest):

“In zahlreichen politischen Fragen der Union, so vor allem hinsichtlich der strengen Einwanderungspolitik und der Ablehnung eines europäischen ‘Superstaates’ sagt Kurz das Gleiche, was auch die ungarische Regierung vertritt. Budapest hat demnach auf jeden Fall einen sicheren Verbündeten gewonnen für seine Brüsseler ‘Kämpfe’. Unterstützung erhofft sich die ungarische Regierung auch von der anderen Mitgliedspartei der österreichischen Koalition, denn der Vorsitzende der Freiheitlichen, Heinz-Christian Strache, ist ein großer Verehrer von Viktor Orban. Laut Strache ist das vorübergehende Ende der Flüchtlingskrise ‘ausschließlich Herrn Orban’ zu verdanken. Strache würdigte auch mehrfach den ungarischen Grenzzaun. Doch bei den Freiheitlichen gibt es eine Schicht, die es eher in Richtung Jobbik (ungarische rechtsradikale Partei, Anm.) zieht.”

“Dnevnik” (Ljubljana):

“Die EU wird mit dieser österreichischen Regierung nicht im Entferntesten solche Schwierigkeiten haben, wie mit der ersten Regierung, in der zur Jahrtausendwende die Freiheitlichen vertreten waren. (Obwohl der damalige designierte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel aus einer Position des Schwächeren den Freiheitlichen deutlich weniger nachgegeben hatte als jetzt Kurz von der Position des Stärkeren.) Die Rechtspopulisten sind in europäischen Regierungen in eineinhalb Jahrzehnten eine neue Normalität, eine Realität geworden.”

“Lidove noviny” (Prag):

“Österreich wird zum Gegenpol Deutschlands. Das Land Angela Merkels tendiert immer mehr zu beständigen großen Koalitionen. Diese setzen Lösungen durch, für die symbolisch der Ausdruck ‘alternativlos’ steht. (…) Falls in Deutschland die Große Koalition erneuert wird, wird die Alternative für Deutschland (AfD) daher mit Sicherheit in der Wählergunst steigen. Von großen Koalitionen können die Österreicher ein Lied singen – auch deshalb gehen sie jetzt lieber den Weg des Machtwechsels. Österreich, das bisher als altmodisch galt, wird zu einem Land der Reformen und der Experimente.”

“Sme” (Bratislava):

“Anscheinend ist Europa inzwischen der Meinung, dass Neonazi-Parteien wie die FPÖ nie wirklich gefährlich werden können, weil sie, um mächtiger zu werden, ihre abstoßendste Politik aufgeben müssen. In anderen Worten: Indem die österreichische Mainstream-Politik die FPÖ einbindet, kann sie (FPÖ-Chef Heinz-Christian) Strache und seine ‘Heimat-Verrückten’ auch zivilisieren.

Und mit Blick auf die alternativen Rechten in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ist das möglicherweise eine zwar zynische, aber dennoch vernünftige Einstellung. Zugleich aber auch eine Einstellung, die uns zeigt, wie sehr sich die Europäische Union bereits verändert hat. Die Europäer geben immer mehr jener Prinzipien auf, auf denen die EU beruht. Und die EU ziert sich immer mehr, diese Prinzipien durchzusetzen.”

“Liberation” (Paris):Paris/Sofia:

“Österreich in Richtung ‘Demokratur’ (Kontraktion aus Demokratie und Diktatur, Anm.). Dass ein Koalitionsabkommen zwischen der rechten und der extremen Rechten in Österreich zustande kommt, überrascht niemanden. Die einzige Unbekannte war die von der FPÖ erhaltenen Ministerien. Es ist ein Erdrutschsieg. Die rechtsextreme Partei erhält sechs der dreizehn Ministerien, darunter mehrere mit Hoheitsgewalt. (…) Das Regierungsprogramm, das 182 Seiten umfasst, ist ausschließlich der Verteidigung der Identität des Landes gewidmet. (…) Überdies ist eine stärkere Kontrolle der Medien geplant, insbesondere des ORF, um laut Regierungsprogramm eine ‘objektive und unabhängige Berichterstattung’ zu garantieren.”

