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Pressestimmen zu CIA-Affäre in Europa

Mit den Erkenntnissen des Schweizer Europarats-Sonderermittlers Dick Marty über die CIA-Affäre befassen sich zahlreiche Pressekommentatoren. Marty vermutet, Regierungen Europas wußten von CIA-Verhaftungen.

„Tages-Anzeiger“ (Zürich):

„Er (Marty) tut das, was die vornehmste Aufgabe des Europarates ist: Er verteidigt Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde und Demokratie ohne politisches Kalkül. Das fällt auf in einem Europa, wo Regierungen das Sagen haben, die es sich mit (dem russischen Präsidenten Wladimir) Putin wegen Tschetschenien ebenso wenig verderben wollen wie mit (US-Präsident George W.) Bush wegen seines Krieges gegen den Terrorismus. Wir benötigen Beweise, um die Praxis der CIA in der Terrorismusbekämpfung zu kritisieren, heißt es von Bern über Paris und Berlin bis London. Das Gift der Folter breite sich aus, sagte eine deutsche Abgeordnete. Die stillschweigende Duldung der CIA-Methoden auch auf europäischem Boden ist der erste Schritt zur Rückkehr einer überwunden geglaubten Verhörpraxis und zu einer Relativierung der Menschenrechte.“

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“:

„Martys Zwischenbericht (ist) eine Sammlung von Bekanntem, von Mutmaßungen und Plausibilitäten. Mehr als hundert Personen habe die CIA danach in Drittländer gebracht – vermutet Marty. Dass damit ein ’Outsourcing’ der Folter betrieben worden sei, ist auch nur eine (plausible?) Vermutung. Er ist überzeugt, dass europäische Regierungen und Sicherheitsbehörden von den CIA-Flügen Kenntnis hatten. Auch das ist nicht mehr als eine Vermutung, die wahrscheinlich zutrifft. Es ist die Schwäche dieser Untersuchung bisher, dass sie kein neues Material präsentieren kann, dass Beweise fehlen, zum Beispiel über die Existenz von CIA-Gefängnissen in Europa, dass aber so getan wird, als sei jede Behauptung wahr.“

„die tageszeitung“ (taz) (Berlin):

„Den Regierungen Deutschlands und anderer EU-Staaten sowie der Bush-Administration in Washington warf Marty mangelnde Unterstützung seiner Ermittlungen vor. Wegen der unzureichenden Kooperation konnte der Sonderermittler bislang keine endgültigen Beweise für die Existenz von Haft- und Verhöreinrichtungen für die verschleppten Personen in europäischen Ländern vorlegen. Klarheit in dieser Frage erhofft sich Marty von den Logbüchern und Luftaufnahmen der Europäischen Agentur für Luftsicherheit, Eurocontrol, sowie des EU-Satellitenzentrums, die er bereits vor über zwei Monaten angefordert, aber erst am Montagabend erhalten hatte.“

„Rheinpfalz“ (Ludwigshafen):

„Folter ist kein geeignetes Mittel im Kampf gegen den Terrorismus. Folter ist selbst ein Mittel des Terrors. Für Folter gibt es keine Rechtfertigung. Nicht im Krieg und auch nicht, wenn durch erpresste Geständnisse tausende Menschenleben gerettet werden könnten. So ist es in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert. Und diese ist für alle Mitgliedsländer verbindlich. Für die (deutsche) Bundesregierung sind Martys Schlüsse besonders peinlich: Weil sie anscheinend wegschaute, als das Land zur zentralen Drehscheibe zur Verschickung von Folteropfern wurde. Und weil sie kein übertriebenes Interesse an der Aufklärung schwerster Menschenrechtsverletzungen offenbart.“

„Neue Zürcher Zeitung“:

„Marty kritisierte das Verhalten vieler europäischer Regierungen und meinte, diese hätten zugelassen, dass den Entführten entgegen Verfassungsgarantien alle Rechte entzogen und sie in andere Länder gebracht worden seien, damit von ihnen dort unter Folter Geständnisse erpresst werden konnten. Da es sich um mindestens hundert Fälle handle, sei es höchst unwahrscheinlich, dass diese Regierungen oder zumindest ihre Geheimdienste davon nichts bemerkt hätten. Dass der Nachweis solcher Gefängnisse ohne eine Mitarbeit der betroffenen Regierungen schwierig sei, liege daran, dass es keinesfalls um große Lager wie in Guantanamo gehe, sondern um ’kleine, differenzierte Strukturen’, wie zum Beispiel Gefängnisse an Flughäfen, die auch bei der Abschiebung illegaler Einwanderer genutzt werden.“

„Handelsblatt“ (Düsseldorf):

„Die Anschuldigungen wiegen schwer: Der Sonderermittler des Europarats glaubt nachweisen zu können, dass der US-Geheimdienst mehr als hundert Terrorverdächtige, meist aus Afghanistan, in mehrere europäische Länder entführt habe und sie dort aller Freiheit und Rechte beraubt worden seien. Sicher, Dick Marty kann sich nur auf Indizien stützen, die beispielsweise von Eurocontrol geliefert wurden. Und seine Mittel zur Aufklärung waren begrenzt. Aber daraus darf nicht geschlossen werden, dass sich der Schweizer Jurist nur eitel in Szene setzen will. Dazu ist das Thema zu brisant. Im Gegenteil, es kann ihm durchaus Glaubwürdigkeit unterstellt werden. Denn die nicht weniger wichtige Frage nach den Orten, also geheimen Gefängnissen, wo denn die eindeutigen Verletzungen der Menschenrechte stattfanden oder immer noch stattfinden, lässt er offen. Er habe keine unwiderlegbaren Beweise. Schlicht Behauptungen aufzustellen, ist also kaum seine Sache. Und deshalb darf wohl auch seine Vermutung, die Verschleppungen hätten keinesfalls ohne Mitwissen nicht nur der unmittelbar involvierten europäischen Regierungen durchgeführt werden können, nicht voreilig ins Reich der Fabel verwiesen werden. Denn, so glaubt Marty: Ganz Europa ist betroffen. Klar, der CIA kann das Schweigen der Europäer nie und nimmer als Rechtfertigung dienen. Für deren Regierungen ist es aber ein knallharter Anlass, ihre wie auch immer politisch motivierte und an Heuchelei grenzende Taktik der Geheimniskrämerei aufzugeben. Sie müssen sich endlich mit den Fakten auseinander setzen. Dies sollte ihnen schon ihr Selbstwertgefühl, auch ihre Würde gebieten. Es geht schließlich um nicht weniger als um Rechtsstaatlichkeit.“
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