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Prozess um Massenschlägerei vor Jugendzentrum in Wien-Brigittenau

Elf Jugendliche wurden nach der Massenschlägerei in Wien-Brigittenau angeklagt.
Elf Jugendliche wurden nach der Massenschlägerei in Wien-Brigittenau angeklagt. ©bilderbox.com (Sujet)
Am Freitag startete der Prozess um eine Massenschlägerei zwischen afghanischen und tschetschenischen Jugendlichen vor einem Jugendzentrum in Wien-Brigittenau mit Anlaufschwierigkeiten. Sieben Tschetschenen wurden bei der Schlägerei am 5. März 2016 verletzt, drei davon schwer. Neun Afghanen und ein gebürtiger Sudanese müssen sich dafür im Straflandesgericht verantworten. Sie zeigen sich nicht geständig.
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Ehe die persönlichen Daten der Angeklagten im Alter zwischen 16 und 22 Jahren aufgenommen werden konnten, hieß es eineinhalb Stunden warten. Der vom Gericht geladene Dolmetscher sprach zwar Dari, aber nicht Paschtun. Ein dem Volksstamm der Paschtunen angehörender Beschuldigter legte Wert, in seiner Muttersprache vernommen zu werden. Als gegen 10.30 Uhr endlich der vom Gericht telefonisch angeforderte Dolmetsch eintraf, stellte sich heraus, dass dessen Deutschkenntnisse nicht besonders gut waren. Zwei oder drei Minuten mühte er sich ab, das Geburtsdatum des betreffenden Angeklagten ins Protokoll zu bringen. Jener bediente sich schließlich selbst der deutschen Sprache, der er – wie sich herausstellte – durchaus mächtig sein dürfte.

Massenschlägerei vor Wiener Jugendzentrum: Die Anklage

An der Schlägerei, die in eine Messerstecherei ausartete, waren laut Anklage zumindest 30 Afghanen beteiligt, die im Unterschied zu den rund 25 Tschetschenen bewaffnet zu dem Treffen vor dem Jugendzentrum “Base 20” in der Engerthstraße erschienen. Einige gingen mit Messern, Holzprügeln, Eisenstangen, Schraubenziehern, Ketten und Schlagringen auf die Gegner los, während die – an sich körperlich überlegenen – Tschetschenen mit Faustschlägen und Fußtritten entgegen hielten.

Staatsanwältin Viktoria Berente geht davon aus, dass die Afghanen sich bereits in Verletzungsabsicht zusammengerottet hatten. Deswegen kreidet sie allen zehn Angeklagten – ein elfter Verdächtiger ist unbekannten Aufenthalts, das Verfahren gegen ihn wurde zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen ausgeschieden – schwere gemeinschaftliche Gewalt an, wofür das Strafgesetzbuch bis zu zwei Jahre Haft vorsieht. Jenen drei Afghanen, die im Zuge der Tätlichkeiten zugestochen und die schweren Verletzungen verursacht haben sollen, haben überdies wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung gerade zu stehen.

Überleben aller Jugendlichen grenzt an ein Wunder

Dass die Auseinandersetzung keine Menschenleben gekostet hat, grenzt beinahe an ein Wunder, wenn man sich die Befunde des Gerichtsmediziners vergegenwärtigt. Ein 18-jähriger Tschetschene ging demnach nach Stichwunden in Brust, Bauch und Leiste zu Boden. Er überlebte dank einer im UKH Meidling durchgeführten Notoperation. Einem 15-Jährigen wurde ebenfalls in die Brust gestochen, einem 17-Jährigen ins Gesäß, wobei der Stichkanal bis zur Beckenschaufel führte und Schlagaderäste verletzte. Ein weiterer Jugendlicher kassierte einen Stich in den Rücken, der knapp die Wirbelsäule verfehlte.

Ausschlaggebend für die Schlägerei soll ein über Facebook ausgetragenes verbales Scharmützel zwischen einem 16-jährigen Afghanen und einem Tschetschenen gewesen sein, die sich gegenseitig beschimpften. Schließlich trafen sich die zwei Kontrahenten mit Verstärkung zunächst in der Nähe der U6-Station Handelskai, wo es zu ersten tumultartigen Auseinandersetzungen kam. Ein paar Stunden später folgte vor dem Jugendzentrum der Showdown, wobei beide Gruppen weiter angewachsen waren.

Die von Betreuern der Einrichtung und Anrainern alarmierte Polizei nahm in der Nähe des Tatorts sechs Verdächtige fest. Im Zuge der Ermittlungen konnten fünf weitere Burschen ausgeforscht werden.

Angeklagte durchwegs nicht geständig

Sämtliche Angeklagte haben sich im Prozess um die Massenschlägerei in der Brigittenau nicht schuldig bekannt. Sie räumten zwar ein, am Tatort gewesen zu sein, stellten aber in Abrede, zugestochen zu haben. Einige machten Notwehr geltend, weil die Tschetschenen sie attackiert hätten. Andere behaupteten, nur zugeschaut zu haben.

Verteidiger Leonhard Kregjck, der einen der aus Afghanistan stammenden Burschen vertritt, bezeichnete diesen als “Schaulustigen”. “So wie sich manche einen Boxkampf anschauen”, habe sich sein Mandant zum Jugendzentrum in der Engerthstraße begeben. Ins selbe Horn stieß der Rechtsvertreter des gebürtigen Sudanesen, der als einziger Angeklagter nicht aus Afghanistan stammt: “Er hat aus purer Neugierde hingeschaut. Und er hat dann eine Eisenstange angegriffen, weil er angegriffen worden ist.”

Tatwaffen wurden nicht sichergestellt

Die Schwierigkeit in dem Fall besteht vor allem darin, dass die Tatwaffen nicht sichergestellt werden konnten und es demnach keine DNA-Spuren gibt, auf Basis derer die Stichverletzungen den konkreten Tatverdächtigen zugeordnet werden könnten. Die Anklage stützt sich in Bezug auf die Stichverletzungen auf die Angaben der tschetschenischen Opfer bzw. auf einige Mitangeklagte, die im Ermittlungsverfahren jene drei Burschen im Alter von 17, 18 und 20 Jahren belastet haben, die laut Staatsanwältin Viktoria Berente zugestochen haben sollen.

“Die Anklage ist mehr als dünn”, konstatierte Andreas Strobl, ein weiterer Verteidiger. Er betonte, aus der Größe der afghanischen Gruppe, die sich mit den Tschetschenen getroffen hatte, dürfe nicht auf eine verabredete Gewalt geschlossen werden: “Es waren so viele, um Stärke, Präsenz zu zeigen. Es kann passieren, dass da der eine oder andere zu raufen beginnt. Das hat eine Eigendynamik, das ist nicht zu beruhigen.”

Die Verhandlung ist vorerst bis Mitte November anberaumt.

>> Massenschlägerei vor Jugendzentrum: Elf Burschen angeklagt

(apa/red)

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