“Bulgarische Nachrichtenagentur BTA” (Sofia):

“Österreich kürzt die sozialen Hilfen für Migranten. Tausende Euro sind nun nur für im Land Beschäftigte bestimmt. ‘Kein einziger Migrant, der hier keinen einzigen Tag gearbeitet und keinen Euro in unser Sozialsystem eingezahlt hat, wird künftig Tausende Euro als Sozialhilfe bekommen können’, schrieb Heinz-Christian Strache auf Facebook.”

“Mediapool (Onlineausgabe)” (Sofia):

“Sebastian Kurz hat die ÖVP zum Wahlsieg geführt, indem er einen harten Kurs gegen die Migranten fuhr. Damit fanden sich Schnittmengen mit dem Koalitionspartner FPÖ. […] Die Rechtspopulisten gaben allerdings ihr Vorhaben auf, dem Beispiel Großbritanniens zu folgen und ein Referendum zum Austritt aus der EU durchzusetzen. Nun gibt sich die FPÖ proeuropäisch, will jedoch die weitere politische Zentralisierung in der Union vermeiden. […] ‘Für den Bundespräsidenten und für mich war es wichtig, eine proeuropäische Regierung zu haben. Aus meiner Sicht ist dies garantiert’, erklärte Sebastian Kurz.”

“Capital” (Sofia):

“Die beiden Regierungsparteien haben während des Wahlkampfes mehrfach gewarnt, dass in Österreich muslimische Parallelgesellschaften entstehen. Im Land mit 8,7 Millionen Einwohnern leben rund eine halbe Million Muslime, wobei die Hälfte davon Türken sind. In Österreich gab es keine islamistische Anschläge, wie in Paris, Berlin und Brüssel. In Bezug auf die EU haben Kurz und Strache erklärt, dass sie gegen die EU-Mitgliedschaft der Türkei sind, und dafür bekommen sie Rückenwind aus der Bevölkerung.”

“Dnevnik (Onlineausgabe)” (Sofia):

“Diesmal werden keinerlei Aktionen in der EU wegen der Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten in Österreich erwartet, obwohl Österreich das einzige Land in der Europäischen Union ist, wo eine rechtspopulistische Partei am Ruder sitzt. […] Noch als Außenminister hatte der neue Bundeskanzler Kurz Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik scharf angegriffen und sich vom Türkei-Deal distanziert.”

“de Volkskrant” (Amsterdam):

“Das wichtigste Zugeständnis, das die FPÖ im Austausch für ihre Ministerposten machte, ist der Verzicht auf die Forderung nach dem Austritt Österreichs aus der Europäischen Union. (…) Stattdessen setzt sich Österreich, das in der zweiten Hälfte 2018 den EU-Vorsitz innehaben wird, für eine handfeste Anpassung der europäischen Agenda ein. Punkt eins ist dabei die strikte Kontrolle der EU-Außengrenzen, Punkt zwei die Terrorismusbekämpfung. Angesichts des künftigen Zusammengehens Österreichs mit den Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei wäre eine solche Neubestimmung der europäischen Prioritäten sicher nicht chancenlos. So fordert das rechtspopulistische Mitteleuropa die Hegemonie von Deutschland und Frankreich in der EU heraus. Das kann noch jede Menge Unruhe bringen. Aber politischer Streit innerhalb der Union ist immer noch besser als ein Auseinanderbrechen der Union.”

“La Presse de la Manche” (Cherbourg):

“Die Verantwortung von Martin Schulz, der seine Niederlage noch immer nicht verdaut hat, ist gewaltig. (Der SPD-Vorsitzende) kann, so scheint es, die Bildung einer Großen Koalition, von der Deutschland eher profitiert hat, aufhalten. Er kann sogar (Kanzlerin Angela Merkel) ruinieren und sie dazu bringen, ihr Amt abzugeben. Der Preis wäre jedoch ein Kurswechsel der CDU, die Gefahr läuft, stark nach rechts zu rücken und sich in absehbarer Zeit wie in Österreich mit den Rechtsextremen auf eine Koalition zu einigen. (…) Die Entwicklung in Österreich ist zweifellos für Deutschland das letzte Warnsignal. Es könnte diejenigen zusammenbringen, die sich für ihr Land kein neues Wagnis wünschen.”

