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"Serienkiller sind etwas ganz Seltenes"

Skepsis zeigt Ernst Geiger dieser Tage, wenn er hört, dass ein Serienmörder in Österreich Frauen tötet und anzündet. Denn: "Serienkiller sind etwas ganz Seltenes", erklärte der Abteilungsleiter für Ermittlungen, Allgemeine und Organisierte Kriminalität im Bundeskriminalamt im Gespräch mit der APA.

Seine Skepsis hat nicht nur mit der Lehrmeinung zu tun, wonach es eine Mordserie erst ab drei Fällen gibt. Denn auch bei fünf angezündeten Frauenleichen seit 2005 gibt es keine Klarheit, dass zumindest drei davon zusammengehören. Ziemlich sicher sind sich die Kriminalisten bei der auffallenden Häufung nur, dass die beiden Fälle in Niederösterreich vom August 2007 und Mai 2010 zusammengehören.

“Bei den jetzigen Fällen ist es so, dass Anzünden etwas ganz Ungewöhnliches ist”, betonte der Kriminalist. Von 410 getöteten Frauen seit 1960 wurden nur sieben angezündet, allerdings fünf davon seit 2005. Neben den beiden in Wien tätigen Prostituierten Katerina Vavrova und Petya Filkova, die im Weinviertel ermordet und angezündet aufgefunden worden waren und bei denen aller Wahrscheinlichkeit nach derselbe Täter am Werk war, gab es drei weitere Fälle: Zwei bisher nicht identifizierte und verbrannte Frauenleichen 2005 an der A2 in der Steiermark und bei Völkermarkt in Kärnten 2008 sowie die in der Vorwoche zwischen Nickelsdorf und Zurndorf verbrannte Frauenleiche.

Beim Kärntner Fall wird derzeit ausgeschlossen, dass es Zusammenhänge gibt, auch im steirischen Fall spricht mehr dagegen als dafür. Bei der burgenländischen Leiche ist noch alles offen. “Wir wissen noch zu wenig”, sagte Geiger. Die Ermittler versuchen derzeit, über Herkunft der Kleidung, Schmuck, Schuhe und der Zahnprothese der Identität der Toten näherzukommen.

Der bisher letzte Fall eines Serienmörders in Österreich liegt mehr als 15 Jahre zurück: Der “Häfn-Literat” Jack Unterweger wurde 1994 nicht rechtskräftig verurteilt, weil er zwischen September 1990 und Juli 1991 neun Prostituierte in Tschechien, Vorarlberg, Wien, Graz und den USA ermordet haben soll. Unterweger beging in Haft Selbstmord. In Europa, von Russland abgesehen, haben die Ermittler derzeit keine Mordserien registriert.

Zwar gibt es laut dem BK-Experten auch bei den beiden niederösterreichischen Opfern kleinere Unterschiede, doch die Gemeinsamkeiten überwiegen. Geiger erklärte das so: “Man teilt diese Morde immer in drei Phasen ein: Vor, während und nach der Tat. Vor der Tat betrifft zunächst einmal die Auswahl der Opfer. Wobei Frauen aus dem Straßenstrichmilieu bei vielen ausgewählt wird.” Der Kriminalist brachte das Beispiel des US-Serienkillers Ted Bundy, der sich bewusst von Straßenprostituierten ferngehalten habe: “‘Das kann jeder’, meinte Bundy gleichsam. Unterweger hat auch Straßenprostituierte ausgewählt.”

“Der Straßenstrich ist die gefährlichste Form der Prostitution. Es gibt auch dahingehend Schwierigkeiten, dass man in diesem Milieu nur begrenzt etwas präventiv tun kann”, sagte Geiger. Unter anderem zeigte sich das im Fall Unterweger. “Wir haben fast alle Straßenprostituierten damals einvernommen. Alle haben gesagt, dass sie vorsichtig sind und Kennzeichen notieren und so weiter”, schilderte der Experte. Doch einer näheren Überprüfung hielten diese Angaben nicht stand: “Wenn einer mehr Geld anbietet, fahren sie unbegrenzt mit.”

Trotz auffälliger Autos und des Kennzeichens “W-JACK 1” gab es auch keine einzige Wahrnehmung aus dem Milieu, die auf Unterweger hingedeutet hätte. Wobei das nicht daran lag, dass im Rotlicht nicht mit der Polizei gesprochen worden wäre: “Wir haben aufgrund der Hinweise viele Leute überprüft, die auffällig waren, also Dispute wegen des Preis-Leistungsverhältnisses lieferten oder gewalttätig waren”, sagte Geiger.