“Nepszava” (Budapest):

“Bislang deutet nichts darauf hin, dass (dem neuen Bundeskanzler Sebastian) Kurz die Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) als Partner wichtiger wären als Brüssel oder Angela Merkel. (…) Kurz scheint ein pragmatischer Politiker zu sein, dessen Loyalität zur EU vorerst nicht in Frage zu stellen ist. Fraglich ist vielmehr, inwiefern es ihm gelingen wird, (den FPÖ-Chef und Koalitionspartner Heinz-Christian) Strache im Zaum zu halten. Das Programm der beiden Regierungsparteien ist eindeutig rechts, so sollen etwa finanzielle Zuwendungen für Flüchtlinge gestrichen werden. Doch auf der Grundlage der bisherigen Äußerungen von Kurz ist nicht zu befürchten, dass Wien zur Hochburg des aufstrebenden europäischen Rechtspopulismus wird.”

“Kapital Daily” (Sofia):

“Mit der Vereidigung der Regierung durch den Bundespräsidenten (Alexander Van der Bellen) wurde Österreich zum einzigen Land in der EU, in dem eine extrem rechte Partei an der Regierung beteiligt ist. Obwohl 2017 ihre Popularität zunahm, hat es keine der euroskeptischen Parteien in der Union geschafft, einen derartigen Erfolg zu verzeichnen. Der kam dank des Koalitionsabkommens der traditionsreichen konservativen Volkspartei mit der rechtsextremen Freiheitlichen Partei zustande.”

“Vecer” (Maribor):

“Was hat die Österreicher dazu getrieben, dass sie dermaßen eine extrem rechte und populistische Partei mit einer unschönen Geschichte, von der sie nicht wegkommen kann, obwohl ihre Vertreter beteuern, dass dies eine vergessene Vergangenheit ist, gewählt haben? Österreich hat vor zwei Jahren fast Hunderttausend Flüchtlinge aufgenommen. Pro Kopf ist das mehr als in Deutschland. Die Sozialdemokraten haben in Panik scharfe Maßnahmen ergriffen: Beseitigung der Schengen-Regel, Grenzkontrollen an der Binnengrenze. Auch mit Slowenien. Dazu errichteten sie an den am meisten gefährdeten Grenzpunkten auch einen Zaun. Eigentlich nichts anderes als in Slowenien. Aber die Österreicher haben in der Zwischenzeit gewählt und festgestellt, dass der Spaß vorbei ist. Dass man die Stimme dem Original geben muss und nicht denjenigen, die es zu imitieren versuchen. Sie haben nicht nachgedacht, dass auch für sie der Preis hoch sein wird.”

“Delo” (Ljubljana):

“Im modernen Europa wäre es wirklich eine Heuchelei, wenn man wegen des Eintritt der Freiheitlichen, die inzwischen ihr öffentliches Bild geglättet haben, in die Regierung wieder Sanktionen gegen Österreich einführen würde. Man kann nur schwer beweisen, dass Österreich weiter nach rechts gerückt ist, als der Großteil seiner östlichen Nachbarn, die seit 2004 auch EU-Mitglieder wurden. Im Vergleich zu denjenigen, die (nicht nur) jetzt bei unserem mächtigen transatlantischen Partner regieren, ist die neue österreichische Regierung sowieso fast extrem links. Sowohl in der angekündigten Außenpolitik, noch mehr aber darin, was sie innenpolitisch vorhat.”

“L’Alsace” (Straßburg):

“Indem sich die extreme Rechte geschickt als respektabel präsentierte, hat sie an Anerkennung gewonnen. Das Schweigen der Europäischen Union ist allerdings problematisch: Wenn sich die europäischen Staats- und Regierungschefs nicht äußern, wer soll es dann tun? Nun muss der Kampf gegen fremdenfeindliche Ideen auf praktischer Ebene beginnen. Die Neugründung eines bürgernäheren Europas wird dadurch dringlicher denn je.”

(APA/Red.)

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