“Viele Übereinstimmungen” mit Mord von 1987

Zurück zu den aktuellen Fällen: Auch hier wählte der Täter in beiden Fällen Straßenprostituierte aus, eine im Wiener Bezirk Rudolfsheim-Fünfhaus, die andere in der Leopoldstadt. Doch die beiden Opfer waren einander nicht unbedingt ähnlich.

Ernst Geiger sprach auch den Fall einer ermordeten Wiener Prostituierten an, die 1987 umgebracht, bei Hausleiten im Bezirk Korneuburg abgelegt und angezündet wurde. “Es gibt viele Übereinstimmungen. Dagegen spricht die lange Zeitspanne, die dazwischen liegt.” Zur Spurenlage wollte sich der Abteilungsleiter im Bundeskriminalamt nicht äußern: “Jack Unterweger hat mich das auch gefragt, als er mich für den ORF interviewt hat.”

Bei der zweiten Phase, der Tötungshandlung selbst, gibt es zwischen Filkova und Vavrova Geiger zufolge “Gemeinsamkeiten und Unterschiede”. Gemeinsam sei den beiden Fällen, dass es massive Gewalt gegen den Kopf gab. Doch während Vavrova mit einem Messer malträtiert wurde, hat der Mörder Filkova erschlagen. Gemeinsam war beiden Fällen, dass es “eine lange Aufrechterhaltung der Kontrolle über das Opfer gab und der Auffindungsort nicht der Tatort ist”.

Geiger: “Die Tatphase reicht von der Aufnahme des Opfers bis zu seiner Tötung.” Dieser Zeitraum liegt im Fall Unterweger bis heute im Dunkeln: “Wir wissen nicht genau, was während dieser Phase passiert ist. Unterweger hat uns das nicht erzählt.” Mit Schmäh und Geld habe er die Prostituierten dazu gebracht, zu ihm ins Auto zu steigen und relativ weite Strecken mitzufahren. “Irgendwann ließ er dann die Maske fallen und legte seinen Opfern Handschellen an. Dann waren sie wehrlos.” Unterweger legte ihnen das Strangzeug um und begann sie langsam zu erdrosseln. “Stundenlang drosselte er sie, dann ließ er wieder los. Ob er Geschlechtsverkehr an ihnen ausgeübt hat? Wenn, dann nur mit Kondom. Wir haben nie Samenspuren gefunden.”

Bei den jetzigen Morden übte der Täter noch länger Kontrolle über seine Opfer aus als Unterweger. “Massive Fesselungsspuren gibt es jedoch nicht”, sagte Geiger. Auch trotz des Anzündens sei das teilweise noch erkennbar gewesen.

Die dritte Phase betrifft die Handlungen des Täters nach dem Mord. In den Mordfällen Vavrova und Filkova – auch bei der burgenländischen Toten, wenn die dazugehören sollte – wählte er Ablageorte im Freien, nicht im dichten Wald. Katerina Vavrova schnitt er die Hände ab. “War das eine pragmatische oder eine Bedürfnishandlung?”, formulierte Geiger die damit zusammenhängenden Fragen. Wollte der Mörder die Identifizierung durch das Entfernen der Fingerabdrücke auf diese Art erschweren oder eine Art Signatur hinterlassen. Im Fall einer Bedürfnishandlung könnte es durchaus sein, dass er dieses Bedürfnis bei Filkova nicht mehr hatte. Das Opfer vom Mai 2010 hatte seine Hände noch.

“Der Täter wollte auch, dass sie gefunden werden”, attestierte Geiger. Filkova und Vavrova wurden “eher nur im Kopfbereich angezündet”, sagte der Kriminalist. “Auch das kann eine pragmatische Handlung oder eine Bedürfnishandlung sein.” Pragmatisch wäre es etwa gewesen, wenn der Täter die Spuren eines Oralverkehrs verwischen wollte. Klar sei jedenfalls, dass der Killer an den Fundorten nicht gestört worden sei – “darauf gibt es keine Hinweise”. Hätte der Mörder alle Spuren beseitigen wollen, hätte er seine Opfer wohl ganz angezündet. Auch wieder eine Parallele zu Unterweger: Der Serienkiller bedeckte die ermordeten Frauen mit Zweigen, aber nicht ganz. Anstatt sie verschwinden zu lassen, hinterließ er auf diese Weise eine Art Signatur.

Ob der Mörder Vavrovas und Filkovas wieder zuschlägt? “Wenn es ein Serientäter ist, dann ja, wenn es keiner ist, dann nicht”, so Geiger. Die These, dass Serienkiller in immer kürzeren Abständen morden, quasi die Dosis erhöhen, “muss nicht stimmen”. Als Beispiel brachte Geiger einen Fall, in dem der Täter aufhörte. Seine Lebensumstände hatten sich so verändert, dass er seine Bedürfnisse nicht mehr auf diese Weise befriedigen musste.

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